In unserer Kolumne „Grünfläche“
schreiben abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich
und Christian Spiller über die Fußballwelt und die Welt des Fußballs.
Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 36/2025.
Obacht, folgenden Satz muss man im Gehirn ein wenig hin und
herschwenken, damit er sein ganzes Aroma entfaltet, in etwa so wie man einen guten
Wein schwenkt, bevor man ihn probiert:
„Aber wir als Bayern München sind auch sehr, sehr stark
und uns unserer Rolle bewusst.“
Gesprochen hat diesen Satz, der so überhaupt gar nicht nach
FC Bayern München klingt, FC-Bayern-Sportdirektor Christoph Freund vor wenigen
Tagen. Gerade war Nick Woltemade vom VfB Stuttgart zu Newcastle United
gewechselt, also ebenjener Woltemade, der zwar seinerseits zuvor zu den Bayern
wollte, den der VfB aber nicht für die gebotenen 60 Millionen Euro ziehen ließ.
Schwupps, kam das neureiche United, legte 85 Millionen Euro auf den Tisch und
Woltemade ging auf die Insel. Was Freund offenbar – bewusst oder nicht – dazu
veranlasste, den großen FC Bayern im Vergleich zu Newcastle durch die kleinen,
unscheinbaren Wörtchen „aber“ und „auch“ ziemlich klein zu machen.
Kurz zur Erinnerung: Der FC Bayern München ist 34-facher Deutscher
Meister und hat sechsmal die Königsklasse gewonnen. Newcastle United war zuletzt
1927 englischer Meister, an der Champions League nahm United überhaupt erst viermal
Teil.
„Aber wir als Bayern München sind auch sehr, sehr stark.“
– Angesichts der Art und Weise, wie der Transfersommer der Bayern verlaufen
ist, erinnert Freund stark an jemanden, der Schaulustigen zuruft: „Gehen Sie
bitte weiter, hier gibt es nichts zu sehen“. Während im Hintergrund alles
abfackelt. Klar, es war für praktisch alle deutschen Vereine eine schwierige
Transferphase. Geplatzte Deals hier, horrende Preise dort – die Premier League
ist finanziell derart enteilt, dass sie den Markt mit Geld flutet, das die
anderen Nationen schlicht nicht haben.
Das merkt man in Frankfurt, wenn ein 22-jähriger
Ersatzstürmer von Newcastle nicht kommt, weil er 30 Millionen kosten soll. Das
merkt man in Dortmund, wenn zwei Spieler aus der zweiten Reihe Chelseas und
Manchester Citys je 20 Millionen Euro kosten. Das merkt man bei allen anderen
Klubs, die gar nicht erst über solche Transfers nachdenken können. Die Bayern
sind aber der einzige Verein, für den das Backen kleinerer Brötchen mehr ist
als nur das: Es bedeutet einen Statusverlust.
Weswegen sich die Frage stellt, ob sich Freund der Rolle der
Bayern aktuell tatsächlich so bewusst ist. Denn diese wandelt sich gerade
rasant. Vor zehn, auch noch vor fünf Jahren kosteten die absoluten
Top-top-top-Spieler des Planeten mal 80 Millionen Euro, die Ronaldos und
Zidanes. Heute kostet das eben – ohne das respektlos zu meinen – ein Woltemade,
ein Benjamin Sesko, ein Bryan Mbeumo, den ich bis eben ehrlicherweise nicht
einmal kannte. Weil sowieso irgendein englischer Klub um die Ecke kommt und die
Portokasse öffnet.
„Die Flut hebt alle Boote“, pflegte Bundesliga-Althauer
Heribert Bruchhagen stets zu sagen. Im Jahre 2025 gilt das nicht mehr. Die
Premier League verdient in der Auslandsvermarktung das zehnfache der Bundesliga,
hinter praktisch jedem Verein steckt ein reicher Eigentümer oder gleich ein
Staatsfonds, und die Klubs scheinen gewillt, die Kohle rauszuhauen, Jahr für
Jahr. Und alle anderen Boote saufen ab.
Im Falle der Bayern heißt das: Einen Wirtz für 125 Millionen
Euro zu holen, ist für Liverpool kein Ding, für die Bayern wäre es der Transfer
des Jahrzehnts gewesen. Xavi Simmons ging lieber für 65 Millionen Euro zu Tottenham,
der kurzzeitig gehandelte Randal Kolo Muani ebenso. Am Ende kam Nicolas Jackson
von Chelsea, für 16 Millionen Euro. Leihgebühr, wohlgemerkt. Kein Schlechter
sicherlich, aber ist er so gut, dass die Bayern im nächsten Sommer die
Kaufoption ziehen und in Summe dann über 80 Millionen Euro für ihn zahlen
werden?
Wenn der FC Bayern einen Spieler will, bekommt er ihn auch,
ist ja so ein geflügeltes Wort von Uli Hoeneß. Aber auch das gilt nicht mehr.
Denn die Zeiten, als man für 25 Millionen Euro Spieler wie Arjen Robben, Franck
Ribéry oder Luca Toni bekam, die auch international einen Unterschied machen
konnten, sind vorbei. Für diese Summe hätte man in diesem Sommer beispielsweise
Jonny Burkardt und Ritsu Doan holen können, beides gute Spieler für die
Bundesliga. Aber in der Champions League, deren Gewinn ja, wenn wir ehrlich
sind, das eigentliche Saisonziel des FC Bayern ist?
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Weswegen sich die Bayern in einer eigenartigen Situation
wiederfinden: Der nationalen Konkurrenz bleiben sie Lichtjahre voraus,
finanziell und dadurch eben auch sportlich; wer sonst in der Liga könnte 75
Millionen Euro für Luis Diaz hinlegen? Um international eine Rolle zu spielen,
hätte es aber drei, vier dieser Transfers gebraucht. Dort haben die Newcastles,
Tottenhams und Liverpools aber die Preise verdorben. Wie viele Transferperioden
wird es noch dauern, bis sich das finanzielle Ungleichgewicht auch endgültig
sportlich niederschlägt. Oder hat es das nicht schon längst? Seit dem
Titelgewinn 2020 sind die Bayern viermal im Viertelfinale der Champions League
gescheitert, einmal nur zogen sie ins Halbfinale ein. Anders ausgedrückt: Die
Bayern sind zu gut für ihre Liga, aber nicht (mehr) gut genug für die darüber. Sie
sind ein vereingewordener Simon Terodde.
Und möglicherweise dämmert das auch den Bayern. Vielleicht
Freund, dessen Worte möglicherweise gar nicht so unbedacht, sondern bewusst
gewählt waren. Vor allem aber Uli Hoeneß, der nach Schließung des
Transferfensters sagte, er sei „völlig fassungslos“ und die gezahlten Summen
„völlig gaga“ gewesen. Und die neue internationale Rolle des FC Bayern gleich
mal so beschrieb: „Ich freue mich auf diese kommende Saison, weil wir so wie Hoffenheim
in die kommende Champions-League-Saison gehen. Keiner rechnet mit uns“. Noch
vor ein paar Jahren wäre das ein völlig undenkbarer FC-Bayern-Satz gewesen. Jetzt
scheint er Realität.
Darauf einen guten Wein.