Kiel. „Gutes Wetter, gute Laune“, bringt Liam Reinke (23) die Lage auf den Punkt. Der Flohmarktverkäufer steht mit einem breiten Grinsen neben Freundin Lea Schipper (23) an seinem Stand auf dem Rathausmarkt. Gegen 9.30 Uhr sind schon 30 Sachen über ihren Tapeziertisch gegangen. Darunter eine Pokémonkarte für 50 Euro. Es läuft für die beiden.
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Stunden zuvor war die Lage alles andere als entspannt. Vor 5 Uhr morgens waren die Straßen rund um den Rathausmarkt verstopft – sogar in der Rathausstraße stockte der Verkehr und die Verkäufer mit ihren bepackten Fahrzeugen kamen nicht voran. „So voll war es noch nie“, erzählt Birgit (55), die schon seit Jahrzehnten den Flohmarkt beschickt. „Es war die Hölle los – man hat es von überall Hupen gehört.“ Diesen Ansturm bestätigen auch andere Verkäufer und die Flohmarktaufsicht.
Weil endlich die Sonne schien, kam es beim Flohmarkt in Kiel zum großen Andrang
Einige Händler konnten wegen des Staus ihre markierten Flächen nicht pünktlich erreichen. Glück für Nina Stilhoff (42). So erwischte sie einen guten Platz im Zentrum des Rathausmarktes, statt ihre eigene Reservierung in B-Lage zu beziehen.
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Hintergrund des Händleransturms war das schlechte Wetter während der vergangenen Flohmarkttermine. Der Markt im August war quasi ausgefallen, weil wegen der Regenprognose keine Händler kamen. „Deswegen ist hier heute richtig viel los“, meint Michaela Rohwer. Sie ist mit Sohn Meeno (10) und Mann Götz Lungershausen einmal im Jahr auf dem Flohmarkt. Ihr Stand ist gut gefüllt mit Kinderkleidung, Spielzeug und Haushaltswaren.
„Dieses Jahr haben wir unseren Flohmarktverkauf wegen des Wetters mehrmals verschoben.“ Nun wurde der letzte Ferientag für die Familienaktion genutzt. Es sei aber auch höchste Zeit, die übers ganze Jahr angesammelten Dinge zu verkaufen. Wie viel sie einnehmen werden, konnte die Familie am Morgen noch nicht abschätzen, in den vergangenen Jahren waren es um die 500 Euro. Eine lukrative Sonntagsaktion.
Händler auf dem Kieler Flohmarkt klagen über Kunden und Kaufverhalten
Die professionellen Händler hingegen sind nicht so zufrieden. Ein Händler berichtet, dass er weniger verkauft als noch vor Jahren: „Kein Wunder“, sagt er. „Die Leute müssen in der Wirtschaftskrise ihr Geld zusammenhalten.“ Ein 50-jähriger Spieleverkäufer, der den städtischen Flohmarkt seit 30 Jahren gewerblich beschickt, berichtet, dass sich aus seiner Sicht die Flohmarktbesucher zum Negativen verändert hätten. Jüngere Leute seien nicht mehr bereit, einen fairen Preis zu bezahlen. Für sie gelte: „Hauptsache günstig. Am liebsten umsonst.“ Außerdem klagt er: „Seit fünf, sechs Jahren werde ich von Leuten beschimpft als ‚Scheiß Händler, ihr seid so teuer‘.“
Früher haben die Leute gehandelt, heute fragen sie nach einem Preis. Und wenn der nicht passt, laufen sie einfach weiter.
Julia Berlinski
Privatverkäuferin
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Aus seiner Sicht gebe es in Kiel ein Überangebot an Flohmärkten. In kleineren Städten seien die Kunden hingegen dankbarer, freundlicher und zahlungsbereiter. „Vor Corona habe ich in Kiel an einem Sonntag 8000 bis 9000 Euro verdient, jetzt sind es nicht mal mehr 1000. Die Pandemie hat viele ins Internet getrieben.“ Von seinen Einnahmen müsse er auch sein Personal bezahlen, heute seien es drei Helfer, denen er Mindestlohn zahle.
Stadt Kiel: „Wir haben genügend Platz für alle Flohmarktverkäufer“
Auch Privatverkäufer stellen ein verändertes Käuferverhalten fest: „Früher haben die Leute gehandelt, heute fragen sie nach einem Preis. Und wenn der nicht passt, laufen sie einfach weiter, statt zu handeln“, bedauert Julia Berlinski (28), die mit ihren Freundinnen vor allem Kleidung und Schuhe verkauft.
Positiv hingegen seien die digitalen Zahlungsmöglichkeiten. „Die Leute zahlen immer mehr mit Paypal“, berichtet Lisa Schröder (26). „Gerade, wenn sie ihr Geld schon ausgegeben haben, und dann noch etwas finden, können sie trotzdem bezahlen. Das ist natürlich super.“ Trotzdem bevorzugt Lisa Schröder Bargeld. Denn am Ende des Flohmarkttages bringe es Spaß, sagt sie, wenn man das ganze Geld zählen kann.
Eine Chance auf dieses Vergnügen gibt es nochmal am 28. September, dem letzten Innenstadt-Flohmarkt der Saison. Auch wenn die Sonne dann wieder ordentlich scheint, und es erneut zum Ansturm kommen sollte, würden alle Verkäufer zum Zug kommen. „Die Innenstadt bietet viel Platz“, heißt es seitens der Stadt. „Es musste noch nie jemand abgewiesen werden, weil keine Flächen mehr zur Verfügung standen.“
KN