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Crack-Szene, Gewalt und Gangs in der Nordstadt: Viele Dortmunder wollen nur noch weg. Das könnte der AfD bei der Kommunalwahl in die Karten spielen.
Dortmund – Auch wenn es wahrscheinlich ist, dass der Dortmunder Oberbürgermeister auch künftig ein SPD-Parteibuch haben wird, befindet sich die Stadt politisch im Umbruch: Die AfD hatte gute Chancen, bei der Kommunalwahl am 14. September stark zuzulegen. Und SPD und Grüne befinden sich nach eine Forsa-Umfrage im freien Fall.
An einem trüben Sommertag herrscht in der Dortmunder Innenstadt dennoch lebhafter Betrieb. Auf dem Westenhellweg drängen sich Passanten, Cafés sind gut besucht, und kleine Gruppen mit Regenbogenfahnen bereiten sich auf den CSD vor. Parteien wie Volt, das BSW und ein unabhängiger OB-Kandidat werben um Stimmen – doch viele laufen vorbei. Die Kommunalwahl am 14. September wirkt noch fern.
Dortmund vor den NRW-Kommunalwahlen: Sexualstraftaten und Gangs
Doch so belebt und normal wie an diesem Samstagmittag geht es in der Innenstadt nicht immer zu: Die Crack-Szene hat Teile der Mitte vor allem abends und am Wochenende fest im Griff. Aggressives Betteln ist an der Tagesordnung, und vor den Geschäften haben Obdachlose ihre Schlafsäcke ausgerollt. Über die Standorte neuer Drogenkonsumräume gibt es Streit. An keinem anderen Hauptbahnhof in Deutschland kommt es zu mehr Sexualstraftaten, Gewalttaten erschüttern die Menschen, Krankenhauspersonal wird immer wieder angegriffen, und in der Nordstadt kommt es zu Auseinandersetzungen von Migranten-Gangs. In den grünen Hochburgen im Kreuzviertel und im Saarlandstraßenquartier regen sich die Anwohner auf, weil die Stadt immer mehr Parkplätze gestrichen hat.
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Die Dortmunder lieben ihre Stadt, waren lange stolz auf sie, der BVB spielte dabei eine wichtige Rolle. Vieles ist hier in den vergangenen Jahrzehnten richtig gemacht worden: Früher als andere Städte setzte Dortmund auf Hightech und Unternehmensgründungen, und als das Stahlwerk Phoenix im Stadtteil Hörde schloss, bauten sie hier ein schickes Wohnquartier um einen künstlichen See, der größer ist als die Hamburger Binnenalster. Doch die Zeiten sind vorbei. Der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA liegt eine vom Meinungsforschungsinstitut Forsa erstellte repräsentative Befragung der Dortmunder Bürger vor. Demnach würden 30 Prozent von ihnen die Stadt verlassen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. Vor fünf Jahren sagten das nur 15 Prozent. Für 22 Prozent der Dortmunder sind nun Ausländer eines der größten Probleme der Stadt (2020: 5 %), 18 Prozent stören sich an den sozialen Brennpunkten (2020: 8 %) und an der Verödung der Innenstadt (2020: 6 %). Kriminalität, Drogen, die Lage auf dem Wohnungsmarkt – in vielen Bereichen hat die Unzufriedenheit seit der letzten Kommunalwahl zugenommen.
AfD könnten die großen Gewinner werden
Und das wird bei der Wahl deutlich werden, wenn die Forsa-Umfrage zutrifft. Herbert Wehner nannte Dortmund einmal die „Herzkammer der Sozialdemokratie“. Die Zeiten sind lange her. Am 14. September muss die SPD mit einem Ergebnis von nur noch 24 Prozent rechnen (2020: 29 %) und läge gleichauf mit der Union, die leicht zulegen könnte. Und die Grünen würden von über 24 auf nur noch 17 Prozent abstürzen. Die großen Gewinner könnten am Wahlabend die AfD mit 15 Prozent (2020: 5 %) und die Linke mit 10 Prozent (2020: 5,6 %) werden. Ein Erdbeben für die Stadt, auch wenn die AfD, sollte das Wahlergebnis der Forsa-Umfrage entsprechen, in Dortmund immer noch deutlich schwächer wäre als im Bund.
Was sich hingegen wahrscheinlich nicht am 14. September entscheiden wird, ist die Frage, wer in den kommenden fünf Jahren Oberbürgermeister wird. Amtsinhaber Thomas Westphal (SPD) führt in der Forsa-Umfrage mit 17 Prozent vor seinem Herausforderer Alexander Kalouti (12 Prozent). Die Kandidaten von AfD und Grünen liegen bei neun Prozent. Es sieht also im zweiten Wahlgang nach einem klassischen Duell zwischen SPD und CDU aus.
OB Westphal sieht die Ergebnisse der Forsa-Umfrage skeptisch: „Die Stadt führt regelmäßig eigene Befragungen durch – und dort sehen wir solche Ergebnisse so nicht. Für mich ergibt sich daraus kein stimmiges Gesamtbild.“ Die Kritik zeige doch genau das Gegenteil: „Wer kritisiert, der möchte, dass sich Dinge verändern. Das beweist, dass den Menschen ihre Stadt wichtig ist.“ Und die Kritik nimmt er ernst: „Wir müssen die Drogenszene aus der Innenstadt herausholen – insbesondere in den Nacht- und frühen Morgenstunden ist sie dort sehr präsent. Das sind wir auch den Menschen schuldig, die dort leben, arbeiten oder unterwegs sind.“
„Ich will mit den AfD-Wählern sprechen, aber nicht mit der AfD selbst“
Er setzt auf Hilfe und Repression. Crack verschärfe die Lage zusätzlich. Aber dieses Problem teile Dortmund mit vielen anderen Städten. „Es ist ärgerlich, dass das Drogenthema den Eindruck erweckt, die gesamte Innenstadt liege im Sterben. Das trifft absolut nicht zu. Wir haben viele gute Geschäfte und die Frequenzzahlen, also die Zahl der Besucher der Innenstadt, ist höher als vor Corona. Wir sehen immer wieder neue Besucherrekorde.“ Westphal sagt, er habe bereits damit begonnen, den Parkplatzabbau zu stoppen. „Wir sagen in diesem Wahlkampf, wir stoppen den Parkplatzrückbau.“ Westphal glaubt, dass viele der Menschen, die früher vielleicht SPD gewählt haben, das heute aus Frust nicht mehr tun – weil sie sich nicht mehr wahrgenommen fühlen. „Das ist ein klares Warnsignal für uns als SPD. Deshalb ist es wichtig, das Gespräch mit diesen Wählern zu suchen. Ich will mit den AfD-Wählern sprechen – aber nicht mit der AfD selbst.“ Die Partei habe sich massiv radikalisiert.
Er hat auch einen Plan, was er in den kommenden fünf Jahren anstoßen will, wenn er wiedergewählt wird: „Infrastruktur und Investitionsprogramm weiterentwickeln und nochmal weiter ausbauen – das sind die Kernpunkte auch für die Menschen in der Stadt, die sich dann hinter den anderen Themen deutlich darstellen.“ Auch der Wohnungsbau sei sehr wichtig. „In den letzten fünf Jahren waren wir da nicht so schlecht: Wir haben etwa 8.000 neue Wohnungen gebaut.“
Drogenpolitik als Pull-Faktor
Alexander Kalouti ist der Ansicht, dass es gute Gründe gibt, warum erstmals seit 1946 wieder ein Christdemokrat Dortmunder OB werden könnte: „Ich erlebe das in Gesprächen – von der alleinerziehenden Mutter bis zum CEO eines Unternehmens und sogar innerhalb der Stadtverwaltung –, dass man das Gefühl hat: Die Probleme der Stadt werden nicht angegangen.“ Im Bereich Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung – nicht nur in der Innenstadt, sondern auch in den Stadtteilzentren – gehe es nach Meinung der Bürger spürbar in Richtung Verwahrlosung.
Crackkonsument in Dortmund. © Markus Matzel/imago
In der Drogenpolitik steht Kalouti für einen harten Kurs: „Durch zusätzliche Drogenkonsumräume erhöht man sogar noch die Anziehungskraft. Das schafft einen Pull-Faktor. Und dann hat Rot-Grün auch noch die Wohnsitzauflage ausgesetzt. Damit holen wir uns Leute aus dem Umland nach Dortmund und verschärfen die Lage zusätzlich.“ Er will den öffentlichen Drogenkonsum massiv einschränken – durch die Wiedereinführung der Wohnsitzauflage und verstärkte Präsenz des kommunalen Ordnungsdienstes und gleichzeitig mehr in die aufsuchende Sozialarbeit investieren, um Betroffene in die vorhandenen Hilfseinrichtungen zu bringen. Kaloutis Sorge ist, dass eine künftige Welle der in den USA schon extrem verbreiteten Todesdroge Fentanyl Dortmund hart treffen wird, wenn nicht gegen die Drogenszene vorgegangen wird: „Ich bin ganz offen für eine Null-Toleranz-Strategie, bei der es darum geht, den Drogenkonsum so unattraktiv wie möglich zu machen.“
Verwahrlosung in Dortmund: „Gefühl von Sicherheit geht verloren“
Er findet es alarmierend, dass fast jeder Dritte Dortmunder am liebsten wegziehen will: „In den letzten Jahren hat sich vieles verändert. Das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit geht verloren. Die Menschen verlieren das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit ihrer Stadt.“ Dazu komme die weiterhin hohe Arbeitslosigkeit von 12 Prozent. „Wir sind im dritten Jahr der bundesweiten Rezession – und ein Rückgang der Arbeitslosigkeit ist nicht in Sicht.“
Kalouti will, dass sich auch in Dortmund mehr Menschen den Traum vom Eigenheim erfüllen können. Er will, dass sie das Auto nutzen können, wenn sie wollen, und nicht Objekt von Verkehrserziehung werden. Der Aufstieg der AfD bereitet ihm wie Westphal Sorge. Die Menschen hätten das Vertrauen verloren: „Ich meine damit die 85 Prozent, die diese Gesellschaft tragen. Die Mitte. Wir haben sie aus dem Blick verloren – uns stattdessen auf Randthemen konzentriert oder auf Probleme, die eigentlich gar keine sind.“ Es sei wichtiger, dass die Straßen saniert würden, als dass die Stadtverwaltung jedes Dokument korrekt gendere.
Dass in Dortmund zwei OB-Kandidaten von SPD und CDU am Ende wahrscheinlich im zweiten Wahlgang stehen, ist auch in NRW und vor allem im Ruhrgebiet keine Selbstverständlichkeit mehr. In Duisburg und Gelsenkirchen könnte es sich zwischen SPD und AfD entscheiden. AfD und auch Linke haben gute Chancen, in Nordrhein-Westfalen deutlich zuzulegen. Und dass in Dortmund mit Matthias Helferich, der sich einmal selbst das „freundliche Gesicht des NS“ nannte und der von der AfD rausgeworfen wurde, für den Rat kandidiert, scheint die Wähler nicht zu stören. Die Ergebnisse der ersten großen Wahl nach der Bundestagswahl im Februar werden viele erschrecken.