Auf sieben Quadratmetern in Leipzig Nord entstehen Laura Kneidls Geschichten. Der kleine Wintergarten ist lichtdurchflutet. Vom Schreibtisch aus kann sie über die Dächer der Stadt blicken. „Ich bin ein totaler Routine-Mensch“, sagt sie. Um 7 Uhr sitze sie meistens schon am PC und schreibe. „Das ist auch so meine kreativste Zeit, wenn ich noch gar nichts anderes im Kopf habe.“
Aufgewachsen ist die heute 35-Jährige in Franken. Vor acht Jahren kam sie nach Leipzig. Damals hatte sie gerade ein Studium des Bibliotheks- und Informationsmanagements beendet. Leipzig kannte sie von der Buchmesse – und setzte alles auf eine Karte: Ein Jahr lang wollte sie sich ganz dem Schreiben widmen. Es sollten Bestseller folgen – auch wenn das in ihrer Kindheit noch nicht absehbar war.
Autorin hat als Kind kaum gelesen
„Also in der Kindheit, frühen Jugend, habe ich praktisch nicht gelesen“, sagt die Autorin. „Ich war immer schlecht in Deutsch. Ich hatte immer Fünfer, in Diktaten immer Sechser. Meine Rechtschreibung ist bis heute nicht die beste.“
Ich war immer schlecht in Deutsch, ich hatte immer Fünfer.
Laura Kneidl, Bestseller-Autorin
Es gebe andere Leute, die Grammatik fantastisch beherrschen, die Germanistik studiert hätten, jetzt Korrektoren seien, erzählt Kneidl, „aber die vielleicht nicht ansatzweise so gute Geschichten erzählen können wie ich.“ Das seien zwei komplett unterschiedliche Handwerke.
Anfänge als Schriftstellerin mit Fanfiction
Über Fanfiction, also das Weitererzählen beispielsweise von Büchern, die man gerne gelesen hat, kam Kneidl zum eigenen Schreiben. Erste Geschichten veröffentlichte sie in Online-Foren. Ihr erstes eigenes Buch erschien noch während des Studiums. Sie blieb dran – und traf einen Nerv. „Dieses New-Adult-Genre gab es vorher – zumindest in dieser Deutlichkeit – nicht“, sagt sie. „Also man hatte Jugendbücher und man hatte halt Belletristik, die dann für erwachsene Leute gedacht ist.“
Laura Kneidl war eine der ersten New-Adult-Autorinnen in Deutschland. Als 2017 ihr zweites und drittes Buch erschienen, war New Adult in Deutschland ganz neu. In den USA gab es bereits die ersten Romane dieser Art: Diese spielten oft an einem College und stellten die Gefühlswelt der jungen, meist weiblichen Hauptfiguren in den Vordergrund.
New Adult erzählt explizit von Psyche, Emotionen, Sex
„Es gibt ja diese sehr ungewisse Zeit, so Anfang/Mitte 20, wenn man nicht so richtig weiß, wo man im Leben steht“, so Kneidl. „Das Bedürfnis nach dieser Literatur war eben da, weil es kaum andere Literatur gab, die sich so eingängig und vor allem auch so emotional mit diesen Themen beschäftigt hat.“
„Coming of Age“-Romane gibt es viele – mit New Adult hat sich in den vergangenen Jahren ein Genre entwickelt, das expliziter ist. Es spielt längst nicht mehr nur am College: Themen wie psychische Gesundheit oder Sexualität sind in vielen Romanen zentral. Die Gefühle werden ernst genommen und Wege aufgezeigt. „Meine Bücher gehen sehr stark von den Charakteren aus“, erzählt Kneidl. Und dann überlege sie, was das für Charaktere seien, die sie erzählen möchte.
Neue Romanreihe „The Darlington“ – Aschenputtel trifft auf #MeToo
In Kneidls neuer Reihe „The Darlington“ geht es um Liebesbeziehungen in einem Londoner Luxushotel – in dem ersten Band um Henry und Kate. Kate, eine obdachlose junge Frau in London, trifft auf den Hotelerben Henry. Während sie sich durchschlägt, um überleben zu können, versucht er, das Image des Nobel-Hotels zu retten – nachdem Vergewaltigungsvorwürfe gegen seinen Vater laut wurden.
Verschiedene Welten, die aufeinandertreffen – nicht nur in den Charakteren. Auch in der Erzählstruktur: Aschenputtel trifft auf #MeToo – wie geht das zusammen? „Ich glaube tatsächlich, dass Geschichten mitunter am besten funktionieren, wenn man den Leuten etwas Vertrautes in die Hand gibt.“ Leserinnen und Leser können sich ihrer Meinung nach dann besser in der Erzählstruktur zurechtfinden, wenn sie ein Stück weit wüssten, was sie erwartet. „Das holt die Leute einfach sehr ab, wenn sie was lesen, was sie kennen, es sich aber auch ein bisschen neu anfühlt und aufregend.“
Leserinnen suchen Kontakt per Instagram
Auch Drogenabhängigkeit und sexuelle Gewalt tauchen in der Geschichte auf. Laura Kneidl will mit ihren Büchern einladen, sich mit ernsten Themen auseinanderzusetzen. Auf Instagram suchen Leserinnen den Austausch mit der Autorin. Manche, so Kneidl, erzählen von dem, was ein Buch in ihnen verändert hat. Etwa, dass sie sich Hilfe geholt haben.
Andere wiederum suchen Gesprächsraum. „Mir haben tatsächlich schon viele junge Mädchen sehr schreckliche Sachen geschrieben, die ihnen passiert sind. Einfach, weil sie sich mit mir sicher fühlen, was eine unglaubliche Ehre ist.“ Leserinnen fühlen sich durch ihre Bücher gesehen, erzählt die Autorin. Und sie versuche, ihnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten zuzuhören.
New Adult wird in Buchbranche oft nicht ernst genommen
Laura Kneidls Bücher wurden bereits in mehrere Sprachen übersetzt. „Henry & Kate“ stieg nach der Veröffentlichung im Juli direkt auf Platz Eins der Bestsellerliste. Trotzdem kennen viele ihren Namen nicht. New Adult wird in der Branche häufig abgewertet – zu explizit, zu plot-getrieben, heißt es dann oft.
Literatur muss Menschen emotional abholen. Und das tut New Adult wie jede andere Literatur.
Laura Kneidl, Bestseller-Autorin
Gleichzeitig sorgt New Adult seit einigen Jahren dafür, dass der Umsatz auf dem Buchmarkt wieder steigt, weil mehr junge Erwachsene wieder lesen. Laura Kneidl kennt die Kritik – und winkt ab: „Als würde es ein Richtig oder Falsch geben. Literatur muss Menschen emotional abholen. Und das tut New Adult wie jede andere Literatur eben auch. Das macht sie für mich genauso wertig.“ Der nächste Band ihrer „The Darlington“-Reihe ist bereits im Druck.
redaktionelle Bearbeitung: sg, bh