Zwischen Familienfest und Freiheitsappell: Die Kölner OB-Kandidatin Berîvan Aymaz (Grüne) setzt in Ehrenfeld auf Pathos, Vielfalt und klare Ansagen. Unterstützung kommt von Claudia Roth, Katharina Dröge – und einem eindringlichen Michel Friedman.
Ein riesiges Krokodilmaul als Eingangstor zur Hüpfburg, daneben der Duft frisch gebackener Waffeln: Der Neptunplatz in Köln-Ehrenfeld wirkt an diesem Samstagnachmittag eher wie ein Straßenfest als wie der Schauplatz eines Wahlkampfhöhepunkts.
Rund zweihundert Menschen haben sich versammelt, darunter auffallend viele junge Familien. Kinder toben, Eltern drängen sich um den Waffelstand und um ein Glücksrad. Im Wahlkampf-Pavillon der Grünen stapeln sich Flyer und Jutebeutel, es gibt Bio-Honig und lange Blättchen zum Joints drehen zu gewinnen.
Auf der großen Bühne hängen zwei meterhohe Banner mit dem Gesicht von Berîvan Aymaz (53). Sie ist die grüne Spitzenkandidatin für das Oberbürgermeisteramt in Köln. An diesem Nachmittag wird sie Unterstützung von prominenten Parteifreundinnen aus Berlin und einem Publizisten bekommen.
Die Erste, die an diesem Nachmittag die Bühne betritt, ist Katharina Dröge. Die Bundesfraktionsvorsitzende der Grünen kommt aus Ehrenfeld und hat hier auch ihr Bundestagsmandat errungen. Sie begrüßt das Publikum mit den Worten: „Willkommen im schönsten Stadtteil Kölns.“
Danach wird es ziemlich schnell ziemlich ernst. In Deutschland gebe es aktuell „eine Gesellschaft auf Spannung“, die Lautesten bestimmten den Ton, so Dröge. Dagegen müssten „Demokratinnen und Demokraten“ zusammenhalten: „Wir sind die Leute, die auf Höflichkeit und Anstand bestehen. Dafür müssen wir kämpfen.“
Ihre Rede ist ein Appell, die Kommunalwahl in Köln nicht zu unterschätzen. Sie warnt vor rechtspopulistischen Strömungen, greift Elon Musk an, der sich versucht habe in den Kölner Wahlkampf einzumischen: „Das Stärkste, was Köln jetzt machen kann, ist ein Signal für Vielfalt und Demokratie auszusenden. Gegen die AfD. Die richtige Frau dafür ist Berîvan Aymaz. Sie wird jeden Tag die Regenbogenfahne vor dem Kölner Rathaus hissen.“
Applaus brandet auf, dann übernimmt die Musik. Die kurdisch-deutschen Musiker Koma Amed und Mehmet Akbaş bringen den Platz zum Tanzen. Viele Hände greifen ineinander, eine lange Kette zieht sich über den Platz, zum Rhythmus des Govend, des traditionellen kurdischen Volkstanzes. Viele aus der kurdischen Community sind gekommen – und als Berîvan Aymaz, selbst Kurdin, mittanzt, zeigt sich für einen Moment ihre enge Verbindung zu den eigenen Wurzeln und den kurdischen Mitbürgern in Köln. Claudia Roth und Katharina Dröge stehen am Rand, etwas verlegen, versuchen immerhin, im Takt mitzuklatschen.
Zwischen Currywurst und Kulturkampf
Nach der Musik betritt Claudia Roth die Bühne. „Ich freue mich riesig, in meiner Lieblingsstadt zu sein – nach meiner Heimat Augsburg. Aber ihr Kölner seid in jedem Fall meine Lieblingsmenschen“, ruft die ehemalige Kulturstaatsministerin ins Publikum. Gleich zu Beginn zielt sie mit Ironie auf die SPD: „Die haben ein Plakat gemacht: Currywurst ist SPD. Ich befürchte, das ist Söderisierung der Sozis.“ Gelächter brandet auf.
Doch auch ihre Rede kippt bald ins Ernste. Deutschland erlebe „einen gewaltigen Rollback“: patriarchale Strukturen, fossile Energieträger, ein Zurück in eine vermeintlich gute alte Zeit, die es so nie gegeben habe. Köln brauche zukunftsorientierte Politik – und damit die Grünen.
Während Roth spricht, schiebt sich eine ältere Frau mit Rollator vor die Absperrung der Bühne. „Die da oben soll mal aufhören zu labbern und einfach machen“, schimpft sie in Richtung Bühne. Ein Ordner mit Ohrenschützern winkt ab, behauptet, nichts zu verstehen. Doch sein Grinsen verrät das Gegenteil. „Diese verdammten Wutbürger“, murmelt er, als die Frau kopfschüttelnd wieder abzieht.
Roth bekommt davon nichts mit. Unbeirrt spricht sie über Demokratie als Heimat, über die Würde des Menschen und die Erinnerung an die Opfer des NSU in der Keupstraße. Sie wirbt für ihre Parteifreundin: „Wenn ich an Berîvan denke, dann denke ich an ihre Herzensgutheit.“ Und sie mahnt: „Ihr alle müsst am 14. September die Demokratie verteidigen gegen ihre Feinde und Verächter.“
Nach ihrer Rede kündigt Roth den nächsten Programmpunkt an – und vollzieht dabei eine kleine Wortakrobatik: „Ich habe die Ehre, euch ganz besondere Duo:innen anzukündigen.“ Auf die Bühne treten die ukrainische Sängerin Tamara Lukasheva und der Allgäuer Multiinstrumentalist Matthias Schriefl mit seinem fast drei Meter langen Alphorn. Ihr Auftritt wirkt skurril, zwischen Jazz, Lautmalerei und Alphornklängen.
Als schließlich die Kandidatin selbst ans Mikrofon tritt, knüpft Berîvan Aymaz an die Reden ihrer Parteifreundinnen an – und versucht, sie auf Köln herunterzubrechen. „Köln ist mehr als nur eine Stadt. Köln ist ein Gefühl“, ruft sie ins Publikum, verspricht Klimaneutralität bis 2035 und bekräftigt den Widerstand gegen den Ausbau des Geißbockheims im Grüngürtel. Die angespannte Haushaltslage wolle sie durch „bessere Prozesse“ meistern. Am Ende setzt sie auf Pathos: „Wir wollen Geschichte schreiben – die erste grüne Oberbürgermeisterin an der Spitze einer Millionenstadt.“ Jubel brandet auf, doch der lauteste Applaus des Abends gilt ihrem nächsten Gast.
Michel Friedman, Publizist und Jurist, nimmt neben Aymaz in einem dunkelblauen Stoffsessel Platz – und reißt sofort das Gespräch an sich. Mit drängender Stimme warnt er: „Die Demokratie ist etwas sehr Fragiles. Vor zwei Tagen haben der russische und der chinesische Präsident gesagt, sie wollen eine neue Weltordnung.“ Das Problem sei, dass „die Verteidiger der Demokratie nicht so lautstark kämpfen wie ihre Angreifer“.
Friedman denkt größer als die Kölner Kommunalwahl. Er fragt nach dem Fundament der Gesellschaft. Vielfalt sei keine Gefahr, wohl aber „die Einfaltigkeit“. „Wir alle müssen uns verpflichten, Brücken zu bauen. Damit wir alle wieder frei atmen können.“
Friedmans Rede mäandert zwischen Staats-Philosophie und der Kommunalwahl in Köln. „Sie stimmen darüber ab, ob Diskurs und freie Meinungsäußerung in Zukunft noch möglich sein werden.“ Politik brauche Authentizität, das Eingeständnis von Fehlern und das Bekenntnis zu Freiheit. „In einer Demokratie ist niemand oben und niemand unten. Das ist nur die Struktur von Autokraten.“ Das Publikum hört gebannt zu – und spendet am Ende der Diskussion den lautesten Applaus des Abends.
Maximilian Heimerzheim ist Volontär im Innenpolitik-Ressort.