Wissenschaft im Würgegriff
Der grosse Exodus: Forscher verlassen die USA – doch die Schweiz zögert

Angst, Selbstzensur und schwindende Karrierechancen: Viele Wissenschafter denken ans Auswandern. Könnte die Schweiz ein Auffangbecken für Spitzenforschende sein?

Die USA war einst eine stolze Forschungsnation. Jetzt könnten viele Wissenschafter dem Land den Rücken kehren. Die USA war einst eine stolze Forschungsnation. Jetzt könnten viele Wissenschafter dem Land den Rücken kehren.

Bild: Rob Dobi / Moment RF

«Es ist schlimmer als je zuvor in meinem Leben», sagt eine Schweizer Professorin, die seit vielen Jahren in den USA lehrt und forscht. Namentlich erwähnt werden möchte sie nicht – zu heikel sei es, sich in der aktuellen Lage öffentlich zu äussern. «Etwas zu sagen, ist als Ausländer derzeit viel zu gefährlich», meint auch ein anderer Schweizer Professor, der an einer amerikanischen Universität tätig ist.

Die USA unter Donald Trump erzeugen ein Klima der Angst in der amerikanischen Forschungslandschaft. Wissenschafterinnen und Wissenschafter berichten von gestrichenen oder verzögerten Fördermitteln, abgebrochenen Projekten und entlassenen Mitarbeitenden. Besonders betroffen sind die Klimaforschung, Diversitätsthemen, Infektionskrankheiten und internationale Kooperationen.

Präsident Trump legt sich mit der Wissenschaft an – und könnte Spitzenforschende vergraulen. Präsident Trump legt sich mit der Wissenschaft an – und könnte Spitzenforschende vergraulen.

Bild: Manuel Balce Ceneta / AP

Wohin mit all den Forschenden?

Eine Umfrage des Fachmagazins «Nature» zeigt: Drei von vier US-Forschenden erwägen, das Land zu verlassen. Einige der 1600 befragten Personen hätten die Schweiz ausdrücklich als Wunschziel genannt, teilt die Redaktion auf Anfrage mit.

Mehrere europäische Länder und Institutionen strecken bereits die Fühler nach US-Talenten aus – zum Beispiel Grossbritannien, Frankreich, Belgien und auch Deutschland. Patrik Cramer, Präsident der angesehenen Max-Planck-Gesellschaft, war vor kurzem in den USA, um Spitzenforschende für seine Institute zu gewinnen. Zusagen habe er keine erhalten, sagte er im Gespräch mit der «Zeit», aber er hält es für gut möglich, dass der eine oder die andere bald dazukommt.

Auch China nutzt die Gelegenheit. «Mehrere meiner chinesischen Kollegen in den USA werden derzeit von chinesischen Universitäten umworben, um sie zurückzuholen», berichtet ein weiterer in den USA lehrender Schweizer Professor.

Er erzählt davon, wie einzelne Projekte an seiner Uni intern umbenannt oder umstrukturiert werden, um nicht ins Visier politischer Zensur zu geraten. «Bereits während Trumps erster Amtszeit musste ein Klimaprojekt so formuliert werden, dass es nicht mehr als solches erkennbar war», sagt er.

Der Druck auf die akademische Freiheit sei spürbar – und Einschüchterung oft erfolgreich. Ganze Forschungszweige drohen ins Stocken zu geraten. Auch weil es nicht so einfach sei, Tausende Forscher anderswo unterzubringen.

Demonstration gegen den wissenschaftsfeindlichen Kurs der US-Regierung in Washington. Demonstration gegen den wissenschaftsfeindlichen Kurs der US-Regierung in Washington.

Bild: Will Oliver / EPA

Keine Umgarnung

«Der Vertrauensverlust in das US-Forschungssystem ist gross», schreibt die Universität Basel. Und ergänzt: «Andere Länder mit starker Forschung werden profitieren und exzellente Bewerbungen erhalten.» Doch gezielt US-Forschende abwerben? Basel und die anderen Schweizer Hochschulen halten sich zurück.

Man setzt eher auf eine passive Strategie, die darauf abzielt, den Forschungsplatz so attraktiv wie möglich zu gestalten und damit Talente anzuziehen. Zum Beispiel solche, die bereits seit Jahren enge Partnerschaften mit Schweizer Forschenden pflegen.

Noch zahlt sich diese Strategie nicht aus: Die Hochschulen beobachten keinen Anstieg an Bewerbungen aus den USA. Der Grund mag auch in den langwierigen Berufungsverfahren liegen. Neue Lehrstühle entstehen nicht spontan – sie werden über Monate, mitunter Jahre, geplant, heisst es beispielsweise vonseiten der Universität Zürich.

Schweizer Unis sind wählerisch

Ein in seinem Fachgebiet viel zitierter Forscher, der sich einen Umzug in die Schweiz grundsätzlich vorstellen könnte, kritisiert die Inflexibilität bei Neuanstellungen: Schweizer Universitäten seien nicht besonders aufnahmebereit – ausser, man bringe das Renommee eines Thomas Zurbuchen, Ex-Leiter der US-Raumfahrtbehörde Nasa, oder eines Didier Queloz, Physiknobelpreisträger, mit.

Beide Forscher wurden an die ETH Zürich geholt. Ansonsten biete die Schweiz wenige permanente Stellen. Seit langem beobachtet er hierzulande ein Ungleichgewicht zwischen der ausgezeichneten Förderung junger Forscher und dem Fehlen langfristiger Perspektiven.

Erschwerend komme hinzu: Für Forscherpaare gebe es in der Schweiz kaum Optionen. «In den USA erhält oft auch der Partner eine Stelle.» Auch deshalb hält er einen Exodus in die Schweiz für unrealistisch.

Auch einige Schweizer Politiker warnen, dass die Schweiz ihre Chance verpassen könnte – zum Beispiel der Neuenburger SP-Ständerat Baptiste Hurni. In einem parlamentarischen Vorstoss fordert er den Bundesrat auf, Massnahmen zu erarbeiten, um US-Spitzenforschenden den Weg in die Schweiz zu erleichtern. Die Hochschulen und das Start-up-Ökosystem hierzulande seien von Weltklasse. Nun gelte es, «diese einmalige Gelegenheit» zu nutzen.

Sparen bei der Forschung

Die FDP-Politikerin Simone de Montmollin ist Präsidentin der nationalrätlichen Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur. Sie hat den Vorstoss nicht mitunterzeichnet. Die Schweiz sollte, so teilt sie auf Anfrage mit, davon absehen, selbst gezielt Forschende aus dem Ausland abzuwerben. «Aggressive Anlockungsstrategien» entsprächen nicht der Tradition des Landes.

Vielmehr sei es Aufgabe der Universitäten und der ETHs, im Rahmen ihrer Personalpolitik die passenden Personen gemäss ihren jeweiligen Prioritäten zu rekrutieren. «Es liegt an ihnen, die sich bietenden Gelegenheiten zu nutzen.»

Nationalrat Fabien Fivaz von den Grünen hält die Idee von Hurni zwar für interessant, kritisiert jedoch, dass sie nicht zu Ende gedacht sei. «Einerseits wollen wir US-Spitzenforschende anziehen – andererseits plant der Bund ab 2027 massive Sparmassnahmen in der Bildung.»

Jährlich sollen dann 460 Millionen Franken weniger in die Hochschulen sowie in die Forschungs- und Innovationsförderung fliessen. «Wieso sollten Forschende zu uns kommen, wenn wir ihnen keine Perspektive bieten können?», fragt Fivaz.

Er will in der Sommersession eine Interpellation einreichen, um vom Bundesrat zu erfahren, wie die Schweiz unter diesen Bedingungen ein attraktiver Forschungsstandort bleiben will. «Die Schweiz zählt zu den besten Forschungsplätzen weltweit. Diesen Vorsprung dürfen wir nicht verspielen.» Denn Fivaz ist überzeugt: Wer exzellente Bedingungen bietet, muss nicht lange um Spitzenforschende von Weltrang werben – sie kommen dann ganz von alleine.

USA als wichtigster Forschungspartner

Die Schweiz und die USA pflegen enge und viele Partnerschaften. Das zeigt ein Blick in die Forschungsdatenbank des Schweizer Nationalfonds (SNF). Darin sind aktuell 880 gemeinsame Projekte gelistet – mehr als mit jedem anderen Land. Zum Vergleich: Mit Deutschland sind 164 Projekte registriert, mit Grossbritannien 127, mit Frankreich 88.

Eines dieser Schweiz-USA-Projekte ist jenes von Christian Klug, Paläontologe an der Universität Zürich. Darin geht es um Biodiversitätskrisen, die vor Jahrmillionen stattgefunden haben. «Die Situation meiner Kolleginnen und Kollegen in den USA ist besorgniserregend», sagt Klug. Er kritisiert die US-Regierung scharf: Sie zeige tiefe Verachtung gegenüber Forschung, Bildung und grundlegenden menschlichen Werten. Für ihn persönlich sei diese Entwicklung «belastend». In dieser Situation sei es besonders beschämend, dass in der Schweiz aktuell ebenfalls über Bildungskürzungen diskutiert wird. (sny)