Chemnitz/Halle – Wo ist der flüchtige Neonazi Sven Liebich (54), der dem Staat als angebliche Frau auf der Nase herumtanzt? Er selbst behauptet unter dem Namen „Marla Svenja“ auf X (vormals Twitter) in Russland zu sein. Durchaus möglich, sagen die Verfolger.
„Ich kann nicht ausschließen, dass Frau Liebich am Tag ihres Haftantritts oder an den Tagen zuvor ins Ausland geflogen ist“, sagt Benedikt Bernzen (44), Sprecher der Staatsanwaltschaft Halle (Sachsen-Anhalt).
Solche KI-generierten Karikaturen kursieren seit Liebichs Verschwinden im Netz
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Der Neonazi Sven Liebich, der jetzt Marla Svenja Liebich heißt (das Selbstbestimmungsgesetz macht’s möglich), sollte sich am 29. August in der JVA Chemnitz (Sachsen) melden. Grund: eine Verurteilung wegen Volksverhetzung zu 18 Monaten Haft. Aber: Er kam nicht, wird jetzt gesucht.
Wie der Neonazi die Behörden narrte
„Wir stellten Frau Liebich die Ladung zum Haftantritt am 15. August zu“, sagt Staatsanwalt Bernzen. „Frau Liebich musste die Haft bis spätestens 29. August, 18 Uhr, in der JVA Chemnitz antreten. Und wir gingen davon aus, dass sie dies tut. Denn sie kündigte es am 20. August auf X an und lud die erste Seite der Ladung hoch.“
Allerdings erklärte Liebich auch, statt um 18 Uhr erst um 22 Uhr erscheinen zu wollen. Das wertete die Staatsanwaltschaft als Missachtung der Justiz. Darum erließ sie am 26. August einen Vollstreckungshaftbefehl. Der sollte sofort in Kraft treten, wenn der Neonazi die Frist zum Haftantritt tatsächlich verstreichen lässt. Und er ließ sie verstreichen.
So kündigte Liebich den Haftantritt bei X an
Foto: @MarlaSvenjaL/X
„Am 29. August um 18.05 Uhr teilte mir die JVA-Leitung auf meine Nachfrage mit: Frau Liebich ist nicht zum Haftantritt erschienen“, schildert Staatsanwalt Bernzen. „Da setzte ich den Haftbefehl in Kraft, kontaktierte die Polizei und beauftragte sie, Frau Liebich festzunehmen. Dies ist aber bis heute nicht gelungen.“
Liebich tauchte unter. Noch am Montag erklärte die Staatsanwaltschaft gegenüber BILD, man habe dies bereits befürchtet und „erkannt, dass es zweifelhaft ist, dass Liebich sich stellen würde“. Dies korrigiert Staatsanwalt Bernzen jetzt: „Das wurde von unserer Seite unglücklich formuliert. Richtig ist, wir hatten aufgrund des Posts von Liebich auf X Hinweise darauf, dass sie ihre Haft um vier Stunden verspätet antreten wird. Aber wir hatten keinerlei Hinweise, dass sie die Flucht ergreift.“
Staatsanwalt Benedikt Bernzen
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Warum die Staatsanwaltschaft keine Fluchtgefahr sah
Die Staatsanwaltschaft sah bei dem Neonazi „zu keiner Zeit Fluchtgefahr“. Begründung: „Frau Liebich ist in der Region familiär verwurzelt, erschien zu allen Gerichtsprozessen, lebte nie länger im Ausland, verfügt über kein größeres Vermögen“, so Staatsanwalt Bernzen: „Mich persönlich hat ihre Flucht überrascht. Ich halte sie auch für sehr unklug. Denn die Vollstreckbarkeit des Urteils verjährt erst in zehn Jahren. Innerhalb dieser Zeit kann Frau Liebich jederzeit festgenommen werden. Hätte sie die 18 Monate Haft angetreten, hätte sie vielleicht zeitnah eine Hafterleichterungen erhalten, etwa Freigänge oder offenen Vollzug.“
Liebich behauptet auf X, die Staatsanwaltschaft habe gewusst, dass er für den Tag seines Haftantritts einen Flug gebucht habe. Die Polizei habe deshalb am Flughafen Leipzig auf ihn gewartet. „Das ist beides falsch!“, sagt Staatsanwalt Bernzen. „Wir wussten nichts von einem geplanten Flug, sofern es diesen Flug überhaupt gab“, so Staatsanwalt Bernzen. „Inzwischen gibt es eine bundesweite Fahndung nach Frau Liebich. Würde sie heute ein Flugticket buchen, würde sie am Flughafen sofort festgenommen.“