Nach mehr als 40 Jahren haben die Ratzers ihren Plattenladen in die Hände der langjährigen Kunden und Freunde Arnulf Woock und Stéphane Clerc übergeben. Samstag ist Eröffnung.

Arnulf Woock und Stéphane Clerc sind Menschen, denen man nicht beim Umzug helfen möchte. Beide sind musikverrückt und vinylbesessen, in ihren Wohnungen tummeln sich abertausende Schallplatten. Nur so viel: Sie rechnen das Gesamtgewicht nicht in Kilo, sondern in Tonnen. Ausgerechnet diese beiden übernehmen jetzt Stuttgarts traditionsreiche Vinyl-Enklave Ratzer Records am Marienplatz.

Die neuen Inhaber sind alte Bekannte in Stuttgart

Darunter eben auch Arnulf Woock und Stéphane Clerc. Beide kennt man schon lang in der Stadt. Woock als Pressesprecher des großen Konzertveranstalters Musiccircus und Fixpunkt bei so ziemlich jedem großen Konzert in der Stadt; Clerc als DJ, Kurator beim About Pop Festival und Livemusik-Enthusiast. Seit Jahrzehnten sind sie in Stuttgarts Musikbubble unterwegs, sind mit Vinyl aufgewachsen und suchen sich Urlaubsziele bevorzugt in Reichweite besonderer Plattenläden. Nur ein ebensolcher, ein nerdiger Ort wie im Klassiker „High Fidelity“, hat den beiden in der Vita noch gefehlt.

Für sie ist das ein bisschen so, als würden zwei Jungs über Nacht in einem Spielzeugladen eingeschlossen werden. „Für mich geht damit ein absoluter Traum in Erfüllung“, sagt Clerc und sein neuer Kollege Woock kann nur mit strahlenden Augen nicken. Für beide ist ein eigener Plattenladen ein vorzeitiges Ticket ins Paradies. Sie sehen in Läden wie Ratzer Records nicht nur ein Geschäft, in dem man sich mit wunderbarer Musik versorgen kann; für sie sind Plattenläden „soziale Orte“, wie Woock sagt. „Hier begegnet man Menschen, hier treffen Gleichgesinnte aufeinander. Das wollen wir aufrechterhalten – und gerne noch weiter öffnen.“

Der Charme des alten Ladens soll erhalten bleiben

Ebenso wichtig ist es ihnen, den Charme und den Spirit des Originals beizubehalten. „Dazu gehört auch, dass Karl-Heinz Ratzer selbst weiterhin regelmäßig selbst hinter der Theke steht“, so Woock. Für ihn und Clerc ist das Ritterschlag und Ehrensache. Beide kennen Ratzer Records seit den frühen Neunzigern. Nach ihrer Ankunft in Stuttgart war es für sie eine der ersten Anlaufstellen, die schnell zu einem zentralen Ort in ihrem Leben wurde. Und auch wenn Stéphane Clerc und Karl-Heinz Ratzer mal wegen ihres Musikgeschmacks in die Haare gekriegt haben: Aus Kunden wurden über die Jahre Freunde.

Arnulf Woock half schon seit Jahren im Laden aus, wenn die Ratzers mal im Urlaub waren, eine Erkrankung Karl-Heinz Ratzers ließ daraus urplötzlich ganz andere Pläne werden. Jetzt sitzen er und Clerc auf einem Sofa in ihrem neuen Laden – und können ihr Glück kaum fassen. „Wir wollen das Sortiment vorsichtig erweitern und dabei natürlich auch auf das setzen, was wir selbst besonders mögen“, so Clerc. Er möchte auf Jazz, Soul und ganz generell nicht-westliche Musik setzen, Woock bringt Expertise aus Indie, Metal und Hip-Hop mit an den Marienplatz. Kleine Akustikkonzerte (wie am 26. September mit Stuttgarts düsterem Indie-Darling Themis) oder Autogrammstunden (wie am 5. September mit den Post-Punk-Wunderkindern von Berlin 2.0) machen aus einem Plattenladen endgültig ein Tummelbecken für Vinylfreaks, eine neue Heimat für Stuttgarts Musikbubble.

Künftig auch Craft Beer im Angebot

Und nicht nur das: Woock ist auch als ziemlich passionierter Craftbier-Liebhaber und Gründungsmitglied des Talk-Formats „Comics & Bier“ bekannt; da lässt er es sich nicht nehmen, im Ratzer auch noch einen kleinen Bottleshop unterzubringen. „Eine Bar ist der Plattenladen zwar nicht, aber man kann sich gleich noch ein schönes Craftbier zur neuen Vinyl mit nach Hause nehmen“, sagt er und schaut durch das Schaufenster nach draußen. „Oder auf dem Marienplatz nebenan genießen.“

Davor, dass Vinyl irgendwann wieder außer Mode kommt, haben die beiden keine Angst. „Vinyl ist ein Stück Entschleunigung“, sagt Stéphane Clerc. „Man nimmt sich bewusst Zeit für Musik, das ist in der heutigen Zeit etwas Besonderes.“ Arnulf Woock kann da nur zustimmen: „In Zeiten, in denen alles immer verfügbar ist, in denen Songs teilweise gar nicht mehr ganz ausgespielt werden, ist Vinyl eine bewusste Gegenbewegung. Mich wundert es nicht, dass auch so viele junge Menschen wieder zur Schallplatte greifen.“ Vinyl ist außerdem Gemeinschaft. Nur bei dieser Sache mit dem eingangs erwähnten Umzug nicht. Dann sind die beiden wahrscheinlich auf sich allein gestellt.

Ratzer Records startet neu durch

Feier
Die Wiedereröffnung beginnt am Samstag, 6. September um 10 Uhr. Die künftigen Öffnungszeiten sind: Donnerstag 16-20 Uhr, Freitag 11-22 Uhr, Samstag 11-20 Uhr