Berlin – Angesichts absehbarer Rückschritte im Kampf gegen HIV vermisst der Virologe und CDU-Politiker Hendrik Streeck ein verstärktes Engagement Deutschlands und weiterer europäischer Länder zum Ausgleich massiver Kürzungen der USA.
Diese betreffen etwa das PEPFAR-Programm, was er mit einem „vollkommenen Unverständnis“ betrachte, sagte Streeck heute bei einem Webinar zum Thema HIV-Versorgung und Auswirkungen des Sparkurses.
Er sprach aber auch von einer Enttäuschung über Europa, das nicht die Notwendigkeit zum Einspringen sehe. Neben Deutschland gäben auch andere bisher wichtige Player wie Frankreich, Großbritannien und die Niederlande in Zukunft sogar weniger Geld. Aus Streecks Sicht müssten diese aber vielmehr das von den USA gerissene Loch auffüllen.
Er würde sich wünschen, dass Deutschland die Führungsrolle erkenne, sagte Streeck. Als Bundestagsabgeordneter und Bundesdrogenbeauftragter kenne er aber auch die Realität: den knappen Bundeshaushalt und die Sparanforderungen in vielen Bereichen.
Allem voran brauche es politischen Willen, um beim Kampf gegen HIV voranzukommen, sagte Streeck. Die Coronapandemie habe gezeigt, was binnen eines Jahres etwa in Hinblick auf Impfstoffentwicklung möglich wäre, wenn die Politik an einem Strang ziehe. Die Reaktion auf COVID-19 mit Impfstoffen, antiviralen Medikamenten und Diagnostika habe zudem auf der HIV-Forschung aufbauen können.
Streeck will sich nach eigenen Worten nach Beginn der Bundestagssitzungswochen erkundigen, warum das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Beiträge zum Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria weiter stark kürzen wolle.
Angesichts der internationalen „politischen Trendwende“ ist aus Streecks Sicht damit zu rechnen, dass bereits erzielte Erfolge im Kampf gegen HIV in Teilen wieder verspielt werden. Die Inzidenz werde moderat ansteigen, zudem wüchsen die Zahlen später Diagnosen und unerkannter Infektionen an.
Durch Therapieunterbrechungen drohten mehr Todesfälle und steigende Morbidität, etwa in Form von opportunistischen Infektionen. Zusätzlich gebe es die Sorge, dass durch immer wieder unterbrochene Therapien auch Resistenzen entstehen könnten, betonte Streeck.
Dass sich die Folgen der gekürzten Mittel nicht nur auf ärmere Länder auswirken dürften, machte die Leiterin der Ambulanz für erworbene Immunschwäche am Universitätsklinikum Münster, Hannah Linke, deutlich. Sie ist auch Vorstandmitglied der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG).
Schon in der Vergangenheit habe sich das Weltgeschehen in deutschen Statistiken zu HIV-Neudiagnosen widergespiegelt, wenn Menschen aus Ländern mit höherer HIV-Prävalenz nach Deutschland gekommen seien, etwa nach Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine.
„Das kommt auch bei uns an“, sagte Linke mit Blick auf die aktuelle Situation. Vielleicht nicht unmittelbar – allerdings könne ein Wiederanstieg von HIV-Infektionen in Ländern des globalen Südens zu gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Krisen und in der Folge zu steigenden Migrationszahlen führen.
US-Kürzungen
Die USA waren traditionell der größte Einzelgeber im Bereich HIV/Aids. Im Januar dieses Jahres hatte US-Präsident Donald Trump die Finanzierung des Programmes zur HIV/Aids-Bekämpfung PEPFAR eingestellt. Die möglichen Folgen war auch eines der zentralen Themen beim Kongresses der International AIDS Society (IAS) in Ruanda im Juli, über den das Deutsche Ärzteblatt berichtete.
Wie umgehen mit Kürzungen
Um trotz der knappen Kassen im Kampf gegen HIV nicht zu weit zurückzufallen, wäre es Streeck zufolge wichtig, wenn der Wirkstoff Lenacapavir – eine Spritze, die bei halbjährlicher Gabe einen hundertprozentigen Schutz gegen HIV bieten soll – und weitere derartige, noch in Entwicklung befindliche Präparate kostengünstig in die Breite gebracht werden könnten. Derzeit sei die Anwendung noch zu teuer.
Zudem müsse geprüft werden, wie viel Geld im Kampf gegen HIV und Aids in die Verwaltung geht. Organisationen müssten schlanker und effektiver werden, so der Virologe.
Mit Blick auf die Lage in Deutschland – einerseits Fortschritte, aber andererseits noch schlecht erreichte Gruppen – plädierten Linke und Streeck für eine Neuausrichtung der allgemeinen HIV-Teststrategie. Man müsse damit Menschen erreichen, die mit einer HIV-Infektion leben und nichts davon wissen.
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Die nötige Zustimmung des Patienten zum HIV-Test sei aus seiner Sicht „mittlerweile etwas aus der Zeit gefallen“, sagte Streeck. „Ich glaube, es sollte viel natürlicher sein, dass man einfach auch seinen HIV-Test macht, dass das nichts Ungewöhnliches ist und dass das auch zu den Check-ups dazugehört.“ Linke nannte auch Notaufnahmen als Beispielgelegenheit für Tests.
Die Sonderrolle des Tests solle zurückgenommen werden, sagte Streeck. Denn es helfe vor allem den Patientinnen und Patienten, da sie mit Behandlung eine normale Lebenserwartung hätten. Die Probleme entstünden vielmehr durch das Nichtwissen.
Auf Seiten der Ärzteschaft sei die nötige Aufklärung über den HIV-Test oft ein Hindernis, überhaupt zu testen, auch aus Zeitgründen, so Linke: „Einfach weil man das Gefühl hat, man muss das jetzt ganz ausführlich erklären, warum ich überhaupt diesen HIV-Test mache.“