Seit ich trinken kann, ist mein zweiter Vorname »Weißwein«, das hat vermutlich mit obskuren familiären Wurzeln zu tun, einem Großvater aus dem Rheingau, einem Vater aus Franken, einer Mutter aus der Hamburger Bohème, aber nur weil ich zu Beginn meiner Adoleszenz noch alles trank, was sich aus weiß und Wein zusammensetzte, heißt das nicht, dass ich nicht inzwischen wüsste, was ein richtig guter Weißwein ist.
Bis in meine frühen Dreißiger hinein hatte der Weißwein meiner Wahl aus Frankreich zu kommen, irgendwas mit Loire oder Chablis, aber dann hielt ich mich mit drei Freundinnen in Kampanien auf, und der stramme, italienische Kellner, der uns gerade noch jung genug fand, um mit einer nach der anderen heftig zu flirten, servierte zu den Spaghetti allo Scoglio einen »Greco di Tuffo«. Den ersten Schluck werde ich nie vergessen, es war, als müsste ich den Wein kauen. Wir fachsimpelten uns durch das Abendessen und ein bisschen auch durch den Keller, am Ende hatten wir vor allem dank unseres kristallklaren Verstandes herausgefunden, woher die Kraft dieses Weines kam – womöglich daher, dass er auf dem Tuffstein der Umgebung gewachsen war, und die Umgebung hieß »Vesuv«. Seitdem bestehe ich auf dem Qualitätsmerkmal »mineralisch« bei Weißwein, was in meinem Kopf so viel heißt wie »auf steinigem, dunklen Boden gewachsen«, oder auch: Schenk mir das Gefühl ein, uralte Vulkane durch den Kern meiner Existenz fließen zu lassen.
Ich bin mit diesem Gefühl offenbar nicht allein. Vor ein paar Wochen begab es sich, dass ich am Samstag auf dem Aschaffenburger Wochenmarkt war. Aschaffenburg, am Fuße des Spessarts und am Main gelegen, ist die ehemalige Sommerresidenz der Mainzer Kurfürsten, im Herzen also tiefstes Rheingau, und auf dem Wochenmarkt wird selbstverständlich Riesling ausgeschenkt. Mein Begleiter und ich beschlossen, uns trotz der frühen Tageszeit zwei Gläschen zu genehmigen. Mit jenen Gläschen in der Hand spazierten wir an zwei jungen Damen vorbei, die ebenfalls zwei Gläser in der Hand hatten, jedoch mit bonbonfarbenem Rosé, und die eine zur anderen: »Isch merk de Woi gar nett.«
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Was für eine Anklage, nicht nur an den Wein, sondern ans ganze Leben – ist es denn schon so spät am Tag, hab ich zu viel gefrühstückt, wo sind hier die Wirkungstreffer, ich hab doch etwas ganz anderes erwartet, wer bin ich eigentlich? Ich musste mir auf die Zunge beißen, um mich nicht einzumischen und zu sagen: Wenn ihr den Wein wirklich merken wollt, solltet ihr in unseren Gefilden einfach beim Riesling bleiben, ihr Rosé-Opfer.
Der beste Riesling wächst natürlich an der Mosel, und was wäre ich für eine Getränkekolumnistin, würde ich nach so einem zufällig aufgeschnappten Satz nicht direkt dorthin fahren. Recherche-Barbie also live an der Mosel, am Ufer und in der untergehenden Sonne, in der Straußwirtschaft eines x-beliebigen Mosel-Weinguts, Schwäne anbei. Das Glas Riesling in meiner Hand kommt aus einer Steillage, ein schnörkelloser Geselle, aber mit Bumms, da klammern sich die Reben teilweise seit Jahrzehnten in den hohen, steilen Schieferboden, der für eine Geologie-Idiotin wie mich auch irgendwie als vulkanisch durchgeht, der die Wärme speichert und die komplette Geschichte einer der Natur abgetrotzten Kulturlandschaft. Das ist ein Weißwein, der Eier hat. Um diese Trauben zu ernten, muss man sich anstrengen am Berg. Der Riesling ist nicht mal einer der besten, meine Lieblinge gibt es ein Stück die Straße hoch bei Kallfelz und ein paar Kilometer die Mosel runter bei den Amlingers, aber auch der hier kracht im Mund, er ist so spritzig, dass ich gar nicht anders kann, als die Lippen zu schürzen und alles zu merken und zu fühlen, was um mich herum lebt.