Mit seinem Vorschlag, die Rentner zu einem sozialen Jahr zu verpflichten, hat der Ökonom und DIW-Präsident Marcel Fratzscher eine deutschlandweite, rege Debatte ausgelöst. Auch weil gerade jene Generation, die er damit ansprach, natürlich zahlenmäßig die jungen Jahrgänge übertrifft und sich entsprechend stimmgewaltig zu Wort melden kann. Und natürlich auch gute Gründe hat, das Ansinnen zu verweigern. So wie es jetzt auch die sächsische Landesseniorenvertretung getan hat. Aber Fratzscher stellt eine nicht ganz unwesentliche Frage.

Denn wie sieht es eigentlich mit der Generationengerechtigkeit aus? In seiner Kolumne, die am 29. August in der „Zeit“ erschien, wird er sehr deutlich: „Der Vorschlag eines Pflichtjahres ist Ausdruck einer tieferen Krise: der zunehmenden sozialen Polarisierung.

Auf dem Papier beruht der Generationenvertrag auf Gegenseitigkeit: Die Jungen finanzieren die Rente, Pflege und Gesundheit der Älteren, während diese die Grundlagen für eine bessere Zukunft der nächsten Generation schaffen. Doch in der Realität ist dieser Vertrag längst einseitig. Wir leben in einer Illusion von Solidarität.

Die Babyboomer hinterlassen ihren Kindern und Enkelkindern eine Welt, die in vielerlei Hinsicht schlechter dasteht als zuvor. Politisch hat man nach 1990 die Friedensdividende verspielt, die militärische Abhängigkeit von den USA verstärkt und autokratische Regime wie Russland und China durch kurzsichtigen Merkantilismus gestärkt.

Ökologisch verschlief man die notwendige Transformation, weil kurzfristige Profite wichtiger erschienen als Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Und gesellschaftlich beharrte man auf ein Familienmodell, ohne in eine moderne Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur zu investieren.“

Sein Vorschlag für ein Pflichtjahr für Ältere hatte schon vorher für Diskussionsstoff gesorgt. „Vorschlag für Rentner-Pflichtjahr stößt auf scharfe Kritik“, hatte die „Zeit“ am 22. August getitelt, sodass Fratzscher am 29. August etwas ausführlicher werden musste.

„Natürlich ist ein Pflichtjahr für Ältere kein Allheilmittel. Es ersetzt nicht die dringend notwendigen Reformen bei Steuern, den Sozialsystemen oder Bildung. Aber es wäre ein wichtiges Zeichen der Solidarität“, betonte er etwas, was in unserem aktuellen politischen System völlig verloren zu gehen droht.

„Die Empörung über den Vorschlag zeigt, wie schwer es uns fällt, Solidarität neu zu denken. Viele Babyboomer verstehen ein Pflichtjahr als Zumutung. In Wahrheit wäre es eine Chance für die Älteren, etwas weiterzugeben und für die Jüngeren, mehr Unterstützung zu erfahren. Es wäre außerdem die Chance für die Gesellschaft, den Generationenvertrag zu erneuern.“

Wer den kompletten Meinungsbeitrag von Marcel Fratzscher lesen möchte, findet ihn hier.

Bei der Diskussion um das Pflichtjahr wir freilich oft auch vergessen, dass es der Vorschlag eines Ökonomen ist, der die Diskussion um den (demolierten) Generationenvertrag neu anfachen möchte, und kein Vorschlag aus der Politik. Aber er wird ebenso ernst genommen, wie auch die Wortmeldung der sächsischen Landesseniorenvertretung zeigt.

Die Wortmeldung der Landesseniorenvertretung Sachsen

Landesseniorenvertretung Sachsen nimmt Stellung zum Vorschlag eines Pflichtdienstes für Seniorinnen und Senioren

Dresden, September 2025

Die Landesseniorenvertretung Sachsen bezieht Stellung zur aktuellen Diskussion um die Einführung eines verpflichtenden sozialen Jahres für Rentnerinnen und Rentner, wie es vom Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, vorgeschlagen wurde.

Wir begrüßen ausdrücklich eine offene Debatte über gesellschaftlichen Zusammenhalt und generationengerechte Lösungen. Ein verpflichtendes soziales Jahr für Seniorinnen und Senioren lehnen wir jedoch entschieden ab. Engagement muss freiwillig bleiben und darf nicht durch Zwang ersetzt werden.

Seniorinnen und Senioren tragen bereits heute wesentlich zur Gesellschaft bei

„Seniorinnen und Senioren haben in ihrem Leben bereits einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung und Stabilität unserer Gesellschaft geleistet – durch jahrzehntelange Arbeit, Familienverantwortung und vielfältiges ehrenamtliches Engagement. Statt neue Verpflichtungen zu fordern, sollte der Fokus darauf liegen, diese Leistungen anzuerkennen und die bestehenden Strukturen freiwilligen Engagements gezielt zu fördern“, betont die Landesseniorenvertretung für Sachsen.

Ehrenamtliches Engagement anerkennen und stärken

Rund 30 Prozent der Seniorinnen und Senioren in Sachsen engagieren sich regelmäßig ehrenamtlich – sei es in sozialen Projekten, Kommunalparlamenten, Vereinen, Kirchengemeinden oder der Nachbarschaftshilfe. Dabei tragen viele die entstehenden Kosten für ihr Engagement selbst. Dieses freiwillige Engagement ist eine tragende Säule unserer Gesellschaft und verdient höchste Anerkennung und Unterstützung.

Gesellschaftlicher Zusammenhalt statt weitere Spaltung

Die Landesseniorenvertretung Sachsen warnt davor, die Diskussion um ein Pflichtjahr für Rentnerinnen und Rentner als Mittel zur Entlastung jüngerer Generationen zu instrumentalisieren. Wir erkennen an, dass die Herausforderungen der Zukunft generationenübergreifend gelöst werden müssen. Doch ein verpflichtendes soziales Jahr für Seniorinnen und Senioren ist nicht der richtige Weg.

Wir fordern daher:

Respekt vor Lebensleistungen: Seniorinnen und Senioren dürfen nicht als Ressource gesehen werden, die „verplant“ werden kann. Ihre bisherigen Beiträge – durch Berufstätigkeit, familiäre Unterstützung und ehrenamtliches Engagement – müssen stärker gewürdigt werden.

Stärkung des Ehrenamts: Freiwilliges Engagement braucht Anerkennung, Unterstützung und bessere Rahmenbedingungen. Dazu gehören zum Beispiel die Förderung von Ehrenamtsprogrammen, eine bessere finanzielle Ausstattung gemeinnütziger Initiativen, die Abgeltung finanzieller Aufwendungen wie beispielsweise Fahrtkosten und die Entlastung von bürokratischen Hürden.

Klare Analyse vor neuen Forderungen: Bevor über Pflichtdienste diskutiert wird, muss eine sachliche Bestandsaufnahme erfolgen, wie stark Seniorinnen und Senioren bereits heute die Gesellschaft tragen. Die Realität zeigt, dass ihre Leistungen häufig unterschätzt und wenig geachtet werden.

Kein Keil zwischen den Generationen: Die Diskussion um ein Pflichtjahr darf nicht zu einer weiteren Spaltung führen. Jung und Alt müssen gemeinsam Lösungen finden, um die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft solidarisch zu bewältigen

Die Landesseniorenvertretung Sachsen appelliert an die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für Seniorinnen und Senioren zu verbessern und das freiwillige Engagement gezielt zu fördern und zu stärken, anstatt verpflichtende Dienste einzuführen.