Bei ihrer Ankunft am späten Nachmittag erwartet die Familie Moser die beiden Radler schon sehnsüchtig. Fünf Tage waren Cédric Roze und seine Frau Murielle in fünf Etappen mit ihren Rennrädern vom französischen Montsaon nach Westerheim in Richtung Schwäbische Alb unterwegs. Genaues Ziel der Reise: Das Haus von Rainer Moser und seiner Familie, denn beide Familien verbindet eine innige Freundschaft, die seit dem Zweiten Weltkrieg besteht.

Sie setzen damit eine Tradition zwischen Rozes und den Mosers fort: 1940 geriet der französische Soldat Roger Roze, Cédric Rozes Großvater, in deutsche Kriegsgefangenschaft und wurde von 1944 an auf dem Hof der Mosers in der Hohenstadter Straße in Westerheim zur Zwangsarbeit verpflichtet. Doch der französische Soldat wird von der Familie Hofer herzlich aufgenommen. Zu dieser Zeit kämpfte Hofbesitzer Josef Moser an der Ostfront. Weil Besuche unter den Familien mittlerweile zu einer deutsch-französischen Tradition geworden sind, pflanzten sie eine Freundschafslinde.

Anlässlich des Besuchs von Murielle und Cédric Roze pflanzten beide Familien eine Freundschaftslinde.

Anlässlich des Besuchs von Murielle und Cédric Roze pflanzten beide Familien eine Freundschaftslinde. (Foto: Privat)

„Wir sind drei Tage in Frankreich und zwei in Deutschland gefahren“, berichtete Murielle Roze am Ziel in Westerheim. Viele Höhenmeter auf den letzten Kilometern haben ihr und ihrem Mann ordentlich zu schaffen gemacht. Doch sind sie keineswegs untrainierte Fahrer, so Murielle Roze, die in einem Radsportverein in Frankreich regelmäßig Touren mitmacht. Erschöpfend sei die Fahrt dennoch gewesen: „Im Schwarzwald mussten wir steile Hänge bewältigen, das war echt schrecklich.“ Umso mehr haben sie und ihr Mann sich am Abend auf die Nacht im Wellnesshotel gefreut, bevor sie den letzten Tag ihrer Reise antraten.

Familie begleitet Radler mit dem Auto

Begleitet wurden sie mit dem Auto auf allen Etappen von Cédric Rozes Vater Maurice, seinem Bruder Paul sowie deren beiden Ehefrauen. „Nach einem schönen gemeinsamen Wochenende sorgen sie auch für den Rücktransport des Radfahrerduos“, erklärt Rainer Moser im Nachgang an das deutsch-französische Familientreffen. Bereits im Jahr 2023 besuchte die Enkel-Generation der Mosers die Rozes in Montsaon – ebenfalls mit dem Fahrrad. So knüpft der diesjährige Besuch daran an, wie Moser berichtet, weshalb das Familienoberhaupt die Anwesenheit seiner französischen Freunde als Gelegenheit für ein Herzensprojekt nutzte. „Wir haben eine Freundschaftslinde gepflanzt“, die der Familienvater als ein Symbol für die seit über 80 Jahren bestehende Freundschaft sieht.

Selbst der Tod von Familienangehörigen konnte diese Freundschaft nicht beenden. 1986 verstarb der einstige Soldat Roger Roze, der noch zuvor im Jahr 1972 mit Familie im Gepäck einen unangekündigten Besuch in Westerheim bei der Familie Moser machte. Im Sommer 2007 reisten daraufhin Rozes Sohn Maurice und dessen Frau Genéviève erneut nach Westerheim, ohne jedoch die genaue Adresse des Hofes zu kennen, auf dem sein Vater in Kriegsgefangenschaft Freundschaft mit der Familie Moser schloss.

Söhne erkennen sich nach über 20 Jahren wieder

Nur durch Herumfragen von Tür zu Tür landete der Sohn des Soldaten Roze in der Hohenstadter Straße 27 bei Lidwina Kneer – selbst eine geborene Moser, die dem französischen Paar bei ihrer Suche half. Als Franz-Josef Moser den Sohn des Soldaten Roger Roze vom Treffen aus dem Jahr 1972 auf der Straße wiedererkannte, war die Verbindung wiederhergestellt. So hält der Kontakt bis heute, wenn auch die Familien nicht von Schicksalsschlägen verschont blieben. „Im vergangenen Jahr verstarb Damien Roze, ältester Sohn von Maurice und Genéviève Roger, völlig unerwartet nach kurzer schwerer Krankheit“, so Moser, „weshalb wiederrum sein Bruder Cédric und Murielle zu dessen Gedenken die Strecke von Montsaon nach Westerheim auch in umgekehrter Richtung mit Fahrrädern zurückgelegt haben“.

Rainer Moser ist sichtlich stolz auf die deutsch-französische Freundschaft, welche die Familie auch nach dem Tod Franz-Josef Mosers im Januar 2010 bis heute zelebriert. „Ein Höhepunkt bildete die Einladung anlässlich der Hochzeit von Maurice Rozes Tochter Lina im Sommer 2014. Einen Tag vor dem legendären WM-Finale in Brasilien. Die Rückkehr am Finaltag gelang pünktlich zum Anpfiff“, erinnert sich Moser. Es sind Momente der gegenseitigen Freundschaft wie diese – vom Kreismusikfest in Westerheim oder einem Besuch der Deutschen bei der Tour de France, „die über die Jahre für einen wunderbaren kulturellen Austausch zwischen den Angehörigen der beiden Nationalitäten sorgten“.