Wasserstoffleitung führt durch die Sterne der EU-Flagge

Im Interview erklärt der Chef von Hydrogen Europe, warum komplexe Regeln und zu wenig Anreize Europas Wasserstoffpläne ausbremsen.

Europa hat große Pläne beim Thema Wasserstoff, doch bei der Umsetzung gibt es massive Probleme. Komplexe Regelungen, fehlende Investitionsanreize und die Gefahr neuer Abhängigkeiten bremsen derzeit den Aufbau einer schlagkräftigen Wasserstoffwirtschaft.

Im Interview erläutert Jorgo Chatzimarkakis, der Geschäftsführer des Branchenverbands Hydrogen Europe, weshalb klare Rahmenbedingungen von entscheidender Bedeutung sind, wie Europa im globalen Wettbewerb aufholen kann und weshalb Wasserstoff weitaus mehr ist als ein Nischenprodukt für die Industrie.

▶ Europa hat zahlreiche Förderprogramme für Wasserstoff gestartet, setzt sie aber zu langsam und zu fragmentiert um. Woran liegt das konkret – und welche politischen oder institutionellen Blockaden müssen dringend überwunden werden?

Jorgo Chatzimarkakis: Wir haben in Europa ehrgeizige Ziele, aber die Umsetzung stockt, weil wir uns in Detailregeln verlieren. Statt Investitionen auszulösen, schaffen wir Komplexität – etwa durch sehr strenge Vorgaben bei der stündlichen Korrelation von Strom und Wasserstoffproduktion. Solche Anforderungen verteuern Projekte um bis zu ein Drittel, ohne dass sie messbar mehr Klimanutzen bringen.

Was wir brauchen, ist ein klarer, konsistenter Rechtsrahmen, der Investoren Planungssicherheit gibt. Es muss einfacher und schneller gehen, sonst verliert Europa weiter den Anschluss.

▶ Sie betonen, dass Autarkie beim grünen Wasserstoff nicht das Ziel sei. Wie verhindern wir aber, dass Europa in neue Abhängigkeiten gerät – ähnlich wie zuvor bei Öl und Gas?

Jorgo Chatzimarkakis: Indem wir auf Vielfalt (Diversifikation) setzen. Wir werden Wasserstoff sowohl in Europa selbst produzieren als auch importieren. Aber wichtig ist, dass wir nicht in eine neue Einseitigkeit laufen. Europa muss Partnerschaften mit verschiedenen Regionen aufbauen – von Nordafrika bis Südamerika, von der Nordsee bis zum Mittleren Osten.

Und wir brauchen eine starke eigene Wertschöpfung: von der Elektrolyseurproduktion über technologieoffene Verfahren bis zur Speicherung. Mit einer klugen Infrastrukturpolitik – Stichwort European Hydrogen Backbone – können wir Versorgungssicherheit schaffen, ohne uns wieder von wenigen Staaten abhängig zu machen.

▶ Wasserstoff soll teils für Busse, Heizungen und andere Anwendungen eingesetzt werden. Kritiker bemängeln: Das sei ineffizient. In welchen Sektoren sollte Wasserstoff aus Ihrer Sicht vorrangig und sinnvoll genutzt werden – und wo eher nicht?

Porträt Jorgo Chatzimarkakis

Jorgo Chatzimarkakis

Jorgo Chatzimarkakis: Ich sehe Wasserstoff als einen Allrounder, der uns hilft, die Lücken der Energiewende zu schließen. Er wird dort gebraucht, wo direkte Elektrifizierung an Grenzen stößt – etwa in der Stahl- und Chemieindustrie, im Schwerlastverkehr, in der Luft- und Schifffahrt. Aber ich möchte nichts kategorisch ausschließen, denn schon heute werden große Mengen Strom abgeregelt – welche man gut in Wasserstoff umwandeln könnte.

Die Praxis wird zeigen, welche Anwendungen sich durchsetzen. In manchen Regionen kann Wasserstoff im Wärmemarkt Sinn machen, in anderen nicht. Entscheidend ist, dass wir technologieoffen bleiben. Was zählt, ist die Effizienz im Gesamtsystem: Wasserstoff ermöglicht es, erneuerbare Energien zu speichern, Engpässe im Stromnetz abzufedern und sie über Sektoren hinweg nutzbar zu machen.

▶ Hydrogen Europe versteht Wasserstoff als Klimaschutz- und Industriepolitik. Wie stellen Sie sicher, dass nicht Industrieinteressen vor Klimazielen Vorrang haben?

Jorgo Chatzimarkakis: Das eine geht nicht ohne das andere. Wir erreichen unsere Klimaziele nur, wenn die Industrie Technologien in großem Maßstab produziert und anwendet. Deshalb müssen Fördergelder an klare Bedingungen geknüpft sein: CO2-Reduktion, Nachhaltigkeit und Resilienz.

Wir wollen vermeiden, dass uns das passiert, was wir bei der Solarindustrie erlebt haben – damals haben billige Importe Europa deindustrialisiert. Heute haben wir die Chance, Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit zu verbinden. Das ist kein Widerspruch, sondern ein doppelter Gewinn.

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▶ China und Indien setzen ambitionierte Wasserstoffprojekte um, während Europa hinterherhinkt. Wo sehen Sie das größte Risiko für die europäische Wettbewerbsfähigkeit – und wie kann Europa aufholen?

Jorgo Chatzimarkakis: Das größte Risiko ist, dass wir wieder eine Schlüsselindustrie verlieren. China produziert heute Elektrolyseure zum halben Preis, weil es massiv subventioniert und den Heimatmarkt schützt. Europa hat die Technologien, die Erfahrung und die Unternehmen – wir müssen jetzt dafür sorgen, dass sie auch hier skalieren können.

Das heißt: Resilienz-Kriterien in Förderprogrammen, damit europäische Fertigung belohnt wird. Und ein Marktumfeld, das Investitionen begünstigt, statt sie zu verzögern. Wenn wir diese Weichen richtig stellen, können wir vorne mitspielen. Aber die nächsten zwei bis drei Jahre sind entscheidend.

▶ Viele Studien zeigen, dass Wasserstoffproduktion und -logistik aktuell teuer und energieintensiv sind. Welche Hebel sehen Sie, um die Kosten entscheidend zu senken – und wie verhindern Sie, dass H2 ein „Nischenprodukt für Großkonzerne“ wird?

Jorgo Chatzimarkakis: Die Hebel sind klar: Erstens, Skaleneffekte. Je mehr Projekte realisiert werden, desto schneller sinken die Kosten. Zweitens, Innovation: Wir senken den Einsatz teurer Materialien wie Iridium in Elektrolyseuren drastisch. Drittens, Infrastruktur: Wenn wir Pipelines und Speicher aufbauen, sinken Transportkosten massiv.

Und viertens, kluge Förderung: Wir brauchen nicht nur Zuschüsse für die Anschaffung, sondern auch zeitlich befristete Unterstützung für den Betrieb, damit die ersten Nutzer nicht auf den vollen Mehrkosten sitzen bleiben. So entsteht ein Markt, der allen offensteht – auch mittelständischen Unternehmen, nicht nur den großen Konzernen.

Jorgo Chatzimarkakis, gebürtig aus Duisburg und ehemaliger MdEP, ist CEO des europäischen Wasserstoffverbandes Hydrogen Europe.