Armut in Leipzig zeigt sich auch in Kindergarten und Schule. Nicht nur in Kleidung und Ausstattung der Kinder, sondern auch daran, ob sie Pausenbrot dabei haben, an der Essensverpflegung teilnehmen oder sogar Symptome von Unterernährung aufweisen. Offizielle Zahlen dazu gibt es nicht. Aber die Linksfraktion wollte trotzdem wissen, welche Informationen der Stadt dazu vorliegen. Denn das Problem scheint ja zuzunehmen, vermutete die Fraktion. Die Frage ist nur: Wie erkennt man es?

Dass der Stadt das Problem sehr wohl bekannt ist, bestätigte in der Ratsversammlung am 27. August auch Jugendbürgermeisterin Vicki Felthaus. Nur hat die Stadt eben keine umfassende Datenlage dazu.

„Die Anzahl an Kindern und Jugendlichen, welche in der Stadt Leipzig von ernährungsbedingten Mangelerscheinungen oder Hunger betroffen sind, kann mangels einer validen Datengrundlage nicht konkret beziffert werden“, teilt das Sozialamt in seiner sehr ausführlichen Antwort auf die Linken-Anfrage mit.

Und auch, dass man seit zwei Jahren ebenso alarmiert ist wie Linke-Stadtrat Dr. Volker Külow, der am 27. August noch einmal nachfragte, weil er im Gespräch mit Kindergärtnerinnen wohl immer wieder auf das Problem hingewiesen wurde.

„Dem Gesundheitsamt wurde erstmals im Sommer 2023 von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern aus Offenen Freizeittreffs (OFT) im Leipziger Osten, Grünau und Paunsdorf gehäufte Fallschilderungen zugetragen, dass Kinder und Jugendliche nachmittags vermehrt hungrig in die OFTs kämen, weil sie tagsüber noch nichts bzw. nichts ‘Richtiges‘ gegessen hätten (z. B. nur einen Schokoriegel bzw. eine trockene, d. h. ungekochte chinesische Nudelsuppe). Fälle von Kindeswohlgefährdung wurden in diesen Kontexten nicht kommuniziert“, betont das Sozialamt.

Es erläutert dann aber: „Im Rahmen der Anfrage wurden zudem sowohl freie Träger als auch die 51 kommunalen Kindertageseinrichtungen zu ihren Erfahrungen im Umgang mit Mangelernährung befragt. Einige Einrichtungen und Träger meldeten vereinzelt entsprechende Erfahrungswerte zurück.

Insgesamt vier kommunale Kindertageseinrichtungen gaben an, dass in der Vergangenheit Auffälligkeiten wahrgenommen wurden. Diese Rückmeldungen kamen aus den Stadtteilen Mitte (1), Nordost (1), Südost (1) und West (1). Eine explizite Auffälligkeit aus dem Leipziger Osten war hier nicht zu erkennen.

Bei betroffenen Kindern wurden unter anderem Symptome wie Müdigkeit, Antriebslosigkeit, ein allgemein geschwächter körperlicher Zustand sowie deutlich geäußertes Hungergefühl beobachtet.“

Ein Problem unter viele anderen

Das klingt so, als sei es doch eher ein kleineres Problem unter viel größeren. Aber Meldungen über die verschiedensten Arten von Kindeswohlgefährdung – zu denen nicht nur Mangelernährung gehört – erreichen die Stadt über die verschiedensten Instanzen. Und da ergibt sich dann schon ein anderes Bild.

Das sind zwar alle möglichen Fälle von Kindeswohlgefährdung, die der Stadt gemeldet wurden. Aber auch hinter anderen Posten – wie dem Posten „Anzeichen von Vernachlässigung“ – kann sich eine Mangelernährung der Kinder verbergen. Und die Antwort des Sozialamtes verzeichnet für das Jahr 2024 immerhin 266 Fälle von Vernachlässigung, welche die Stadt registrierte. Freilich auch 99 Fälle von körperlicher Misshandlung und 89 Fälle von psychischer Misshandlung, bei 19 gab es sogar Anzeichen für sexuelle Gewalt.

Meldungen von Kindeswohlgefährdung an die Stadt 2024. Grafik: Stadt LeipzigMeldungen von Kindeswohlgefährdung an die Stadt 2024. Grafik: Stadt Leipzig

Beim Allgemeinen Sozialdienst (ASD) der Stadt braucht man ein starkes Nervenkostüm, um mit all diesen Fällen von Kindesgefährdung umgehen zu können. Dass die Kinder dann oft auch noch hungern und mangelernährt sind, hat meistens mehrere Ursachen, erklärt das Sozialamt: „Die Ursachen für Mangelerscheinungen sind häufig vielschichtig und können in unterschiedlichen Problemlagen begründet sein.

An dieser Stelle können mögliche Ursachen lediglich exemplarisch aufgeführt werden; eine allgemeingültige Aussage lässt sich nicht treffen. Es ist jedoch festzuhalten, dass häufig ein Zusammenspiel verschiedener Problemlagen vorliegt.“

Die meist handfesten Probleme der Eltern

Und dann zählt das Sozialamt die wichtigsten auf: psychische Überlastung oder psychische Erkrankungen der Eltern, die zu Vernachlässigung führen können, Suchtverhalten der Eltern, das ebenfalls mit Vernachlässigung einhergehen kann, finanzielle Schwierigkeiten bzw. hohe Verschuldung und fehlende oder nicht rechtzeitig gestellte Anträge bzw. Folgeanträge beim Jobcenter zur Sicherung des Lebensunterhalts.

Was letztlich ein anderes Thema bestätigt, das die Linksfraktion immer wieder im Stadtrat zur Sprache bringt: die Armut in einem gar nicht so kleinen Teil der Stadtgesellschaft. Während viele Familien, die knapp bei Kasse oder in Bürgergeldbezug sind, es trotzdem schaffen, die Kinder ordentlich zu ernähren, auch wenn dabei lieber die Eltern verzichten, ist eine prekäre finanzielle Lage für manche Eltern eine Überforderung, die sie nicht gemeistert bekommen. Erst recht, wenn sich gleich mehrere Problemlagen ballen.

Wenn der ASD aktiv wird

Wo der ASD oder andere Sozialdienste davon erfahren, müssen sie handeln. Wie, das erläutert das Sozialamt so: „Die bloße Feststellung einer Mangelerscheinung führt nicht automatisch zur Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung. Zunächst wird geprüft, ob gewichtige Anhaltspunkte für eine Gefährdung vorliegen. Solche Anhaltspunkte bestehen, wenn eine konkrete Gefahr für Leib und Leben des Kindes erkennbar ist und die Personensorgeberechtigten möglicherweise nicht in der Lage sind, diesen Schaden selbstständig vom Kind abzuwenden.

Im Rahmen des Prüfverfahrens legt der ASD Wert darauf, die Ressourcen der Familie und des sozialen Umfeldes zu aktivieren, um beispielsweise eine Mangelernährung abzuwenden oder zu beheben. Oberstes Ziel ist es, dass Kinder und Jugendliche im Haushalt verbleiben können. In diesem Zusammenhang kann mit Schutzplänen gearbeitet werden.

Im Schutzplan werden alle relevanten Beteiligten benannt, die im Alltag in Kontakt mit dem Kind stehen. Gemeinsam mit den Personensorgeberechtigten, den Netzwerkpartner/-innen sowie den Sozialarbeiter/-innen des ASD wird ein Schutzplan erstellt. Dieser hat einen klar definierten, zeitlich befristeten Rahmen und wird in regelmäßigen, kurzen Abständen mit allen Beteiligten überprüft.

Sollte durch diese Maßnahmen keine Verbesserung erzielt werden können, werden weitere Hilfen im Rahmen der Hilfen zur Erziehung geprüft. Diese reichen von ambulanten über teilstationäre bis hin zu stationären Maßnahmen.“

Die finanziellen Nöte ganz unten

Aber im Detail wird eben auch deutlich, dass einige der Phänomene, die Volker Külow beschäftigen, weniger mit einer Vernachlässigung durch die Eltern zu tun haben, sondern schlicht mit ihrer finanziellen Lage. Etwa bei der Essensbereitstellung in der Kita: „Von 51 Meldungen zu einer Kindeswohlgefährdung aus 2024 an den ASD wurden insgesamt zwei Meldungen mit Verdacht auf Vernachlässigung getätigt. Nach Prüfung hingen diese Meldungen jedoch nicht mit einer Mangelernährung zusammen.

Ein besonderes Merkmal in diesen Fällen waren Essenssperren, die durch Cateringunternehmen aufgrund offener Rechnungen der Eltern verhängt wurden. Die Einrichtungen stellen jedoch sicher, dass betroffene Kinder dennoch etwas zu essen erhalten. So wird am Tag der Essenssperre entweder weiterhin ein warmes Mittagessen angeboten oder auf Kaltverpflegung ausgewichen. Parallel dazu erfolgt eine Rücksprache mit den Eltern mit dem Ziel, die Sperre schnellstmöglich aufzuheben.“

Man ahnt zumindest, in welcher Klemme die Eltern da stecken müssen. Und wie dann auf einmal auch die Kinder betroffen sind, wenn das knappe Haushaltsgeld nicht hinten und nicht vorne reicht.