Frau Lador-Fresher, am 5. September jährt sich nicht nur das Olympia-Attentat von 1972, es ist auch der erste Jahrestag des Anschlags auf Ihr Generalkonsulat in München 2024.
TALYA LADOR-FRESHER: Ja, für uns vermischen sich nun die zwei Ereignisse. Das Olympia-Attentat überragt natürlich das, was am 5. September letztes Jahr hier geschah. Aber der Anschlag vom letzten Jahr ist ein Resultat dessen, was wir seit zwei Jahren sehen, den ansteigenden Antisemitismus gegen Juden, gegen Israelis, gegen israelische und jüdische Institutionen. Der Antisemitismus nimmt ständig zu. Er nahm vor einem Jahr zu, und er nimmt jetzt zu.

Die Zahl der antisemitischen Vorfälle in Bayern war 2024 fast doppelt so hoch wie im Vorjahr. 1515 Übergriffe wurden registriert. Ragt dann dieser Anschlag vom 5. September überhaupt heraus? Oder ist er nur eins von so vielen Ereignissen, die Ihnen Sorgen machen müssen?
LADOR-FRESHER: Für uns hier im Generalkonsulat ragt er natürlich heraus. Er war ein Terroranschlag, der gegen uns gerichtet war. Viele der antisemitischen Vorfälle sind verbaler Natur, im Internet, in der Öffentlichkeit oder auf Plakaten. Sie alle sind schlimm. Aber dieser Mann war mit einem Gewehr unterwegs und hat auf uns geschossen, auf unser Gebäude. Ich freue mich, dass wir nach wie vor viele Besucher hier bei uns empfangen. Und ich freue mich, dass unsere Fahne immer noch stolz gehisst hier weht. Ich freue mich, dass wir hier immer noch arbeiten dürfen und können. Leute wie der Angreifer werden uns nicht von dem Ziel abbringen, die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland zu vertiefen. Ich komme aus Jerusalem, mein Lieblingsort dort ist der Machane-Yehuda-Markt, ein großer Viktualienmarkt. Dort sind schon so oft Anschläge passiert. Aber man hat das Blut aufgewischt und weitergemacht. Jeweils am nächsten Tag hatte der Markt wieder geöffnet und wir sind dorthin einkaufen gegangen. Deshalb, glaube ich, läuft in meinem Gehirn ständig dieser Film ab, dass wir unbedingt immer weitermachen müssen.

Zwei Polizisten patrouillieren am Morgen nach dem Anschlag um das Israelische Generalkonsulat. Der Attentäter wurde von den Einsatzkräften erschossen.

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Zwei Polizisten patrouillieren am Morgen nach dem Anschlag um das Israelische Generalkonsulat. Der Attentäter wurde von den Einsatzkräften erschossen.
Foto: Matthias Balk, dpa

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Zwei Polizisten patrouillieren am Morgen nach dem Anschlag um das Israelische Generalkonsulat. Der Attentäter wurde von den Einsatzkräften erschossen.
Foto: Matthias Balk, dpa

Wie haben Sie den Tag des Attentats am 5. September hier in München erlebt?
LADOR-FRESHER: Ich war noch zu Hause, als meine Sicherheitsleute mir sagten: Es gibt eine Schießerei in der Nähe des Generalkonsulats. Dann kamen die Videos von diesem jungen Mann. Leute, die hier in der Nähe wohnen, hatten sie aufgenommen. Ich habe gesehen, wie viele Polizisten hier waren. Aber ich wusste auch nahezu von Anfang an, dass keine meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen waren. Zum Glück war das Haus damals geschlossen, wegen der Gedenkfeier für das Olympia-Attentat. Es hat lange gedauert, bis ich grünes Licht bekam und ins Konsulat durfte. Es gab ein riesiges Medieninteresse vonseiten israelischer, deutscher und österreichischer Medien. Ich wollte alles einordnen, wie es ist, worum es eigentlich geht. Man soll die Strömungen hier verstehen. Antisemitismus kommt von der rechten Seite, von der linken, aber auch von der radikal-islamistischen Seite. Die Gesellschaft muss klar und deutlich sagen: „Das ist total falsch.“ Da wünsche ich mir mehr Haltung.

Wie ging es in den Tagen danach weiter?
LADOR-FRESHER: Der Anschlag war an einem Donnerstag. Ich wollte, dass am Freitag alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter da sind. Und sie waren da, Israelis und Nicht-Israelis. Wir wollten am Montag wieder arbeiten. Unsere Sicherheitschefin stand in ständigem Kontakt mit Jerusalem. Wir mussten ein bisschen verhandeln, aber am Montag ging alles wieder seinen Gang. Nur die Einschusslöcher an einem unserer Nebengebäude, die konnte man noch sehen.

Gleichzeitig kamen damals schon täglich neue Nachrichten aus dem Kriegsgebiet im Nahen Osten. Hatten Sie überhaupt Zeit, den Anschlag zu verarbeiten?
LADOR-FRESHER: Ehrlich gesagt, ich habe schon Schlimmeres erlebt. Während meiner Zeit in der Botschaft in London gab es einen Angriff auf mich persönlich. Ich habe damals einen Vortrag an der Uni in Manchester gehalten. Bei der Abreise sahen anti-israelische Teilnehmer mein Auto. Sie haben darauf eingeschlagen, sie waren auf dem Auto, und sie waren so aggressiv. Damals hatte ich wirklich Angst.

Mit diesem alten Armeegewehr, verlängert durch ein Bajonett, schoss der 18-jährige Österreicher am 5. September 2024 um sich.

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Mit diesem alten Armeegewehr, verlängert durch ein Bajonett, schoss der 18-jährige Österreicher am 5. September 2024 um sich.
Foto: Tobias Hase, dpa

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Mit diesem alten Armeegewehr, verlängert durch ein Bajonett, schoss der 18-jährige Österreicher am 5. September 2024 um sich.
Foto: Tobias Hase, dpa

Die Ermittlungen zur Münchner Tat haben letztlich ergeben, dass der Täter ein anti-israelisches Motiv hatte und dass der Angriff eine Reaktion auf das Massaker der Hamas und die Reaktion Israels darauf war. Der Generalstaatsanwaltschaft zufolge hat er sich in die Annahme hineingesteigert, dass Muslime weltweit benachteiligt sind und angefeindet werden. Was sagen Sie als Jüdin zu dieser Aussage?
LADOR-FRESHER: Ich muss sagen, dass zu diesem Konflikt so viele Fake News und falsche Informationen verbreitet werden – auch in Medien, die man eigentlich schätzt. Die Situation im Gazastreifen ist schlecht. Das stimmt. Zwischen einer schlechten humanitären Situation und Begriffen wie Verhungern, Genozid, Völkermord, die jetzt verwendet werden, liegen jedoch Welten. Auf Portalen wie Instagram und TikTok ist es mit den Fehlinformationen noch viel schlimmer. Und deshalb gibt es Leute wie den Attentäter, der ja offensichtlich vor allem durch soziale Medien radikalisiert wurde. Und der dann wirklich geglaubt hat, wir Juden sind der Teufel, den man töten muss.

Selbst in Israel protestieren inzwischen Hunderttausende gegen das Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza. Schwindet auch in der jüdischen Gemeinschaft in Süddeutschland der Rückhalt für Netanjahus Kriegspolitik?
LADOR-FRESHER: Kritik gibt es immer, auch in den jüdischen Gemeinden hierzulande. Das gehört in einer Demokratie dazu. In diesem Sinne glaube ich, es ist fast wie früher. Doch hier in Deutschland machen sich die meisten Jüdinnen und Juden weitaus größere Sorgen wegen der über sie hereinbrechenden Antisemitismuswelle.

Auch abseits des Anschlags sind Jüdinnen und Juden in Bayern Anfeindungen ausgesetzt. Ist der Großteil davon aus Ihrer Sicht im Gaza-Krieg begründet?
LADOR-FRESHER: Jein. Ich glaube, einiges ist der alte Antisemitismus, der vielleicht davor verborgen war. Jetzt bricht er wieder durch. Aber ja, die Situation in Gaza trägt sicher auch dazu bei. Es ist sehr problematisch, dass Leute, auch intelligente Leute, keine Trennung vornehmen zwischen dem Staat Israel und der jüdischen Gemeinschaft hierzulande. Ja, natürlich kann man Israel kritisieren. Ich bin eine israelische Diplomatin. Ich bin bereit für diese Gespräche. Aber eine jüdische Mutter hier in München, mit einem Kindergartenkind vielleicht, ist die falsche Zielscheibe für Anfeindungen und Kritik.

Sie sind seit fast 40 Jahren Diplomatin. War es jemals schwerer, die Politik Ihrer Regierung in Israel zu verteidigen?
LADOR-FRESHER: Diese Zeiten sind objektiv betrachtet wirklich schwer. Nicht nur schwer, sondern sie dauern auch sehr, sehr lang an. Es gab auch andere schwierige Momente. Ende 2008 zum Beispiel, als ich in London arbeitete und Zehntausende vor unserer Botschaft in Kensington teils mit Gewalt gegen die Militäroperation Cast Lead im Gazastreifen protestierten. Aber nie hat es so lange gedauert wie jetzt. Die diplomatische Arbeit hat eigentlich viel mit Austausch zu tun, damit, dass die Länder Berührungspunkte haben, dass Israelis nach Deutschland kommen und Deutsche im Austausch nach Israel reisen. An die klassische diplomatische Arbeit ist seit zwei Jahren nicht zu denken. Ich bin aber überzeugt, dass wir diese in naher Zukunft wieder forcieren können, um damit zum Ausbau und der Vertiefung der engen, freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Israel beizutragen.

Zur Person

Talya Lador-Fresher, geboren 1962, ist seit September 2023 israelische Generalkonsulin in München. Vorher war sie im israelischen Außenministerium tätig, davor wiederum als Botschafterin Israels in Wien und in den israelischen Vertretungen in London, New York und Jamaika.

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