Den gesamten Sommer über hatten die Rechtspopulisten mit ihrer Agenda die Schlagzeilen bestimmt. Das große Thema ist Migration, vor allem die irreguläre Einwanderung mit kleinen Booten über den Ärmelkanal.

Im Vorjahr kamen auf diesem Weg 37.000 Menschen nach Großbritannien, heuer waren es bisher 29.000. Analysen der Universität Oxford zufolge sind etwa zwei Drittel der Asylanträge von Menschen, die mit Booten über den Kanal auf die britische Insel gelangen, erfolgreich.

Die Route über den Ärmelkanal macht zwar nur rund neun Prozent der Nettozuwanderung aus, aber Nachrichten über Rekorde bringen die Gemüter in der Inselnation zum Kochen. Farage selbst spricht von einer „Invasion“.

Menschen beim Einlass zur Reform UK Party Konferenz in Birmingham

Reuters/Isabel Infantes

Mehrere tausend Menschen nehmen am Parteitag in Birmingham teil

Massenabschiebungen geplant

Erst kürzlich erklärte der Politiker in einem Interview mit der „Times“, er wolle Hunderttausende Menschen aus Großbritannien abschieben. Farage sagte der Zeitung, er werde im Fall eines Wahlsiegs das Recht auf Asyl oder auf Klagen gegen eine Abschiebung für Menschen abschaffen, die mit Kleinbooten angekommen sind.

Unter Berufung auf einen nationalen Notstand wolle er dazu die bestehende Menschenrechtsgesetzgebung ersetzen und den Austritt Großbritanniens aus Flüchtlingsabkommen erwirken. „Das Ziel dieser Gesetzgebung sind Massenabschiebungen“, betonte Farage. Er will dem Interview zufolge auf Luftstreitkräftestützpunkten Aufnahmeeinrichtungen für 24.000 Migranten schaffen und täglich fünf Abschiebeflüge durchführen lassen.

Farage treibt Regierung vor sich her

Farages Aussagen fallen auf fruchtbaren Boden: Erst im August hatten in vielen englischen Städten Demonstrationen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen und Migranten in Hotels stattgefunden.

Mit seinen Forderungen hat es Farage auch geschafft, die Labour-Regierung von Starmer vor sich herzutreiben. Im August kündigte Innenministerin Yvette Cooper eine Reform der Asylverfahren an, vor allem Berufungen sollen schneller bearbeitet werden. Auch die Unterbringung in Hotels soll beendet werden. Nur eine Woche später kündigte Cooper die nächste Verschärfung an: Man setze die Anträge von Flüchtlingen und Migranten auf Nachzug ihrer Familien aus, erklärte sie vergangene Woche.

Regierung ohne Profil

Starmer und seine Regierung scheinen Farage wenig entgegensetzen zu können. Seine Wahlkampfversprechen hat er bisher nicht umgesetzt: Die großen Probleme im Gesundheitsdienst NHS sind ungelöst, die Inflation stieg zuletzt auf 3,8 Prozent, das Wirtschaftswachstum schwächelt mit 0,3 Prozent.

In Umfragen liegt Reform UK seit Monaten konstant bei mindestens 30 Prozent, Labour kommt durchgehend nur auf 20 Prozent. Noch dahinter liegen die Torys, die unter der neuen Parteichefin Kemi Badenoch versuchen, mit einem Schwenk nach rechts Farage das Wasser abzugraben, dabei aber bisher scheitern.

Der britische Rechtspopulist Nigel Farage

Reuters/Phil Noble

Im Mai konnte Farage bei einer Parlamentsnachwahl und bei Kommunalwahlen jubeln

Boulevard feiert Farage

Befeuert wird Farage von Zeilen der britischen Medien, insbesondere durch Boulevardblätter. Die „Daily Mail“ veröffentlichte am Freitag einen Kommentar, der als offizieller Standpunkt der Zeitung gekennzeichnet war, in dem ein Schulterschluss von Reform UK mit einigen Torys, darunter Ex-Premier Boris Johnson, gefordert wurde, um die Regierung Starmer – und auch gleich die Liberaldemokraten und die Grünen – „wegzufegen“.

Vizepremierministerin muss gehen

Mehr als symptomatisch ist, dass die Regierung Starmer am Freitag den nächsten großen Rückschlag hinnehmen musste: Angela Rayner, Vizepremierministerin sowie Ministerin für Wohnen, Kommunen und Selbstverwaltung, warf das Handtuch, nachdem ihr vorgeworfen worden war, bei einem Immobilienkauf rund 40.000 Pfund an Steuern zu wenig bezahlt zu haben.

Die britische Vizepremierministerin Angela Rayner

AP/Kirsty Wigglesworth

Rayner galt als Labour-Hoffnung für die Zukunft

Die streitbare Politikerin galt mit ihrer Aufstiegsbiografie und ihrer griffigen Sprache als ideale Ergänzung zum ruhigen und farblosen Starmer. Auch in diesem Fall hatte der Boulevard tagelang den Skandal zelebriert. Dass Farage für seine Einnahmen eine Firmenkonstruktion zur Steuerminimierung verwendet, wie der „Guardian“ am Freitag berichtete, suchte man in der „Daily Mail“ vergeblich.

Vorbereitung auf vorgezogene Wahl

Zwar steht die nächste Parlamentswahl regulär erst 2029 an, doch schon jetzt schielt Farage auf die Regierungsbank, und das vielleicht schon bald: In der „Daily Mail“ kündigte er an, dass er seine Partei auf eine vorgezogene Wahl 2027 vorbereiten will.

Das sagte er auch bei seiner Rede am Freitag in Birmingham, die aufgrund von Rayners Rücktritt um drei Stunden vorverlegt wurde. Er startete einen Frontalangriff auf das „Kabinett aus Leuten, die völlig unqualifiziert sind, unser Land zu regieren“. Und die Torys seien überhaupt „tot“, so der Parteichef.

Der britische Rechtspopulist Nigel Farage

Reuters/Isabel Infantes

Auftritt mit kleiner Pyrotechnik-Show

Bisher One-Man-Show

Er kündigte auch eine Abteilung der Partei an, in der man sich schon der Vorbereitung der Regierungsarbeit widmen will. Und da hat er einiges zu tun: Weder er noch seine Mitstreiter haben Regierungserfahrung, sieht man von der ehemaligen Tory-Kulturministerin Nadine Dorries ab, die am Freitag in sein Lager wechselte, aber von ihrer bisherigen Partei aufgrund zahlreicher Skandale wohl kaum vermisst werden wird.

Reform UK ist derzeit eine One-Man-Show von Farage: Im Parlament hat man vier Mandate, im Board der Partei sitzen neben Farage gerade sechs Mitglieder, nur drei davon sind gewählt, die drei anderen wurden vom Parteichef nominiert.