Stand: 05.09.2025 22:43 Uhr

Trotz Förderung fehlen in Schleswig-Holstein günstige Wohnungen. Das Wohnraumschutzgesetz gibt Städten wie Kiel mehr Befugnisse, gegen nachlässige Vermieter vorzugehen.

von Andreas Schmidt

Gerwin Stöcken (SPD) ist sichtlich sauer. „Die haben jetzt zwei Wochen Zeit, die Mängel abzustellen. Sonst stellen wir das ab!“ Der Stadtrat für Soziales der Stadt Kiel kommt gerade aus einer Wohnung in der Elisabethstraße des Kieler Stadtteils Gaarden. Drinnen laufe seit Jahren das Wasser durch eine undichte Stelle am Schornstein bis in den Keller. Die Wohnungen schimmeln, der Vermieter kümmert sich nicht, die Mieterinnen und Mieter haben nicht die Kraft, sich zu wehren.

Allerdings gibt es seit dem vergangenen Jahr das Wohnraumschutzgesetz. Dadurch hat die Stadt Kiel jetzt eine Handhabe. Das sei schon eine Verbesserung, auch wenn Stöcken das Gesetz gerne noch etwas schärfer gehabt hätte.

Wir können jetzt die Wohnung für unbewohnbar erklären. Dann muss der Vermieter sofort handeln, ansonsten muss er eine Ersatzwohnung beschaffen und für die Miete aufkommen.

Gerwin Stöcken (SPD), Stadtrat für Soziales der Stadt Kiel

Wohnraumschutzgesetz hilft den Kommunen, gegen Vermieter vorzugehen

Gerwin Stöcken (SPD), Stadtrat für Soziales der Stadt Kiel

Gerwin Stöcken (SPD), Stadtrat für Soziales in Kiel, will mit Hilfe des Wohnraumschutzgesetzes mehr Druck auf Vermieter ausüben.

Begleitet wird Gerwin Stöcken von der SPD-Landesvorsitzenden Serpil Midyatli. Die ist gerade auf politischer Sommerreise mit dem Thema „bezahlbares Wohnen“. Midyatli ist zufrieden, dass es jetzt das Wohnraumschutzgesetz gibt. Auch wenn es von der schwarz-grünen Koalition beschlossen wurde und zwei Jahre später als die SPD es gerne gehabt hätte. Aber immerhin: ein Fortschritt.

Kommunen können jetzt härter durchgreifen, wenn Vermieter ihre Häuser verrotten lassen oder sie zweckentfremden. Überall im Land fehlt es an günstigen Wohnungen. Die Landesregierung hatte sich zum Ziel gesetzt, dass jedes Jahr 15.000 neue Wohnungen entstehen. Davon ist sie weit entfernt. Ein breites Bündnis soll jetzt gegensteuern.

Günstiges Bauen mit einfachen Standards

Serpil Midyatli von der SPD besucht eine Baustelle.

Die SPD-Landesvorsitzende Serpil Midyatli besuchte in der Latzhose ihres Vaters eine Baustelle.

Auf einer Baustelle in Nortorf entstehen gerade 26 neue, günstige Wohneinheiten. Stefan Binder von der Baugenossenschaft Mittelholstein führt Serpil Midyatli stolz über die Baustelle. Sie macht hier ein eintägiges Bau-Praktikum. Dafür hat sie die weiße Latzhose ihres Vaters angezogen. Der war in den 1970er-Jahren als Gastarbeiter nach Kiel gekommen.

Wie geht günstiges Bauen? Stefan Binder sucht immer nach „kreativen Lösungen“, wie er sagt. In Nortorf schweben tonnenschwere Holzsegmente durch die Luft. Die Bauweise mit vorgefertigten Modulen macht es schnell und günstig. „Dazu sparen wir durch etwas dünnere Decken und Wände. Der Schallschutz wird dadurch etwas geringer, aber wir halten trotzdem die Standards ein“, sagt Binder. So kann er den Mietern mit Wohnberechtigungsschein die Wohnungen für 6,80 Euro pro Quadratmeter anbieten. „Das geht aber nur, weil der Bau hier durch das Land gefördert ist.“ Allein in dem Projekt in Nortorf stecken vier Millionen Euro vom Staat.

Leere Fördertöpfe, explodierende Kosten

Stefan Binder von der Baugenossenschaft Mittelholstein

Stefan Binder von der Baugenossenschaft Mittelholstein sucht nach kreativen Lösungen für günstiges Bauen, wie zum Beispiel vorgefertigte Bausegmente.

Die Landesregierung fördert den sozialen Wohnungsbau mit der Rekordsumme von 400 Millionen Euro im Jahr. 120 Millionen davon kommen vom Bund. Doch „bis auf wenige Restbestände“ sind die Mittel für dieses Jahr schon ausgeschöpft, teilt das Innenministerium auf Anfrage mit. Für Serpil Midyatli ist klar: „Wir müssen die Förderung aufstocken.“

Das ist für eine Oppositionspolitikerin natürlich leichter zu fordern als für die Landesregierung, es umzusetzen angesichts der Kassenlage. Dabei ist allen die dramatische Lage klar. Seit Jahren steigen die Kosten. Im Jahr 2013 musste Stefan Binder noch etwa 2.300 Euro für einen Quadratmeter Wohnfläche kalkulieren, „jetzt sind es schon um die 4.000.“ Dazu gebe es immer noch viele Auflagen, die die Preise steigen lassen, und zu viel Bürokratie.

Misstrauen in den Markt

Ein Wohnhaus.

In der Marthastraße in Kiel sind durch die Wohnungsbaugesellschaft 100 neue Wohnungen entstanden, die unter anderem an zuvor Wohnungslose vermietet werden.

Gerwin Stöcken von der Stadt Kiel hat kein Vertrauen, dass der Markt das Problem Wohnungsnot lösen wird. „Der Markt reagiert nur, wenn es Leerstand gibt.“ In der Lage jetzt gingen Wohnungen an die, die sie auch bezahlen können. Die Stadt hat im Jahr 2019 wieder eine eigene Wohnungsbaugesellschaft gegründet. In der Marthastraße neben den Bahngleisen sind dadurch schon 100 neue Wohnungen entstanden. „Zehn Prozent davon vermieten wir an Mieter, die vorher wohnungslos waren.“ Das spare Geld, „weil wir diese Menschen sonst in Notunterkünften unterbringen müssten.“ Außerdem bekämen sie so eine Chance, im Leben wieder Fuß zu fassen, nach dem Prinzip „housing first“.

Innerhalb der nächsten 30 Jahre will die Stadt 4.000 günstige Wohnungen in Kiel schaffen, um den Markt zumindest etwas zu entspannen. Das hört Serpil Midyatli natürlich gern. Denn auch die Landes-SPD will mehr Staat und weniger Markt, um die Wohnungsnot zu lindern. Ob das die richtige Lösung ist? Die Debatte läuft.

Eine Zeitung, in der Immobilien annonciert sind.

In Schleswig-Holstein suchen aktuell Tausende vergeblich ein Zuhause. Wie sehr die Suche belastet – und wo es noch Hilfe gibt.

"Zu vermieten" steht auf einer Plane, die an einem Balkon-Geländer einer Neubau-Wohnung angebracht ist.

Nach Schätzungen fehlen im Land mehr als 100.000 bezahlbare Wohnungen. Ein Bündnis von Ministerien, Verbänden und Vereinen sucht nun Lösungen.

Auf einem Zettel steht, ein Student sucht ein Wg-Zimmer

Die Zahl der Studenten in Schleswig-Holstein sinkt. Trotzdem bleibt die Wohnungssuche für viele immer noch eine Herausforderung.