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Seite 1Die Zeit bewegt sich auf diese Band zu
Seite 2Ein Soundtrack für den von Abstiegsängsten geplagten Westen
Es war schon ein wenig verstörend. Als in der Popmusik der
Neunzigerjahre Nu Metal und Crossover florierten, hatten wir als Teenager, die
mit virtuosem Heavy Metal und Death Metal sozialisiert worden waren, so unsere
Mühe mit den neuen, hybriden Formen harter Gitarrenmusik. Die Schutzwälle
unseres säuberlich abgezirkelten Identitätsgartens, wo Horror und
Handwerkskunst in glücklicher Ehe lebten, bekamen Risse. In unserem
jugendlichen Altersstarrsinn bereitete uns eine Band besonderes Kopfzerbrechen:
Deftones aus Kalifornien. Nun hat sie mit private music ihr zehntes Album
veröffentlicht. Und ihre Musik klingt noch genau wie in den Neunzigern.
Damals dachten wir: Das also läuft jetzt unter Metal?
Seriously?! Die Typen, die 1995 mit dem Album Adrenaline debütierten, sahen
nicht einmal aus wie Metalheads. Eher wie Typen, denen man auf Après-Ski-Partys
begegnen würde. Sie trugen Sportklamotten. Sie färbten sich die Haare –
manchmal gar mit Strähnchen! Das Cover ihres Albums Around the Fur (1997)
zierte statt Drachen, Dämonen oder Zombies eine aus der schrägen
Deckenperspektive aufgenommene junge Frau im Bikini. Zu allem Überdruss fuhren
die Musiker Skateboard. Okay, das taten Anthrax auch. Die zählen mit Metallica,
Megadeth und Slayer zu den „Big Four“ des Thrash Metal. Aber die Musik der
Deftones hatte nichts mit dem Geschwindigkeitsrausch der Thrasher und wenig mit
dem ultrapräzisen Groove Metal der Band Pantera gemein.
Da waren zwar verzerrte Gitarren und schwartige
Kopfnicker-Riffs, wie man sie von Crossover-Bands à la Helmet kannte. Doch oft
verloren sie sich zusammen mit Basslinien aus der Unterwelt in atmosphärischer
Verträumtheit. Wenn man Deftones hörte, zogen vor dem inneren Auge
Nebelschwaden auf. Der Stilbegriff „Shoegaze“ machte die Runde: Bei Konzerten
pflegten die Initiierten nicht zu wüten, sondern in sich versunken, mit
gesenkten Köpfen, auf ihre Schuhe zu starren. Die Walls of Sound der Deftones
hatten auch nichts vom warmen Hardrock-Overdrive. Sie schienen von digitaler
Kälte und härteren Zeiten zu künden. Der Songtext zu Digital Bath (2000) liest
sich zunächst wie ein Liebeslied, erweist sich aber als Fantasie sexualisierter
Gewalt.
© ZEIT ONLINE
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Das neue Album private music knüpft jetzt an diese
Atmosphären an. Es ist eines, das der heutigen Neunziger-Nostalgie zupasskommt.
Die Deftones kombinieren wie eh und je harte Klänge mit zarten Emotionen,
singen über psychische Abgründe und hüllen ihre schon in den Neunzigern im
Grunde wenig originellen Riffs in ein verführerisches Gewand dunkelsamtenen
Klangdesigns mit Keyboard- und Samples-Besatz. Zum dritten Mal arbeitet die
Band mit dem Produzenten Nick Raskulinecz zusammen, der sich vor allem mit
Neunziger-Bands wie Foo Fighters, Stone Sour, Evanescence und Apocalyptica einen
Namen machte.
Prägend für die Deftones bleibt die Stimme des Sängers Chino
Moreno. Wie ein Geistersurfer gleitet die über und durch die Wellen einer
dunklen Instrumentalsee – gequält
sprechend, schreiend, kreischend, singend, murmelnd, flüsternd, haspelnd,
rappend, keifend, kaum je im Metal-typischen Heldentenor tremolierend oder wie
bei Death-Metallern üblich grunzend.
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Morenos Texte sind Collagen
aufmerksamkeitsdefizitärer Sensibilitätssplitter, manchmal banal und vulgär,
oft straßenpoetisch verrätselt. Im letzten Song des neuen Albums – departing
the body – spiegelt sich die besungene Fragmentierung des Körpers in der
strukturellen Fragmentiertheit des Textes. Von einem kalten, klaren Raum ist
die Rede, von einem Rennen durchs Licht, vom Verlangen nach dem Jenseits, von
Körpern in geringer Auflösung („low-res bodies“). 1997 schrie Moreno in Engine
No. 9: „That’s why (why?) lyrical / That’s why (why?) lyrical / Bringin‘ in
because / My life’s unrise, wipe / Lyrical, did / Motherfucker, wipe / Lyrical,
did / Make it to the / Wipe did, wipe did / Wipe did, wipe did / No more“ –
einer von vielen, nur schwer übersetzbaren Parts, die typisch sind für die
Lyrik der Deftones.
Die Besonderheit von private music liegt damit weniger in
musikalischer oder soundtechnischer Innovation als darin, dass eine Band der
Generation X aller Nostalgie zum Trotz zugleich den Nerv der jüngeren
Generationen von Millenials über Z bis Alpha zu treffen scheint – vor allem,
was den hohen Stellenwert psychischer und emotionaler Belange angeht. Davon
zeugt nicht nur der Deftones-Traffic in sozialen Medien wie TikTok, es gibt
auch Berichte von Plattenhändlern, die sich über die Nachfrage nach Deftones-Alben
seitens Teenager wundern. Die Band selbst tut es offenbar auch, in Interviews
bekundet sie Freude ob der generationalen Diversifizierung ihres Publikums bei
Livekonzerten.