Die Frage nach dem „Warum“ treibt viele Menschen in vielen unterschiedlichen Lebenslagen um, wenn sie ein Schicksalsschlag ereilt. Um das Chaos bei den Füchsen Berlin in den vergangenen Tagen zu erklären, führt diese Frage aber noch nicht zur vollständigen Erkenntnis, sie muss ergänzt werden: „Warum gerade jetzt?“
Der Saisonstart in der Handball-Bundesliga ist mit zwei Siegen aus zwei Spielen schließlich geglückt. Am Sonnabend wartet das Topspiel gegen den Champions-League-Sieger SC Magdeburg (15.40 Uhr, Max-Schmeling-Halle), das von der ARD im frei empfangbaren Fernsehen übertragen wird. Das derzeit größte Spiel im deutschen Handball auf der größtmöglichen Bühne – und der deutsche Meister aus Berlin entscheidet sich ausgerechnet jetzt zur sofortigen Trennung von Sportvorstand Stefan Kretzschmar und Trainer Jaron Siewert? Das lässt den Mund eines jeden Handballers in der Republik offen stehen.
Füchse Berlin: Bob Hanning stellt Nicolej Krickau vor und erklärt Trennung von Siewert und Kretzschmar
Füchse-Geschäftsführer Bob Hanning versuchte am Freitag, die vielen Fragen zu dieser Entscheidung zu beantworten. Dafür ließ er sich beim üblichen Medientermin vor Spieltagen blicken, der normalerweise eine recht beschauliche Runde von einer Handvoll Hauptstadtjournalisten ist. In dieser Woche aber wurden im kleinen Kämmerlein die Stühle knapp für all die Reporter, selbst das Kamerateam eines dänischen Fernsehsenders war vor Ort. Das hatte damit zu tun, dass auch der neue Berliner Trainer Nicolej Krickau (ein Däne) gleich mit vorgestellt wurde. Zunächst allerdings trat Hanning allein vor die Mikrofone, „um das Vergangene nicht mit dem Neuen zu vermengen“.
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So erklärte der Geschäftsführer der Füchse also zunächst zur beispiellosen Tabula Rasa, die der Verein zwischen Dienstag und Donnerstag dieser Woche vollzog: „Wenn ich gewusst hätte, dass ich heute hier sitze mit der Entscheidung, hätte ich das im Sommer machen müssen.“ Es war schließlich bekannt, dass die Verträge von Kretzschmar und Siewert 2026 ausliefen. Hanning lief sehenden Auges in diese Situation hinein.
Hanning: „Es ist zum jetzigen Zeitpunkt eine Entscheidung, die schwer nachzuvollziehen ist“
„Es ist zum jetzigen Zeitpunkt eine Entscheidung, die schwer nachzuvollziehen ist“, sagte der Füchse-Boss zu den sofortigen Entlassungen nach dem zweiten Spieltag. „Dass jede andere Entscheidung vor dem Spiel gegen Magdeburg eine bessere gewesen wäre, brauchen wir nicht zu diskutieren.“
Warum also sah sich Hanning trotzdem zum Handeln gezwungen? Der 57-Jährige erklärt die Chronologie der Ereignisse so: Nach dem Supercup am 23. August habe er ein Gespräch mit Kretzschmar geführt, in dem der Sportvorstand seinem Chef mitteilte, ohne neuen Vertrag keine weiteren Personalgespräche führen zu können. Das habe Hanning Klarheit für die grundlegende Entscheidung über die Position des Sportvorstandes gebracht: Mit Kretzschmar geht es so nicht weiter.
Neuer Vertrag mit Siewert war schon ausgehandelt
Am 29. August, also Freitag vergangener Woche, habe er daraufhin erstmals Kontakt mit Nicolej Krickau aufgenommen und sich nach dessen Interesse an der Position des Sportvorstandes in Berlin erkundigt. In der Trainerfrage hatte sich Hanning unterdessen schon auf einen „kurzfristigeren“ neuen Vertrag mit Siewert geeinigt. „Ich war mit Jaron handelseinig. Bis auf Kleinigkeiten war das klar“, erklärt der Geschäftsführer der Berliner.
Dann aber sei durch das nicht abgesprochene Rückzugs-Statement von Kretzschmar am Dienstag dieser Woche eine Situation entstanden, die die ohnehin schon bestehende Unruhe nochmal vergrößert habe. Hanning sah sich dazu gedrängt, seine für den Herbst angedachten Überlegungen zur strategischen Gesamtausrichtung vorzuziehen.
Gesellschafter beschließen „einstimmig“ die personelle Neuausrichtung
In dieser Gemengelage spielte auch die finanzielle Situation des Vereins eine Rolle. Vor den großen Zukunftsfragen hatten die Füchse zunächst die Vertragsverlängerungen mit den Spielern priorisiert, zuletzt etwa die von Fabian Wiede (bis 2027) sowie Kapitän Max Darj (bis 2028). „Und glaubt mir eins“, sagte Hanning, „wenn die Leute Erfolg haben, arbeiten sie nicht für weniger Geld.“
Am Mittwoch kam er mit den Gesellschaftern zusammen und man habe „einstimmig“ den Beschluss gefasst, sofort den radikalen Schnitt zu machen und Krickau die Positionen als Trainer und Sportvorstand in Personalunion anzubieten. Im Handball kein ungewöhnliches Konstrukt, beim SC Magdeburg hat Bennet Wiegert eine ähnliche Rolle inne.
Krickau lobt die Arbeit von Siewert und Kretzschmar
Krickau selbst beteuerte nun am Freitag, die Aufgabe in der Hauptstadt „mit einer riesigen Demut“ anzugehen und lobte die Arbeit seiner Vorgänger: „Ich schätze es wirklich, was Jaron und Kretzsche zusammen mit dem ganzen Verein gemacht haben. Sie hatten eine erfolgreiche Zeit und wir haben ein fantastisches Fundament für die Zukunft.“
Nicolej Krickau am Freitag während seiner ersten Trainingseinheit für die Füchse Berlin im Gespräch mit Tim Freihöfer.
© imago/Jan Huebner | IMAGO/Daniel Lakomski
Der Däne zeigte sich froh, nach seiner Entlassung bei der SG Flensburg/Handewitt im Dezember 2024 geduldig geblieben zu sein. Die Zeit ohne festen Trainerjob habe er auch genutzt, zu hinterfragen, was bei seiner ersten Station in der Bundesliga schiefgelaufen sei: „Ich habe einen Rückblick gemacht und gesagt, das und das und das muss ich besser machen. Das brauche ich nicht zu teilen, aber es ist klar, dass ich jetzt mit noch mehr Erfahrung hierherkomme.“
Krickau weiß also um die Herausforderungen, die es mit sich bringt, ein Topteam in der stärksten Liga der Welt zu coachen. Er sagte am Freitag, es gehe für ihn nun zügig darum, die Mannschaft und den Staff kennenzulernen. Der bleibt abseits des Cheftrainerpostens nämlich unverändert. Und so wird sportlich gegen Magdeburg vielleicht doch einiges Bekanntes zu erwarten sein. Wenn auch abseits des Feldes kein Stein mehr auf dem Anderen steht.
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