Vom Versicherungsbüro zur Rettungsstation: Unweit der Hauptanlaufstelle für Drogensüchtige siedelt die Stadt 30 Übergangsplätze für jene an, die aus der Szene aussteigen wollen. Im Winter eröffnet dort zudem die bundesweit erste psychiatrische Ambulanz für Suchtkranke.

Im fünften Stock eines unscheinbaren Bürogebäudes, durch dessen Fenster der Blick auf die Gleisanlagen des nahegelegenen Hauptbahnhofes fällt, steht Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) und kommt in ihrer kurzen Rede auf jene Menschen zu sprechen, die hier ringsum seit Jahrzehnten das Bild der Nachbarschaft prägen. Die durch die Straßen tigern, der Gang gehetzt, der Blick leer. Sie spricht von Suchtkranken, im Speziellen von jenen, die im Zuge ihres exzessiven Konsums oft alles, somit auch ihre Wohnung verloren haben. Diese Gruppe wächst seit Jahren rasant. „Es sind Menschen, von denen meist erst dann die Rede ist, wenn sie das Bild stören“, führt Schlotzhauer weiter aus. Das Bild einer Stadt, deren Selbstverständnis es ist, eigentlich alles recht gut im Griff zu haben. Es sind Menschen, die betteln, die auf Gehwegen und in Hauseingängen schlafen. Kein Innenhof, kein Garten, keine Freifläche eines Kindergartens im Viertel ist von ihnen sicher bei der Suche nach einem Rückzugsort, um zu konsumieren. Ein Kindergarten in St. Georg entschied sich im vergangenen Jahr letztlich zu einer drastischen Maßnahme und sicherte sein Gelände mit Nato-Stacheldraht.

„Es sind Menschen, bei denen die Hilfen, die es gibt, nicht ankommen“, schlussfolgert Schlotzauer, „das wollen wir ändern.“ Und zwar in dem Eckgebäude, indem sie ihre Ansprache hält. In der Repsoldstraße 27, unweit des Beratungs- und Gesundheitszentrums St. Georg des Trägers Jugendhilfe e. V., der ebenso das „Drob Inn“ betreibt. Es ist die Hauptanlaufstelle der Drogenszene der Stadt. Unweit von dort stehen ab Mitte des Monats 30 sogenannte Übergangsplätze zur Verfügung, in Ergänzung zu den Schlafplätzen im benachbarten Projekt Nox, das 35 Plätze umfasst. Das Ziel des neuen Angebots ist es, Menschen so weit zu stabilisieren, dass sie weiterführende Hilfe annehmen können. Etwa zur medizinischen Rehabilitation, Unterstützung beim Jobcenter oder bei der Wohnraumsuche. Aufgenommen werden ausschließlich Personen, die zuvor im Nox stabilisiert wurden.

Flankiert werden die Übergangsplätze von weiteren niedrigschwelligen Hilfen, tagesstrukturierenden Angeboten sowie individueller Beratung. „Unser Ziel ist es, Suchtkranke, die einigermaßen stabil sind und aus der Szene aussteigen wollen, möglichst schnell aus dem Umfeld exzessiv Konsumierender wegzuführen. Denn nur so stoppen wir die Abwärtsspirale und nur so können diese Menschen wieder eine Perspektive für sich entwickeln“, sagt Susanne Kirbach, fachliche Leiterin des Beratungs- und Gesundheitszentrums St. Georg. Dazu gehören im ersten Schritt, die Betroffenen dabei zu begleiten, eine Tagesstruktur zu entwickeln oder gesundheitlich auf die Beine zu kommen. „Viele sind in einem derart schlechten körperlichen Zustand, dass sie erst einmal gesunden müssen von chronischen Erkrankungen oder Entzündungen, die auf den Drogenkonsum zurückgehen“, weiß Kirbach. Zudem sollen die Gäste lernen, Verantwortung zu übernehmen. Für das Sauberhalten des eigenen Schlafplatzes sowie der Gemeinschaftsräume, aber auch für erste Termine und Absprachen. Die Erfahrung aus dem Nox zeige, so Kirbach: „Rund ein Drittel der Gäste schafft es über dieses Angebot, weitere Hilfen in Anspruch zu nehmen, die aus der Sucht herausführen.“

Dabei ist die Lage des Gebäudes, in dem einst eine Versicherung ihren Sitz hatte, entscheidend. Es liegt in unmittelbarer Nähe zur Hauptanlaufstelle der Drogenszene der Stadt, ist aber durch rückseitig liegende Eingänge auch über das Münzviertel zugänglich, was eine räumliche Abgrenzung ermöglicht. Seit Jahrzehnten leidet der Stadtteil St. Georg unter der immer massiver ausstrahlenden Drogenszene, die sich auch in die Wohnstraßen verlagert. Doch statt Entlastung an anderen Stellen in der Stadt zu schaffen, setzt man darauf, die Hilfen dort zu bündeln, wo sich die Szene aufhält. „Wir tun das, weil es zeigt, dass die Hilfen dann ankommen“, so Senatorin Schlotzhauer. Auf die Frage, ob man mit einem solchen Angebot einen zusätzlichen Pull-Effekt erzeuge, entgegnet sie: „Diese Menschen sind hier. Wir dürfen sie, aber auch das Viertel nicht allein lassen.“

Dabei handelt es sich bei dem Vorhaben um ein Modellprojekt, das bundesweit Maßstäbe setzt. Denn neben einer medizinischen Erstversorgung soll in der Repsoldstraße in wenigen Monaten auch die Psychiatrische Schwerpunktambulanz eröffnen. Sie wird vom Asklepios Klinikum in Ochsenzoll betrieben und ist Teil des Hamburger Landespsychiatrieplans, der die psychische Versorgung schwer kranker Menschen verbessern soll. Ergänzt wird das Angebot durch aufsuchende Betreuung in Kooperation mit dem Projekt SAFE des UKE. „Es ist der erste Ansatz dieser Art überhaupt und wir sind sehr gespannt darauf zu sehen, welche Effekte man durch diese enge Verzahnung erzielen kann“, so Susanne Kirbach von Jugendhilfe e.V. Die Not sei groß. „Bislang gibt es keinerlei Anlaufstellen dieser Art für Suchtkranke. Und das, obwohl der Anteil an Drogenabhängigen, die auch an psychischen Erkrankungen leiden, seit Jahrzehnten massiv ansteigt.“