Ocean Vuongs zweiter Roman hat viele Vorschusslorbeeren erhalten – völlig zu Recht. „Der Kaiser der Freude“ erzählt die Geschichte von Hai, einem jungen, queeren Mann, und Grazina, einer alten Frau mit beginnender Demenz. Während er einen vietnamesischen Background hat, stammt sie aus Litauen.
Ihre Begegnung wirkt zunächst zufällig: Hai überlebt einen Suizidversuch, Grazina nimmt ihn auf, und gemeinsam entdecken sie die Welt aus einem neuen Blickwinkel. Dabei verschwimmen Realität, Erinnerung und Einbildung. So entfaltet der Roman ein fein gesponnenes Netz aus Liebe, Verlust, Solidarität und Humor.
Poetische Sprache trifft harte Realität
Besonders bemerkenswert ist Vuongs unverwechselbarer Sprachstil. Poetisch, elegant und zart, zugleich klar und prägnant, lässt er die harte Realität armer Menschen in den USA lebendig werden. Die Figuren – überwiegend nicht weiß und prekär lebend – geraten nie in stereotype Opferrollen.
Vuong beobachtet mitfühlend, aber nie moralisierend: Wir sehen die Mühen des Zurechtfindens in einer Welt, die oft wenig Rücksicht kennt, und spüren die menschliche Wärme, die daraus erwächst.
Hinzu kommt der subtile Humor, das Augenzwinkern, das Vuong in die Geschichte einwebt. Sei es der Alltag im Fastfood-Restaurant, in dem Hai arbeitet, während seine Mutter glaubt, er studiere Medizin, oder die imaginären Reisen Hais und Grazinas in die Vergangenheit – immer wieder blitzen Momente auf, die zum Lächeln bringen, ohne die Härte des Lebens zu verharmlosen.
Vuong zeigt, dass Humor, Poesie und Lebensrealität keine Gegensätze sind, sondern sich zu einer kraftvollen Erzählung verbinden lassen.
Unaufdringliche soziale Kritik
Ein weiterer Zauber des Romans liegt in der Unaufdringlichkeit der sozialen Kritik. Vuong thematisiert Armut, marginalisierte Lebenswelten und die komplexe soziale Realität der Figuren, ohne den Zeigefinger zu heben – kein neunmalkluges Mittelschicht-Kind schreibt hier über Dinge, die es nur aus Serien oder Rap-Songs kennt.
Es ist diese Mischung aus Intimität, Melancholie und feinem Gespür für menschliche Widersprüche, die „Der Kaiser der Freude“ so lesenswert macht. Die Figuren helfen und belügen einander, kämpfen, scheitern und triumphieren – und man spürt stets die zärtliche, präzise Beobachtung eines Dichters.
„Der Kaiser der Freude“ ist kein konventioneller Roman über soziale Missstände, kein abstrakter Bericht über Armut oder die USA unter Trump. Es ist ein Werk, das die menschliche Erfahrung in ihrer ganzen Schönheit und Verletzlichkeit nahebringt.
Vuong vereint poetische Sprache, Humor und harte Realität auf einzigartige Weise, sodass man nach der Lektüre das Gefühl hat, mit den Figuren ein Stück durch ihr Leben gegangen zu sein.
Ocean Vuong. Der Kaiser der Freude. Carl Hanser Verlag 2025. 525 Seiten. 27 Euro.
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