Und täglich grüßt das Merzeltier: Man kann über Dönerfotos, Robbenbabys, die Klöckner von Notre Dame, gefeuerte Volljuristinnen, Putin-Propaganda, Alice Weidel, Fußball und Stefan Raab schreiben. Aber wenn Bürgergeld auf Bullshit triff, geht es am Ende doch immer wieder nur um den Kanzler.
Woche für Woche verbarrikadiere ich mich mit meinem zu Recht unterbezahlten 70-köpfigen politischen Observierungsteam in einem RTL-Konferenzraum und berate über das Thema für die neue Episode #BerlinTagUndMacht. Zumindest, wenn wir einen Raum finden, in dem nicht gerade hektisch diskutiert wird, was man denn jetzt eigentlich mit Stefan Raab anfangen soll. Dort gehen wir der Frage „Was ist in den vergangenen sieben Tagen im Regierungsviertel passiert?“ minutiöser nach als die Vorstände der Porsche AG der Frage: „DAX – Was kommt eigentlich danach?“
Und dennoch: Jede Woche landen wir früher oder später erneut bei einer Person: Friedrich Merz. Jetzt könnte man sagen: Das ist nicht unbedingt so verwunderlich wie zum Beispiel die Transferpolitik von Borussia Dortmund. Immerhin ist Merz Kanzler. Auch wenn sich inzwischen 78 Prozent aller Bürgerinnen (Männer sind mitgemeint) unzufrieden mit seiner Arbeit zeigen. Das jedenfalls protokolliert der aktuelle „Deutschlandtrend“. Nur noch 22 Prozent Zustimmung.
Da hätte sogar Olaf Scholz mehr. Selbst wenn er gerade dabei erwischt worden wäre, wie er „Besser Cum-Ex als Ex on the Beach“ an das Eingangsportal der Berliner RTL-Residenz schmiert. Mit Blut. Von zuvor von ihm live auf Instagram eigenhändig erwürgten Robbenbabys. Zu Merz‘ Erbauung: Im neuen RTL/ntv-Trendbarometer kommt der Kanzler nicht gut, aber deutlich besser weg.
Die Klöckner von Notre Dame
Somit gibt es ausreichend wissenschaftlich fundiert diagnostizierte Gründe, warum es immer der bodenständige Selfmade-Millionär aus dem sauerländischen Mittelstand ist, der in dieser renommiertesten Analysekolumne des Landes auftaucht. Dennoch möchte ich vermeiden, dass zukünftige Generationen bei der universitären Revision meines Werkes versehentlich davon ausgehen, ich wäre die Biografin von Friedrich Merz. Was also tun, um von Merz loszukommen?
Randnotizen wie „Grüne fallen in der Wählergunst auf Platz fünf zurück“ oder reichweitenvernichtenden Rohrkrepierern wie „Söder isst wieder totgegrillte Teilkadaver“ sind keine Alternative. Die Grünen regieren nicht mehr und von Söder gibt es inzwischen mehr Fotos mit Dönern als FDP-Wähler. Was bleibt also, um diese Kolumne kurz und merzlos zu gestalten?
Eine Variante wäre, sich eine Rampe für unterdurchschnittliche Wortwitze zu bauen. Per desaströsem Boomer-Gag könnten neue Hauptdarsteller aus dem Regierungsviertel ins Revisionsschaufenster gestellt werden. Die Klöckner von Notre Dame etwa. Feinliterarischer Sprachwitz, so anmutend wie ein Saunaabend mit Donald Trump.
Stichwort Julia Klöckner. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte die Bundestagsvizepräsidentin zuletzt allen Mitgliedern des Bundestags untersagt, in ihren Abgeordnetenbüros Fotos von ihr und Jörg Pilawa aus dem Fenster zu hängen. Nun war Julia Klöckner mal Weinkönigin, trotzdem hat sie noch nie jemand heulen sehen. Man kann es also drehen und wenden, wie man möchte: Am Ende ist man doch wieder bei Merz.
Fritze Klein, ging allein, in die Weidel Welt hinein
Der hat diese Woche wieder für ordentlich Stammtisch-Herzrasen gesorgt. Am höchsten schlugen die Wellen der Kommentarspalten-Empörungsflut hierzu: „Putin ist ein Kriegsverbrecher.“ Da war Schnappatmungs-Kirmes in den Berliner Außenbüros des Kreml-Propaganda-Ministeriums. Allen voran die Jeanne d’Arc des Rechtspopulismus, Alice Weidel. Kaum von ihrem Ausflug ins lupenreine Verschwörungstheorie-Milieu zurück („die Anzahl der toten AfD-Politiker in NRW ist statistisch fast unmöglich“), verlas sie umgehend das neueste Merz-Memo ihrer Moskauer PR-Agentur: „Dieser Kanzler ist ein Sicherheitsrisiko!“ Orientiert man sich ausschließlich an Putins Demokratieverständnis, ist es vermutlich normal, anzunehmen, Politiker mit konträrer Meinung würden per Liquidierung aus dem Konkurrenzverkehr gezogen.
Nun könnte man einwenden, das weitaus größere Sicherheitsrisiko für unser Land sei eine gesichert rechtsextremistische Partei. Aber das mache ich nicht. Sonst erhalte ich wieder 1500 hochkarätig formulierte Mails von fleißigen AfD-Ultras mit zu viel intellektueller Tagesfreizeit, die mir versichern, ich könne Weidel nicht das Wasser reichen. Das ist derartige Zeitverschwendung, da widme ich mich lieber den letzten 3000 Instagram-Schnappschüssen, auf denen Markus Söder den Facettenreichtum bayrischer Schweinswurstdelikatessen zelebriert.
Überraschend wenig Empörungslyrik zur Kriegsverbrecher-Beichte des Kanzlers hört man derweil von den Hufeisenschwesterparteien der AfD, den Linken und dem BSW. Vermutlich werden dort gerade aus den Barrikaden, auf die der politische Sozialismusadel sonst stets zuverlässig steigt, sobald irgendwo Kritik an Russland geübt wird, weitere Holzboote für die Gaza-Flotilla gezimmert.
Bas soll das?
Hochmotiviert bis in die für 12.000 Euro gestylten Haarspitzen gelangen Merz im Verlauf der Woche mühelos weitere diskussionskatalysatorisch brisante Einlassungen. Zu ausufernden Kosten beim Bürgergeld etwa: „Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse. So kann es nicht bleiben“. Einen ersten Vorstoß, wie Veränderungen aussehen könnten, hatte er ebenfalls im Sozialgepäck: Zukünftig müssten 10 Prozent eingespart werden. Die sozialdemokratische Alliterationsikone Bärbel Bas (immerhin Bundesarbeitsministerin) hält derartige Sozialsystem-Panik übrigens für „Bullshit“. Willkommen in der stabilsten Regierungskoalition seit der Lindner-D-Day-Ampel.
Derartig in Fahrt spendierte Merz der staunenden Nation direkt weitere Theorien, warum der Sozialstaat in seiner aktuellen Version nicht mehr finanzierbar ist: „Wir arbeiten 200 Stunden weniger als die Schweizer“. Da geht natürlich ein Raunen durch die „Tax the Rich“-Bubble. Alle anderen sind so verwirrt, dass sie vermutlich kurzzeitig denken, Merz könne eventuell Melanie Schweizer meinen. „Hä, wen?“, fragt man da zu Recht. Daher an dieser Stelle ein kurzer Serviceeinschub: Die 1988 geborene Nahostexpertin Melanie Schweizer ist Volljuristin. Voll jetzt im Sinne von zweites Jura-Staatsexamen.
Arbeit muss sich wieder Melonen
Die Schweizer (Melanie) arbeitet mittlerweile mindestens 200 Stunden weniger als die Schweizer (Eidgenossen). Nämlich gar nicht mehr. Bis zum 28. Februar war sie im Bundesarbeitsministerium tätig, damals noch unter Hubertus Heil. Ihr Hang zur Schoah-Verharmlosung („Gaza ist das größte Konzentrationslager der Welt“) und andere antisemitische Ausfälle brachten ihr den Hauptgewinn in der FAFO-Lotterie: Entlassung als Beamtin. FAFO übrigens (das für alle Politikexperten ohne popkulturellen Hintergrund) ist die Abkürzung für „F**k around, find out“. Zu deutsch etwa: Mach ruhig, wenn du das Echo vertragen kannst.
Um sich gebührend beim Polit-Establishment zu rächen, trat Melanie Schweizer für die selektivpazifistische Splitterpartei MERA25 als Bundestagskandidatin an. Eine wohltuend gemäßigt israelkritische Partei, die zuweilen Salman Abu-Sitta auf ihren Veranstaltungen hofiert. Einen Historiker, der Hamas glorifiziert und stolz verkündet, er hätte gerne am Terroranschlag des 7. Oktobers teilgenommen. Nun wird Rache am besten kalt serviert. Sollte das zutreffend sein, ist bei Melanie Schweizer Tropenklima. Nur ungefähr zwei Dutzend Wähler verirrten sich mit ihrem Kreuz zu MERA25, der einzigen Partei mit der Nettozahl ihrer Sympathisanten im Parteinamen.
Aber ich schweife ab. Es geht hier um richtige Politiker. Friedrich Merz vornehmlich. Seine Bilanz sieht fast so ramponiert aus wie die Verkaufszahlen von Tesla. Vor der Wahl versprach er, die AfD zu halbieren, nie Mehrheiten mit ihr zu schaffen, die Schuldenbremse einzuhalten, die Stromsteuer für alle zu senken, illegal Einreisende an der Grenze abzuweisen und die Mütterrente zu erhöhen. Regiert hat er bislang umgekehrt proportional zu diesen Ankündigungen. Inzwischen sind die meisten CDU-Stammwähler erleichtert, dass Merz nie angekündigt hatte, er würde das Bruttoinlandsprodukt verdoppeln.
In der Koalition bleibt man dennoch optimistisch. Vize-Kanzler Klingbeil verkündete jüngst, er sei „zuversichtlich, dass wir besser aus dem Sommer rauskommen, als wir reingegangen sind“. Das ist auch bitter nötig. 78 Prozent der Deutschen scheinen bei der Bewertung der bisherigen Regierungsleistung eher Bärbel Bas zitieren zu wollen als in Euphorie zu verfallen. Ob sich das kommende Woche ändert, erfahren Sie dann hier als Erstes. Also, wenn ein Raum frei ist.