Wenn ihre Vierbeiner lange in leere Räume starren oder plötzlich ohne ersichtlichen Grund bellen, gibt das vielen Hundebesitzer*innen schnell Rätsel auf. Ist ihr Haustier einfach nur ein bisschen schräg – oder verfügt es über einen sechsten Sinn und kann Dinge spüren und wahrnehmen, die Menschen verborgen bleiben? Zu Beginn des Horrorthrillers „Poltergeist“ (1982) werden etwa mit beispielhaftem visuellem Storytelling (man beachte, wie lange die Kamera bei wem verharrt und dass Gesichter unwesentlicher Figuren nicht zu sehen sind) alle Mitglieder der Familie Freeling durch einen nächtlichen Hausrundgang ihres Golden Retrievers E. Buzz vorgestellt, bevor er später als Erstes bemerkt, dass etwas in dem neuen Domizil ganz und gar nicht stimmt.

Ben Leonberg hat den Klassiker nach eigenem Bekunden gut 100 Mal gesehen – und war vor allem von der Rolle des Vierbeiners angetan. Nachdem er seinen ironischen Horror-Kurzfilm „Dead Head“ bereits aus Sicht eines abgetrennten, auf dem Heuboden liegenden Zombiekopfs filmte, entwickelte der genreaffine Filmemacher für seinen ersten abendfüllenden Spielfilm eine weitere Idee für eine originelle Erzählperspektive – und setzte diese mit seinem jungen Hund namens Indy auch direkt um. Der Horrorthriller „Good Boy – Trust His Instincts“ ist konsequent aus der Sicht des Vierbeiners erzählt, was dem atmosphärisch dichten Eröffnungsfilm des diesjährigen Fantasy Filmfests eine ungeahnte emotionale Dimension verleiht.

Nova Scotia Duck Tolling Retriever Indy spielt das menschliche Personal mit Leichtigkeit an die Wand.

DCM

Nova Scotia Duck Tolling Retriever Indy spielt das menschliche Personal mit Leichtigkeit an die Wand.

Der gesundheitlich angeschlagene Todd (Shane Jensen) wird von seiner Freundin Vera (Arielle Friedman) gerade noch rechtzeitig aus einer misslichen Lage gerettet. Zur Erholung beschließt der junge Mann, zusammen mit seinem treuen Hund vorübergehend in das abgelegene Haus seines verstorbenen Großvaters zu ziehen. Schnell bemerkt das Tier jedoch, dass hier eine bedrohliche düstere Gestalt umgeht, die es auf ihn und sein Herrchen abgesehen hat…

Kameramann Wade Grebnoel hat seine Kamera äußerst tief montiert – und begegnet dem tierischen Protagonisten damit nicht nur bei Szenen aus der First-Person-Perspektive und in wahrhaft gruseligen, mit Symbolik aufgeladenen Albtraumsequenzen im wörtlichen Sinne auf Augenhöhe. Das alte, knarzende Haus mit seinen alten Möbeln wird in permanenter Untersicht eingefangen, was durch große und teils schiefe Räume allein schon für reichlich Beklemmung sorgt. Die menschlichen Protagonisten, über deren wenige, spröde Dialoge sich nur vage die Hintergründe des Spuks erschließen, sind nur selten mit Gesicht im Bild zu sehen. Ein kurz über den Röhrenfernseher flimmerndes Homevideo von Todds Großvater und bedeutungsschwangere Hinweise zum Grauen im Keller lassen den Horrorthriller kurz Richtung „Tanz der Teufel“ (1981) abbiegen. Doch das offenbart sich als geschickt gelegte falsche Fährte.

Der Hund ist der mit Abstand beste Darsteller

Der tierische Hauptdarsteller spielt die blass bleibenden Zweibeiner dabei regelrecht an die Wand. Zwischen neugierigem Schnüffeln, erwartungsvollem Starren, verängstigtem Sorgen um sein Herrchen und purer Panik, wenn er etwa vor einer schnaufend die Treppe hinaufsteigenden Gestalt unters Bett flüchtet, zeigt Nova Scotia Duck Tolling Retriever Indy eine beeindruckend vielseitige Mimik – und wächst dem mit ihm leidenden Publikum, das genauso von den unheimlichen Geschehnissen verstört ist wie er, zunehmend ans Herz.

Das ist das Ergebnis harter Arbeit: Da der vierbeinige Protagonist natürlich nicht ganz so empfänglich war für Regieanweisungen wie seine zweibeinigen Pendants, musste Regisseur Leonberg nehmen, was er durch Hundetraining und für ein paar neben der Kamera präsentierte Leckerlis von ihm bekommen konnte. Die Dreharbeiten seines Debütwerks zogen sich über 400 Tage (!) verteilt auf drei Jahre hin.

Bild 2: Was geht in dem abgelegenen, konsequent dunkel ausgeleuchteten Haus von Herrchen Todd vor sich?

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Bild 2: Was geht in dem abgelegenen, konsequent dunkel ausgeleuchteten Haus von Herrchen Todd vor sich?

Leonberg erweist sich aber auch als hervorragender Filmhandwerker: Der neblige Wald, das unentwegte Schietwetter und das (manchmal etwas arg) schummrig ausgeleuchete Haus sorgen für äußerst atmosphärische Gruselstimmung, zu der auch die bedrohlich grollende Klangkulisse mit Trommelgewummer von Komponist Sam Boase-Miller maßgeblich beiträgt. Auch wenn sich im Hintergrund nahende Schatten als Spannungstreiber irgendwann etwas abnutzen, so beweist er bei ein paar präzise gesetzten Jumpscares souverän, dass er den Puls des Publikums in die Höhe zu treiben versteht.

Fazit: „Good Boy“ zieht sein Konzept, einen Horrorfilm komplett aus der Perspektive eines Hundes zu erzählen, gnadenlos durch. Der tierische Hauptdarsteller gerät dabei zum Sympathieträger – während die menschlichen Darsteller*innen und die wenigen Dialoge etwas schwächeln. Trotzdem ist ihm ein effektvolles, mit gerade mal 73 Minuten erfreulich auf den Punkt inszeniertes Debütwerk gelungen.