Liebe Leserin, lieber Leser,

gutes Theater
wirkt nach. Oft Stunden. Manchmal Tage. Und weil der
Zweieinhalb-Stunden-Auftritt von Carsten Brosda, Andreas Dressel, Andy Grote
und Karin Pein in der Landespressekonferenz am Dienstag durchaus theaterhafte
Züge hatte (ich meine das gar nicht wertend, und falls doch, dann rein
positiv), fällt mir erst heute auf, was ich schon vorgestern nicht verstanden
habe. Bei komplexen Inszenierungen kann das schon mal passieren.

Noch einmal die
Handlung: Im ersten Akt, wir erinnern uns, präsentierte Innen- und Sportsenator
Andy Grote seinen neuen Projektleiter für die Hamburger Olympia-Bewerbung. Die
beiden demonstrierten Siegesgewissheit und Kampfesmut – in der italienischen Oper
wäre das eine klassische Tenor-Arie, inhaltlich absolut erwartbar und für die
Handlung nicht entscheidend, aber man hört’s trotzdem immer gern. Nach einer
Weile fragte ein Kollege, welche Lehren aus den gescheiterten Olympia-Anläufen
der Vergangenheit gezogen worden seien – vor allem aus der letzten, als die
Bevölkerung die ganze Sache (für die Beteiligten überraschend) ablehnte. 

Ja,
sagten der Senator und sein Projektleiter, beim letzten Mal sei man sich zu
früh zu sicher gewesen, dass alles wie am Schnürchen laufen werde, man habe die
in der Stadt lebenden Menschen letztlich vergessen. Das soll nicht noch einmal
passieren: Diesmal wird – mit dem Konzept der „Active City“ – die ganze Stadt
systematisch für Sport begeistert, nicht nur als Zuschauer irgendwelcher
Innenstadt-Triathlons, sondern aktiv, vom Kindergarten an (naja, fast), über
Jahre hin. Olympia in Hamburg sei dann keine aufgedrückte Idee mehr, sondern
nur folgerichtig.

© ZON

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Man kann den
Olympia-Plänen immer noch skeptisch gegenüberstehen. Aber dieser Ansatz klingt
sinnvoll. Nachhaltig geradezu.

Dann Pause,
zweiter Akt, Auftritt der Senatoren für Kultur, Finanzen und Stadtentwicklung
mit dem Lied vom Neubau der Staatsoper. Viele bekannte Strophen, ein paar neue.
In seinen zentralen Motiven aber erinnerte der Vortrag stark an das, was zuvor
die beiden Olympioniken über ihre gescheiterte Bewerbung von 2015 gesagt
hatten. Wieder sind der Senat und die angeschlossenen Abteilungen demonstrativ
begeistert und im Kopf schon bei der Eröffnungsfeier, pardon, -premiere. Und
die Leute? Werden es schon noch begreifen. Wird schon schiefgehen, sagt man am
Theater, wenn man hofft, dass alles gut wird.

Ein paar Minuten
zuvor schien der Senat aber aus genau diesen Fehlern doch schon gelernt zu
haben.

Wenn Hamburg also
wirklich 2034 eine Renaissance des Musiktheaters einläuten will, dann wäre
jetzt ein guter Moment, die Leute in der Stadt mal dafür zu begeistern. Oder
wenigstens zu interessieren. Es braucht nicht viel – ein bisschen Live-Musik an öffentlichen Orten, an denen man nicht damit rechnet – die meisten Menschen haben ja schon ein Herz, man muss es
nur bewegen.

Müsste.

Eines Tages wäre dann die neue Oper auch keine
aufgedrückte Idee mehr. Und so weiter.

Ich wünsche Ihnen
einen schönen Tag!

Ihr Florian Zinnecker

PS: Am Freitag, dem 19.
September, nehmen wir beim Reeperbahn Festival eine Live-Folge unseres Podcasts
„Elbvertiefung“ auf. Das Thema: „Hamburgs berühmte Clubs – sind sie zu
retten?“ Beginn: 13.30 Uhr. Zur Teilnahme berechtigt das Festival-Ticket; unter
allen Einsendern, die heute eine E-Mail mit dem Betreff „Ticket“ an hamburg@zeit.de schicken, verlosen wir 2x
zwei Conference-Only-Tickets.

Wollen Sie uns
Ihre Meinung sagen, wissen Sie etwas, worüber wir berichten sollten? Schreiben
Sie uns eine E-Mail an hamburg@zeit.de.

WAS HEUTE WICHTIG IST

© Marcus Brandt/​dpa

Der Senat will im Falle langer Hängepartien bei
der Neubesetzung der Bezirksamtsleitungen eingreifen
können. Ein
entsprechender Entwurf zur Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes sei der
Bürgerschaft zur Entscheidung zugeleitet worden, teilte der für die Bezirke
zuständige Senator Andreas Dressel (SPD) mit. Wenn nicht binnen neun
Monaten nach Auslaufen der Amtszeit eine neue Amtsleitung von der
Bezirksversammlung gewählt wird, soll der Senat berechtigt werden, einen
Nachfolger zu ernennen.  Die CDU als größte
Oppositionspartei lehnte die Pläne ab. „Für die Unabhängigkeit von Bezirken ist
die Überlegung des Senats eher als Drohung zu verstehen“, sagte die für Bezirke
zuständige Fachsprecherin der Bürgerschaftsfraktion, Kaja Steffens. Auf diese
Weise nehme der Senat direkten politischen Einfluss.

Weil sie Kundinnen unerlaubt
Lippen unterspritzt
hat, ist eine 27-jährige Kosmetikerin vom Landgericht
Hamburg wegen gefährlicher Körperverletzung und Betrugs in 33 Fällen zu drei
Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt worden. Zudem wurde die Einziehung von
Wertersatz in Höhe von 5.920 Euro angeordnet, teilte die Gerichtspressestelle
mit. Die Angeklagte soll auf Instagram für die Behandlungen geworben und durch
die Eingriffe insgesamt rund 10.000 Euro eingenommen haben.

Nach einem Jahr Planungs-
und Bauarbeiten öffnet im Umfeld des Hamburger Hauptbahnhofs ein neues Angebot
für suchtkranke Obdachlose
. In der Repsoldstraße im Münzviertel stünden ab
Mitte des Monats 30 Übergangsplätze zur Verfügung, die Betroffenen einen niedrigschwelligen
Zugang zu Hilfeleistungen ermöglichen sollen, sagte Sozialsenatorin Melanie
Schlotzhauer bei einem Besuch der Einrichtung. Ziel sei es, den Menschen eine
Perspektive jenseits der Straße zu bieten. „Gleichzeitig schaffen wir so
Entlastung für den öffentlichen Raum“, sagte die SPD-Politikerin. 

In aller Kürze

Der Komiker Otto
Waalkes (77) bekommt den Deutschen Fernsehpreis für sein Lebenswerk
Bis zu 30 Menschen haben sich am Dienstag in Heimfeld auf der Straße gewaltsam
gestritten
. Es habe sich um „familiäre Streitigkeiten“ gehandelt, hieß es
von der Polizei. Die Polizei nahm sechs Beteiligte in Gewahrsam 

AUS DER HAMBURG-AUSGABE

© Gunter Glücklich

Die Gastgeberin

Unter Autorinnen und Autoren
hat Antje Flemming viele Fans. Jetzt muss die neue Chefin des Literaturhauses
bloß noch das Publikum für sich gewinnen. ZEIT-Redakteur Oskar Piegsa hat sie
getroffen; lesen Sie hier einen Auszug aus seinem Artikel.

Was für ein Empfang. Die
neue Chefin des Literaturhauses war noch keine Woche im Amt, da richteten
Autorinnen und Autoren eine Jubelfeier für sie aus. Im Festsaal der
altehrwürdigen Villa am Schwanenwik, gleich gegenüber der Außenalster, drängte
sich die Literaturszene: Die Buchpreisgewinnerin saß neben der Romandebütantin,
der Krimiautor unweit der Comiczeichnerin, dazu Lyrikerinnen, Kritiker,
Leserinnen und Leser. „Liebe und Anarchie“ war das Motto dieses Abends im Mai
und zugleich seine Inhaltsangabe: Es gab Reden, Musik, Technikpannen,
Durcheinander – und ganz viel Liebe für die neue Hausherrin.

Als Erste stürmte die
Schriftstellerin Simone Buchholz auf die Bühne. „Habemus Flemming!“, skandierte
sie, eine Anspielung auf die Kardinäle, die sich zur gleichen Zeit in Rom
versammelt hatten, um einen der ihren zum Papst zu wählen. Später trat ihre
Autorenkollegin Katharina Hagena ans Mikrofon und erzählte, sie sei aus
Begeisterung über Antje Flemming „eine halbe Stunde auf Knien durchs Zimmer
gerutscht“. Die überschwängliche Stimmung erinnerte weniger an den Petersdom
als an den Sturm auf die Bastille: So, als hätten die Hamburger
Schriftstellerinnen und Schriftsteller sich das Literaturhaus erobert.

Antje Flemming –
kinnlanges blondes Haar, dunkler Blazer, darunter ein T-Shirt mit der Zeichnung
eines Pferdes, das Zigarette raucht – war in die Planung des Abends nicht
eingeweiht. Sie saß an einem Tisch vor der Bühne und ertrug das alles mit dem
Ausdruck eines flirrenden Zustands zwischen leicht verlegen und gut
unterhalten. „Ich mag es eigentlich nicht, mich so feiern zu lassen“, sagte sie
später. „Aber natürlich war ich gerührt.“ Dies also ist die neue Päpstin des
Hamburger Literaturbetriebs.

Wie Antje Flemming das Literaturhaus umbauen will und welche
Herausforderungen dabei auf sie warten, lesen Sie weiter in der ungekürzten Fassung auf zeit.de.

DER SATZ

© María Jesús Contreras/​DIE ZEIT

„Einen Mann hätte ich mir gerne noch gemacht. Einen
Menschen, mit dem ich wirklich arbeiten und sein könnte. […] Aber die Männer
kann man sich ja nicht schnitzen.“

Zehn Bewohner
eines Hospizes in Barmbek erzählen, was sie gerne noch gemacht hätten – die Protokolle lesen Sie hier

DARAUF KÖNNEN SIE SICH FREUEN

Die
nahezu vergessene dänische Autorin Karin Michaëlis und ihr wieder aufgelegter
Roman „Das gefährliche Alter“ werden von Manuela Reichart im Literaturhaus
vorgestellt. Das Buch erschien 1910 und war ein Bestseller: ein Roman über
Empfindungen und Verhaltensweisen von Frauen in den Wechseljahren – damals ein
Skandal. Die Schauspielerin Oda Thormeyer liest Passagen aus dem Buch.

„Ein Karin-Michaëlis-Abend“, Dienstag, 9.
September, 19.30 Uhr, Literaturhaus, auch eine Teilnahme per Live Stream ist möglich

MEINE STADT

Blick über den Reiherstieg in Wilhelmsburg © Frank Meyer

HAMBURGER SCHNACK

Besucher aus
Baden-Württemberg unterhalten sich in der U3 angeregt über Partnerschaft. „Und
wer hat denn nun bei euch in der Beziehung die Schuhe an?“ – „Ich natürlich! Aber
meine Frau sagt mir, welche ich anziehen soll.“

Gehört von
Nora Augustin

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