Pro: Nebenbei ein Hörbuch, das verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen
Es gibt mechanische Tätigkeiten im Leben, die füllen uns nicht ganz, vielleicht nicht einmal zur Hälfte aus: Betten beziehen zum Beispiel oder den Boden wischen oder langsam im Dunkeln durch den Wald zu joggen. Und was macht man da: Sich zwingen. Die Betten müssen bezogen werden, der Boden muss gewischt werden – und ein bisschen laufen schadet auch nicht. Aber man muss sich nicht mit Absicht langweilen, wenn es Möglichkeiten gibt, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden: mit einem Hörbuch auf den Ohren.
Schon fällt einem alles leichter, findet man endlich die Zeit, auch mal in die zehn Gereon-Rath-Krimis von Volker Kutscher einzutauchen. Die Hände schaffen das mit dem Bett und dem Boden auch, wenn der Kopf wo anders ist. Zu so viel Multitasking ist sogar Mann in der Lage. Und bitte: Wenn sich irgendein Laufpurist aufmanteln sollte, weil man jetzt zwei Knöpfe im Ohr trägt und sich Geschichten erzählen lässt, während man durch den Wald trabt: Nicht kirre machen lassen. Eine bessere Tätigkeit zum Hörbuch-Hören gibt es kaum. Das Laufen hält wach, so lange der Untergrund nicht anspruchsvoll ist, muss man sich wenig darauf konzentrieren. Umso ungestörter lauschen wir der Erzählung.
Man stelle sich nur mal andersherum den Versuch vor, sich in den raren Momenten des Nichtstuns ein Hörbuch vorzunehmen. Wir liegen flach, spüren die warme Bettdecke, eine sanfte Stimme erzählt etwas – und schon setzen wir träumender Weise alles anders fort und merken eine halbe Stunde später, wie gut das Nickerchen getan hat. Also: Mit dem Hörbuch wird das Putzen zur Nebentätigkeit. Und man freut sich jede Woche wieder darauf, um endlich zu erfahren, wie die Geschichte weitergeht. (Richard Mayr)
Contra: Wer beim Staubsaugen hört, saugt nur die Hälfte auf
Zugegeben, wer hat heute noch wirklich Zeit? Im Alltag jonglieren wir zwischen schier endlosen Arbeitstagen, die durch die mal wieder ausgefallene Bahn noch ein paar Extraminuten draufgesattelt bekommen und schleppen uns dann mit vollgepackten Einkaufstüten nach Hause, wo der Wäschestapel schon als Endgegner wartet. Wann soll man da bitte noch lesen? Modern und bequem scheint die Lösung: das Hörbuch nebenbei! Ohrstöpsel rein, Multitasking-Modus an: Kafka auf dem Klo, Fitzek auf dem Weg zur Biotonne. Perfekt zugeschnitten auf das Zeitalter der Dauerbeschallung.
Aber mal ehrlich: Wer gleichzeitig die Einkaufsliste abarbeitet und Effi Briests Ehekrise verfolgt, bekommt von beidem die Hälfte – und von nichts das Ganze. Literatur im Nebenbeibetrieb ist wie ein Feuerwerk bei Tageslicht: technisch möglich, aber so wirklich zündet es nicht. Klar, „halbe Literatur“ ist besser als gar keine. Doch Romane leben von Versenkung, von kleinen Pointen, von Nebensätzen, bei denen man nach genauerer Betrachtung kurz stillhalten muss, um sie zu verdauen. Autoren feilen an jedem Wort, probieren am Rhythmus eines Satzes herum, bis er genau richtig klingt … und wir bügeln achtlos darüber hinweg.
Dabei bieten Romane, wenn man ihnen bewusst ein Ohr schenkt, doch die große Chance: Entschleunigung, Eintauchen in neue Welten, mal wirklich nicht erreichbar sein. Wer bei Literatur Zeit sparen will, verliert am Ende das Beste, was sie zu bieten hat. (Mariana Silva Lindner)
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Richard Mayr
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