Bärbel Bas nimmt bei der Pressekonferenz direkt neben Friedrich Merz Platz, mehrfach spricht der Bundeskanzler seine Arbeitsministerin persönlich an und lächelt. Betont gelassen berichtet Merz von einem gemeinsamen Abendessen am Vortag.
„Wir haben ein ausgesprochen gutes, kollegiales Gespräch gehabt“, sagt der Kanzler über sein Treffen mit der SPD-Chefin. Es sei ein „klärendes Gespräch und auch ein sehr nettes Gespräch“ gewesen, bestätigt Bas. Man habe gemeinsam „zwei Glas Bier“ getrunken.
Ich sage ganz klar: Man muss mich nicht zum Jagen tragen.
Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) über ihren Reformeifer.
Über den Sommer hatte sich die Stimmung zwischen Union und SPD zunehmend verschlechtert. Was mit dem Streit über die Richterwahl losging, mündete in einen offenen Konflikt zur Zukunft des Sozialstaats. Merz will sparen, nannte den Sozialstaat in seiner jetzigen Form nicht mehr finanzierbar.
„Bullshit“, konterte Bas öffentlich. Das kam beim Kanzler gar nicht gut an.
Nun also die demonstrative Versöhnung. Man wolle den Sozialstaat nicht schleifen, nicht abschaffen und auch nicht kürzen, betont Merz. „Wir wollen ihn reformieren.“ Dem stimmt auch Bas zu: „Ich sage ganz klar: Man muss mich nicht zum Jagen tragen“, sagt sie. Es sei eine Chance, gemeinsam darüber nachzudenken, wie die Sozialsysteme auf sichere Füße gestellt werden könnten.
Bundeskanzler und CDU-Parteichef So versucht Friedrich Merz, seine Partei neu für sich einzunehmen
Seit gestern Abend sind die beiden, der Kanzler und die Ministerin, füreinander Friedrich und Bärbel, Markus Söder verkündet das. „Friedrich Merz ist jetzt mit allen von der SPD per Du.“ So weit würde er aber nicht gehen. „Ich bleibe bei meiner Sie-Form, das gibt mir mehr Möglichkeiten.“
Wie weit man inhaltlich vorangekommen ist, bleibt an diesem Abend freilich unklar. Man wolle bis zum Jahresende Eckpunkte für eine Reform des Bürgergeldes vorlegen, um zu einer neuen Grundsicherung zu kommen, heißt es. Da bleibt also noch viel Arbeit übrig für den Herbst der Reformen.
Eine Machtverschiebung bei der SPD
Und auch, ob die Sparvorgaben von Merz beim Bürgergeld – zehn Prozent, also rund fünf Milliarden Euro pro Jahr – eingehalten werden können, scheint fraglich. „Ich kann die Zahl so nicht bestätigen, aber es ist eine Zielbeschreibung“, sagt Bas auf Nachfrage. Sie setzt vor allem darauf, dass wieder mehr Menschen in Arbeit kommen.
„Wenn wir 100.000 Menschen in Arbeit bringen, macht das ein bis zwei Milliarden aus“, sagt sie. Wenn die Wirtschaft nicht anspringe, „haben wir alle ein großes Problem“.
Und so scheinen Union und SPD vor allem weitere Wirtschaftsimpulse setzen zu wollen. Merz kündigt sowohl einen Stahl- als auch einen Autogipfel an. Unternehmen, Gewerkschaften und die Bundesländer, die es jeweils betrifft, sollen beteiligt sein. Davon soll ein Signal für die gesamte Wirtschaft ausgehen, auch für Mittelstand und Handwerk, schildert Vizekanzler Klingbeil später.
Der Finanzminister spricht erst als Vierter und damit Letzter an diesem Abend. Es ist eine Machtverschiebung in der SPD, die im Kanzleramt nebenbei zu beobachten ist. Nach dem Kanzler ist erst einmal Bas dran, als Erste für die SPD. Klingbeil spricht ganz am Ende und hält sich kurz, Ansagen macht er keine. Das hätte es nicht gegeben, als noch Saskia Esken als Co-Vorsitzende amtierte.
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Aber um solche parteiinternen Feinheiten geht es an diesem Mittwochabend nicht, sondern um die Frage, ob die Koalition nach ihrer „Sommerdepression“ (so nennt es Söder) die Kraft findet, sich zusammenzuraufen. Um 21:56 Uhr verlässt Unionsfraktionschef Spahn schließlich das Kanzleramt. Klingbeil und Bas sind da schon weg.
Wie weit die demonstrative Einigkeit tatsächlich trägt? Noch ist man sich in Sachen Sozialreformen eben nicht konkret einig. Wie streng will man in Sachen Bürgergeld sein? Wie viel Kraft findet man, die Sozialsysteme effizienter und übersichtlicher zu machen? All diese Fragen sind noch lange nicht beantwortet.