Man könnte ja einen kleinen Test machen. Indem man raten lässt, welche Bilder von einem Menschen geschaffen wurden und welche von einer algorithmisch gesteuerten Apparatur. Da wären zum einen: Scheinbar makellose weibliche Gesichter vor einem monochromen, blauen Hintergrund. Und zum anderen: Fast grobe, sehr skizzenhafte Zeichnungen, auf denen man die Porträtierten trotzdem gut erkennt. Nun, beeinflusst von den hyperrealistischen KI-Bildern heutiger Zeit könnte man meinen, dass erstere künstlich generiert wurden. Aber es ist umgekehrt. Die mit „Chinese Pool Portraits“ betitelten Frauen-Porträts stammen von dem Fotografen Roland Fischer. Und die „Skizzen“ sind von zeichnenden Maschinen geschaffen, die Patrick Tresset entwickelt hat.

Sehen kann man die Arbeiten im Bergson Kunstkraftwerk in München-Aubing. Dort sind sie ein Teil der Ausstellung „Beyond Surface“ in der frisch eröffneten Bergson Gallery. Diese befindet sich im Erd- und Zwischengeschoss des Neubaus und sie erweitert dort das bestehende Kunstangebot. Dazu gehörten bisher: Das in den Stockwerken darüber befindliche, im Juli eröffnete „Digital Arts Center“ und die „Silos“ im Hauptgebäude, welche seit letztem Jahr die Galerie König aus Berlin bespielt. Auch die Räume der Bergson Gallery sollten eigentlich von König genutzt werden. Und bereits davor war die Pulpo Gallery aus Murnau als Betreiber im Gespräch. Aber beides hat sich dann zerschlagen.

Das heißt: Das Galeristen-Duo aus Murnau hat am Ende „kalte Füße“ bekommen. Und im Falle der Bergson Gallery heißt die offizielle Losung nun, dass man doch lieber eine eigene Galerie wolle und nicht, dass andere die Räume bespielen. Eine Art Zerwürfnis gibt es aber offenbar nicht mit Johann König, der zuletzt mit einem vor Gericht gescheiterten Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Autor Christoph Peters in den Medien war. Alexander Timtschenko weiß jedenfalls nichts darüber zu berichten. Timtschenko ist der „Head of Bergson Gallery“, der sich diese Aufgabe mit Jana Vedra teilt.

Tracey Snelling „One Thousand Shacks“, 2016 Multimediainstallation.Tracey Snelling „One Thousand Shacks“, 2016 Multimediainstallation. (Foto: Henning Rogge / Draiflessen Collection)

Timtschenko und Vedra sind Münchner. Und beide sind mit dem Kunstkraftwerk in Aubing schon länger verbunden. So hatte Timtschenko, wie er bei einem Telefongespräch vor der Eröffnung erzählt, bereits 2023 im „Bergson Kunstkraftwerk Pop-up“ am Marienplatz eine Ausstellung gemacht. Außerdem habe er für das Bergson eine Art „Notprogramm“ zusammengestellt, als sich das mit der Pulpo Gallery zerschlug. Aber als es dann hieß, König übernimmt die Räume, war das Ganze obsolet. Und nun: Ist der 1965 in Starnberg geborene Timtschenko doch mit an Bord. Und er musste mit Vedra ein Konzept für die Galerie entwickeln.

Dafür konnte der in den Neunzigern als Fotokünstler gestartete Timtschenko auf mehr als 20 Jahre Erfahrung als Kurator zurückgreifen. An größeren Ausstellungen hat er etwa „The World: Reglitterized“ im Haus der Kunst (2021) und „ImPossible“ im Museum Frieder Burda (2024) gemacht. Jana Vedra ist seit 2024 im Haus. Sie sammelte im Auktions- und Kunsthandel Erfahrung, hat als Kunstberaterin für die UniCredit Group gearbeitet, aber auch Ausstellungen kuratiert. Für „Beyond Surface“ haben beide nun mit dem „Porträt“ ein sehr klassisches Thema ausgewählt und mit Roland Fischer, Patrick Tresset, Olga Migliaressi-Phoca, Tracey Snelling und Florian Süssmayr fünf künstlerische Positionen.

Roland Fischer „Los Angeles Portraits (L26)“, 1992, Fine Art Print- Diasec, 141x162cm.Roland Fischer „Los Angeles Portraits (L26)“, 1992, Fine Art Print- Diasec, 141x162cm. (Foto: Roland Fischer)

Das Ergebnis ist ein gelungener, spannender Auftakt, wenn auch noch ohne den ganz großen Wow-Effekt. Denn schließlich ist es ja so: Die Bergson Gallery ist eine Verkaufsgalerie und soll, so Timtschenko, sich „wie alle Abteilungen im Kunstkraftwerk selbst tragen“. Für die Eröffnung wurden, hieß es, immerhin „mehr als 1000 Tickets“ verkauft. Als Besucher konnte man sich dann unter anderem bei Patrick Tressets Installation „RNP-V.a-e“ von fünf Roboterarmen auf fünf Tischen zeichnen lassen. Und das war verblüffend anzuschauen. Auch weil das Zeichnen ziemlich langsam vor sich ging. An Schnelligkeit haben Tressets Roboter also nicht wirklich etwas voraus.

Die Algorithmen schreibt der in Brüssel lebende Künstler selber. Und diesen Hang zum Tüfteln, den kann man auch bei Tracey Snelling sehen. Die in Berlin lebende Amerikanerin, die beim Münchner Literaturfest eine Ausstellung hatte, baut aus Pappe oder Müll Miniaturhäuser, die sie mit Video und Ton zum Leben erweckt. Das ist faszinierend im Detail, zeigt bei der großen Installation „One Thousand Shacks“ aber auch das harte Leben in der Großstadt. Die Griechin Olga Migliaressi-Phoc reagiert mit ihrer aus großen Spiegeln bestehenden Serie „Vague Beauty Issue“ auf die Cover von Modeheften. Wobei bei den eingearbeiteten Botschaften wie „No Cry“ oder „Change“ nicht ganz klar ist, ob sie das kritisch oder eher aufmunternd meint.

Vom in München und Peking lebenden Roland Fischer sind Fotos von Menschen und Fassaden zu sehen. Was wie etwa auch bei Snelling zeigt, dass der Porträt-Begriff weit gefasst ist. Es zeigt aber auch, dass es wie im Fall von Florian Süssmayr durchaus auch um regionale und nicht immer um aktuelle Positionen geht. Fischers Arbeiten stammen teilweise aus den Nullerjahren. Auch vom früher mal als „bayerischer Warhol“ gehandelten, inzwischen in Genua lebenden Süssmayr gibt es ältere Werke. Wobei ein paar seiner neueren verschwommen-geisterhaften „Selbstportraits“ eher an Gerhard Richter erinnern.

Solche Wiederentdeckungen sollen laut Timtschenko aber eher die Ausnahme bleiben. Stattdessen wollen sie verstärkt junge Positionen zeigen. Es seien Kooperationen mit der Münchner Akademie und temporäre Messeformate geplant. Und mit „Earth Matters“ sei, sagt er, inzwischen schon die nächste Ausstellung fertig. Beim möglichen Clou fürs nächste Jahr geht es dann aber doch zeitlich zurück. Denn es könnte sein, sagt Timtschenko, „dass wir Kraftwerk bekommen“. Also die legendäre Elektropop-Band. Da würde es dann noch mehr um Musik als um bildende Kunst gehen. Aber Roboter wären auch wieder dabei.