Es ist ein Superlativ der besonderen Art: Weil die Bahnstrecke zwischen Berlin und Hamburg saniert wird, ersetzt der bislang größte Schienenersatzverkehr (SEV) Deutschlands mit rund 170 Bussen neun Monate lang alle Regionalzüge auf dieser Verbindung. Die meisten Fahrgäste haben für dieses Prädikat allerdings keinen Nerv,  denn sie sind länger unterwegs. Die Verantwortlichen haben angekündigt, das Bus-Angebot zu überprüfen und falls nötig nachzusteuern. Jetzt gab der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) bekannt, was sich noch in diesem Monat ändern soll.

Als Tester inkognito unterwegs: Patrick Fiedler gehört zu den Mitarbeitern des Verkehrsverbunds, die immer wieder den Mega-SEV überprüfen. Es gibt 28 Buslinien, rund 500 Fahrer sind im Einsatz. Allein für die Strecken im Land Bandenburg werden bis zu 80 Busse, auch dort an ihrer Farbe Verkehrspurpur erkennbar, eingeteilt.

Statt 100 Minuten dauert die Reise nun zwei Stunden länger

Fiedler ist ebenfalls aufgefallen, dass die Linie X4 zwischen Wittenberge, Kyritz und Wustermark schwach frequentiert ist. Nur wenige Menschen begeben sich dort auf die weite Reise in Richtung Hauptstadt. Verwunderlich ist das nicht, denn obwohl die Expressbusse unterwegs nur selten halten, hat sich die Reisezeit Wittenberge–Berlin von knapp 100 Minuten auf mehr als drei Stunden und 40 Minuten verlängert.

Es war also absehbar, dass diese Linie bei der Überprüfung des SEV-Angebots besonders im Blickfeld steht.  Inzwischen zeichnet sich ab, was sich im September auf der Linie X4 ändert, sagte Fiedler der Berliner Zeitung. „Der Fahrplan soll nicht ausgedünnt werden. Doch wir werden nachsteuern“ – indem alle Fahrten nur noch mit jeweils einem Bus abgewickelt werden. „Doppeltraktionen“, Busse fahren kurz hintereinander, soll es auf dieser Route nicht mehr geben, erklärt der Planer. Das bedeutet: Fahrzeuge werden frei.

Durch die Sperrung der Bahnstrecke Berlin–Hamburg ist auch Falkensee (Landkreis Havelland) bis Ende April 2026 vom Zugverkehr abgehängt. Signale liegen an der Strecke.

Durch die Sperrung der Bahnstrecke Berlin–Hamburg ist auch Falkensee (Landkreis Havelland) bis Ende April 2026 vom Zugverkehr abgehängt. Signale liegen an der Strecke.Sebastian Gollnow/dpa

Zusammen mit den Partnern des Konsortiums EcoVista, das den SEV im Auftrag der Bahnunternehmen betreibt, hat der Verkehrsverbund mögliche neue Einsatzgebiete ausgemacht. Die Planer haben festgestellt, dass die Fahrgastnachfrage im Berliner Speckgürtel am größten ist und jenseits von Nauen nachlässt. Deshalb sieht das jetzige Konzept vor, frei werdende Busse dort als Verstärkung einzusetzen.

„Der SEV zwischen Falkensee und dem Bahnhof Dallgow-Döberitz wird gut genutzt“, sagt Fiedler. Dort soll es weitere Fahrten geben. Auch das Angebot von und nach Nauen soll ergänzt werden. Welche Linien in welcher Weise profitieren sollen, werde noch ausgelotet. Aber klar sei: Im Landkreis Havelland seien Verbesserungen in Sicht.

Zum Schulanfang wird es noch nichts – aber im Laufe des September

Allerdings noch nicht zum Beginn des neuen Schuljahres am Montag, wie man beim Verkehrsverbund jetzt eingestand. Eine Vielzahl von Fragen müsse noch abschließend beantwortet werden, erklärte Patrick Fiedler. Zum Beispiel: Wo werden die Busse nachts abgestellt? Dienstpläne müssen neu geschrieben, Arbeitnehmervertreter beteiligt werden. Denn nicht nur innerhalb der Flotte wird  umgeschichtet: Auch Fahrer bekommen andere Einsatzstellen – und müssen möglicherweise umziehen. Zum 8. September, gleich nach den Sommerferien, wird es also noch nichts.

Doch beim VBB ist man zuversichtlich, dass die Anpassungen im Laufe des Monats in Kraft treten können. Ende August gab es bereits erste Fahrplanänderungen, berichtet Fiedler. In Dallgow-Döberitz wurden Ankunfts- und Abfahrzeiten der Busse leicht verändert, um Anschlüsse zum Zugverkehr zu verbessern. Bei größeren Zugverspätungen nützt aber auch dies nichts, wie der Planer eingestand. Solche „Anschlussbrüche“ kämen immer wieder vor. Das Umsteigen zwischen den SEV-Bussen klappt dagegen fast immer.

Die kurzfristig eingerichtete Pendlerverbindung zwischen Wittenberge und Stendal, auf der anfangs einige Bus-Ausfälle die Fahrgäste verärgerten, funktioniert inzwischen zuverlässig, betont der VBB-Planer.

Auch die Strecke von Berlin nach Bitterfeld wird bald zur Großbaustelle

Klar sei aber auch: Wenn Züge durch Busse ersetzt werden, Fahrzeiten länger werden und neue Umsteigezwänge entstehen, nutzen viele Fahrgäste lieber andere Optionen. So arbeiten viele Pendler zu Hause, steigen aufs Auto um, oder der Arbeitgeber richtet für sie einen Shuttle ein. Als die Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim baubedingt gesperrt und SEV eingerichtet wurde, sank die Fahrgastzahl auf magere 20 bis 30 Prozent. Ähnlich sei es auch zwischen Berlin, Wittenberge und Hamburg, sagt Fiedler. Ein guter Zugverkehr lasse sich nun einmal nicht voll und ganz ersetzen.

Die Generalsanierung des Hochleistungskorridors Berlin–Hamburg, die am 1. August 2025 begann, soll bis zum 30. April 2026 dauern. Fernzüge werden über Stendal umgeleitet, die Fahrzeit zwischen den beiden größten Städten Deutschlands verlängert sich dadurch um mindestens 45 Minuten.

Ein umfangreiches Verkehrskonzept sorge dafür, dass Reisende im Fern- und Regionalverkehr mobil bleiben, teilte die Bahn am Freitag mit. Der Ersatzverkehr verlaufe „verlässlich und stabil“, hieß es in einer Mitteilung.

Die DB InfraGO und EcoVista hätten auf die Hinweise von Fahrgästen und Gemeinden in den ersten vier Wochen reagiert. So wurden an Bushaltestellen zusätzliche Wetterschutzhäuser und mehr Sitzbänke aufgestellt. Am Bahnhof Dallgow-Döberitz entstehen zusätzliche Abstellmöglichkeiten für Fahrräder, an anderen Stationen wird die Wegeleitung optimiert. Zudem stellt die DB InfraGO in Quitzow, Kyritz Bürgerpark, Bad Kleinen, Boizenburg und Wustermark Sanitärcontainer mit Toiletten auf.

Bahnhof Südkreuz wird ab Oktober vom Fern- und Regionalverkehr abgehängt

Wie angekündigt, wird nach der Hamburger Bahn auch die Anhalter Bahn zur Baustelle.

Vom 24. September bis 13. Dezember 2025 sperrt die DB ihre 130 Kilometer lange Strecke von Berlin Südkreuz über Ludwigsfelde, Jüterbog und Lutherstadt Wittenberg nach Bitterfeld. Auch zwischen Jüterbog und Treuenbrietzen sowie Jüterbog und Oehna fahren so lange keine Züge. Damit nicht genug: Ab dem 24. Oktober wird dann auch der Bahnhof Südkreuz vom Fern- und Regionalverkehr abgehängt. Die S-Bahn fährt weiter.

Anlass sind laut DB InfraGO die Instandhaltung der Anhalter Bahn und die Erneuerung des elektronischen Stellwerks für das Südkreuz sowie die Inbetriebnahme der Dresdner Bahn. Allein in Brandenburg werden acht SEV-Linien angeboten. Expressbusse sind geplant. Doch klar ist: Auch hier sind Pendler künftig viel länger unterwegs als heute.

ICE-Verbindungen nach München und Frankfurt fallen teilweise aus oder werden umgeleitet, erklärt der Fahrgastverband Pro Bahn. Luckenwalde und Jüterbog sind nur noch per Bus erreichbar, die Lutherstadt Wittenberg ist lediglich über Umwege auf der Schiene angebunden. „Besonders gravierend: Die Fahrzeitverlängerungen ab Berlin Richtung München und Frankfurt sind sogar deutlich größer als die Verlängerungen Richtung Hamburg. Damit trifft diese Sperrung nicht nur den Regionalverkehr, sondern auch zwei der wichtigsten Fernverkehrsachsen aus Berlin heraus.“ Für die Fahrgäste wird es hart.