Der Landtagsabgeordnete Friedrich Haag ist Pächter von zwei Tankstellen in Stuttgart. Nicht nur in diesen wurden Produkte verkauft, deren Handel seit langer Zeit illegal ist.

Der Stuttgarter Abgeordnete Friedrich Haag sitzt seit März 2021 im Landtag. Im Filderwahlkreis (Stuttgart II) ergatterte er für die FDP mit 12,9 Prozent damals ein Zweitmandat; seit 2024 ist er für die Liberalen auch im Stuttgarter Gemeinderat. Recht und Ordnung sind Kernthemen des 35-Jährigen Einzelhandelskaufmanns. Vor wenigen Wochen beschäftigte sich das Stuttgarter Amtsgericht mit Geschäften von Haag. Der hatte gegen einen Strafbefehl, der eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen vorsah, Einspruch eingelegt. Die Zahlungsaufforderung, die den Abgeordneten nun erwartet, ist sechsstellig.

Friedrich Haag hat viele Hüte auf. Im Nebenerwerb sitzt er als Landwirt auf dem Traktor, hauptsächlich aber führt er als Unternehmer seit 2015 zwei RAN-Tankstellen der Südramol-Gruppe (Burgau) in Weilimdorf und Wangen. Geld bringt den Pächtern nicht nur der Verkauf von Diesel und Benzin, sondern das, was Autofahrer im Shop mitnehmen. Haag hatte laut Staatsanwaltschaft als Gewerbetreibender tabakhaltige und tabakfreie Nikotin-Pouches an seine eigenen und diverse andere Tankstellen verkauft. Die Ware heißt Black Snus und White Snus, das sind Beutel mit oder ohne Kautabak, teils mit recht hohem Nikotingehalt. Der Verkauf ist in der EU, mit Ausnahme von Schweden, bereits seit mehr als zehn Jahren verboten. Die Klage eines schwedischen Herstellers vor dem Europäischen Gerichtshof 2004 änderte daran nichts.

45 000 Dosen Kautabak

Das Verfahren einer anderen Staatsanwaltschaft hatte die Stuttgarter Ermittler auf die Spur von Haag gebracht, denn er war als Lieferant benannt worden. In den Lagerräumen der Stuttgarter Tankstellen stießen die Ermittler auf über 5000 Dosen Black und White Snus. Abrechnungen belegten zudem laut Staatsanwaltschaft den Verkauf von rund 40 000 Dosen White Snus von Mai 2021 bis Mai 2022 an diverse Abnehmer, auch außerhalb Baden-Württembergs. Die weiteren Ermittlungsverfahren gegen diese Bezieher gab die Stuttgarter Staatsanwaltschaft ab.

Um einen Strafbefehl mit einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen gegen Friedrich Haag erwirken zu können, war der Antrag auf Aufhebung seiner Immunität gestellt worden. Dem entsprach der Landtag am 24. Juni 2024. Zu Einzelfällen und Immunitätsangelegenheiten äußere man sich nicht, heißt es in der Landtags-Pressestelle. In der laufenden Wahlperiode sei die Immunität in acht Fällen aufgehoben worden, Abgeordnete könnten „auch mehrfach betroffen sein“.

Kein Eintrag ins Führungszeugnis Die Kautabakprodukte, um die es geht, dürfen in der EU nicht verkauft werden – außer in Schweden. (Symbolfoto) Foto: imago/Pond5 Images

Der Strafbefehl wurde vom Amtsgericht Stuttgart erlassen, Haag legte vollumfänglich Einspruch ein. In der Hauptverhandlung am 7. Juli dieses Jahres ging es dann vor allem um die Zahl der Tagessätze. Eine Verurteilung zu mehr als 90 hätte zu einem Eintrag ins Bundeszentralregister und in das Führungszeugnis geführt. Das konnten Haag und sein Anwalt vermeiden. Er wurde zu 90 Tagessätzen verurteilt. Das Verfahren sei letztlich „kooperativ“ abgelaufen, man habe dem Verurteilten keinen Vorsatz für die Straftat nachweisen können, heißt es bei der Staatsanwaltschaft.

Wie hoch ist der Tagessatz?

Fragen unserer Redaktion nach der absoluten Strafhöhe ließ Haag unbeantwortet. Sie lässt sich aus der Abgeordnetendiät (seit 1. Juli 2025 sind es 9322 Euro im Monat) und der Aufwandsentschädigung als Stadtrat (1900 Euro im Monat) auf rund 18 000 Euro schätzen, dazu kommt sein Unternehmer-Einkommen. Das Gericht zieht auch jene 183 161,60 Euro ein, die er aus dem Verkauf der Kautabak-Dosen erlöst hatte. Insgesamt erwartet ihn eine Zahlungsaufforderung über rund 200 000 Euro. Er werde sie „nach dem Eingang des Bescheids begleichen, damit ist die Sache dann erledigt“, so Haag schriftlich auf Anfrage.

Vorwurf an Kontrolleure und Polizei

Er sei von einer „rechtlich tragfähigen Vermarktung“ ausgegangen und habe „verantwortlich gehandelt“, so der Abgeordnete. Den Aufsichtsbehörden wirft er vor, bei Kontrollen in seinen Tankstellen keine Mitteilung an ihn gegeben zu haben, „obwohl die Produkte sichtbar auslagen“. Selbst Polizeibeamte hätten die Snus bei ihm erworben, so Haag, und „zahlreiche weitere Händler, auch in der Umgebung“ würden sie anbieten. Ein Ermittlungsverfahren konnte die Staatsanwaltschaft zu diesen Händlern nicht einleiten, weil nichts Näheres zu diesen mitgeteilt worden sei. Man habe die Lebensmittelbehörde informiert. An der Verurteilung ändere sich dadurch nichts.

Die FDP zeigt sich überrascht

Am Vorgang hätte womöglich auch die FDP Interesse gehabt. Der Kreisverband hatte Haag am 1. Februar erneut als Landtagskandidaten nominiert, Haag steht auf der Landesliste nicht weit hinter Spitzenkandidat Hans-Ulrich Rülke auf Platz 6. Fragen, wann er die Liberalen über das Strafverfahren informiert habe, beantwortete Haag nicht. Er sehe „keine Auswirkungen auf meine politische Arbeit“, so der Abgeordnete. „Ich höre zum ersten Mal von dem Sachverhalt“, sagte die FDP-Kreisvorsitzende Gabriele Reich-Gutjahr jetzt unserer Zeitung. Sie will ihn am 15. September bei der Kreisvorstandssitzung zur Sprache bringen, „damit andere nicht Kapital daraus schlagen“. Die Gemeinderatsfraktion sei von Haag vor ein paar Wochen über ein Urteil informiert worden, sagt deren stellvertretender Vorsitzender Eric Neumann. Dabei sei es um eine „Produktfrage“ gegangen. Bei der Frage nach der 200 000-Euro-Zahlung zeigt sich Neumann überrascht. „Diese Größenordnung war nicht bekannt, das ist ein dickes Brett“, sagt er. Haag genieße dennoch weiter das Vertrauen der Fraktion.