Die Lage der Parkbank ist spektakulär. Auf der Kuppe des hügeligen Mary Lea Parks im malerischen Küstenort Rockport bietet sie einen Logenplatz. Bei 25 Grad und einer angenehmen Brise blickt man über blühende Strandrosen hinab auf den natürlichen Hafen in der Penobscot Bay, wo Segelschiffe und Boote von Lobsterfischern friedlich in der Sonne schaukeln.
So muss Sommerurlaub sein – knapp 1000 Meilen entfernt von Washington, wo der Präsident täglich für neue Schlagzeilen sorgt. Der Neuengland-Staat Maine mit seinen zerklüfteten Felsküsten, den behaglichen Bed-and-Breakfast-Pensionen in windschiefen Kapitänshäusern und einer verlässlich demokratischen Mehrheit bietet das Kontrastprogramm. Das Meerwasser ist so kalt wie klar, auf Weinflaschen wird ein 15-Cent-Pfand erhoben, und selbst in den kleinsten Orten liegt an der Supermarktkasse die „New York Times“ aus.
Hier im Nordosten, kurz vor Kanada, scheint die Welt noch in Ordnung. Doch auf der Rückenlehne der Bank klebt ein weißer Zettel. „We already know who’s on Epstein’s List (Wir wissen schon, wer auf der Epstein-Liste ist)“ steht darauf. Darunter prangt ein Foto des jungen Donald Trump mit einer deutlich jüngeren Frau.
Ein paar Schritte weiter fordert ein Aufkleber an der Tür des Restaurants Nina June in einem restaurierten Backsteinbau: „Do not panic. Organize!“ (Verfallt nicht in Panik. Organisiert Euch!). Der Buchladen Barnswallow Books hat im Regal für neue Sachbücher prominent „Surviving Autocracy“ von Masha Gessen, „How to Stand Up to a Dictator“ von Maria Ressa und „On Tyranny“ von Timothy Snyder dekoriert – das nicht ganz so aktuelle Lektüreprogramm des progressiven Amerikas.
Hummer vom Pappteller aus einer der zahllosen Lobster-Pounds: beliebt, aber teuer. Ein Hummerbrötchen kostet mittlerweile zwischen 30 und 35 Dollar.
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KARL DOEMENS
Nein, Trump kriegt man auch im Land der Lobster und der Liberalen nicht aus dem Kopf. Zu allgegenwärtig ist er mit seiner Politik inzwischen in allen Bereichen des Lebens: Die Fischer spüren die Folgen der Zölle, die Gastronomen suchen händeringend Personal, die Ranger im Nationalpark sorgen sich um ihre Programme. Im Hafen von Kennebunkport, dem noblen Sommerrefugium der Bush-Familie, flattert am Mast eines Seglers eine Trump-Fahne.
Kaum hat man die Landesgrenze auf der Interstate 95 vom Süden kommend überquert, wird man beim Visitor Center in Kittery ungewöhnlich freundlich empfangen. Drinnen gibt es eine Kostprobe der lokalen Blaubeeren. Draußen grüßt ein Schild mit einer kanadischen und amerikanischen Fahne. „Bienvenue, Canadiens!“ steht darauf in Französisch: „Le Maine accueille nos amis canadiens!“ (Maine heißt unsere kanadischen Freunde willkommen). Es klingt wie eine Beschwörung.
Auch vor vielen Motels wehen lockend rot-weiße Ahornflaggen. Seit Trump das Nachbarland als „51. Bundesstaat“ verhöhnt und mit Zöllen überzieht, ist die Zahl der Besucher aus Kanada in Maine um 30 Prozent eingebrochen. Die demokratische Gouverneurin Janet Mills ist persönlich jenseits der Grenze auf eine mehrtägige Werbetour gegangen. Geholfen hat es wenig.
Auch in einem Bed and Breakfast in Wells sind in der Hauptsaison nicht alle Zimmer belegt. Fragen nach den kanadischen Gästen beantwortet der Besitzer ausweichend. Über Politik möchte er nicht reden. Zu heikel – gerade hier in Wells. Der 12.000-Einwohner-Ort mit seinen vorgelagerten Bilderbuch-Sandstränden hat landesweit Schlagzeilen gemacht, weil die örtliche Polizei als einzige in dem Bundesstaat mit der Ausländerpolizei ICE bei der Festnahme von irregulären Migranten zusammenarbeitet.
Insgesamt dürften in Maine kaum einmal 10.000 Zuwanderer ohne Papiere leben. Hinzu kommen 8000 Menschen, die befristet mit speziellen Visa während der Urlaubssaison ins Land kommen. Die Gastronomie ist auf diese Arbeitskräfte angewiesen. Seit April demonstrieren einmal wöchentlich Aktivisten vor der Polizeistation in Wells. „No ICE in our community“ und „Fight ignorance, not immigrants“ steht auf ihren Plakaten.
Bei blauem Himmel und dem Rauschen des Atlantiks möchte man die Politik gerne vergessen. Wo ließe sich damit besser beginnen als im Wells Beach Lobster Pound – einem jener unzähligen Buden entlang der Küste, die in rustikaler Atmosphäre die Maine-typischen Schalentiere auf Papptellern anbieten? Vor dem Lobster Pound stehen ein Dutzend weiße Biertische mit Sonnenschirmen, von denen man direkt aufs Meer schauen kann.
Bestellt wird drinnen, wo sich die lebenden Hummer nach Größe sortiert in drei Bottichen tummeln. Kenner ordern die ein bis anderthalb Pfund schweren Tiere frisch gekocht. Doch das Knacken und Ausnehmen des Panzers fordert ein bisschen Fingerfertigkeit. Immer mehr Gäste wählen deshalb aus Bequemlichkeit eine „Lobster Roll“, bei der das delikate weiße Fleisch mit Mayonnaise abgeschmeckt und mundgerecht auf einem fluffigen Brötchen angerichtet ist.
Kanadier werden herzlich willkommen geheißen. Das ändert nichts daran, dass die Zahl der Besucher aus Kanada in Maine um 30 Prozent eingebrochen ist.
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KARL DOEMENS
Doch vor dem Eiweiß- gibt es einen Preisschock: Zwischen 30 und 35 Dollar muss man inzwischen für ein solches Hummerbrötchen an der Imbissbude hinlegen. Die Inflation, die Trump eigentlich bekämpfen wollte, ist hoch. Fragt man nach den Gründen, bekommt man unterschiedliche Antworten: So finden sich immer weniger Tiere in Ufernähe. Wegen der Erwärmung des Ozeans zieht es sie hinaus in tiefere Regionen und in Richtung Norden. Für die Fischer bedeutet das: längere Fahrtzeiten, mehr Aufwand und mehr Diesel für die Boote. Mit seiner Unterstützung fossiler Brennstoffe und der Aufhebung wichtiger Umweltauflagen verstärkt der US-Präsident langfristig die Klimakrise.
Aktuell bereitet er den Fischern vor allem mit seiner Zoll- und Abschiebepolitik Sorgen. Die meisten Hummerfallen werden aus Draht hergestellt. Dessen Preis ist durch die staatliche Importsteuer für Stahl deutlich gestiegen. Und der Mangel an Personal macht die manuelle Weiterverarbeitung der Schalentiere noch teurer.
Tiefer in die Tasche greifen muss der Urlauber auch bei einem Kaffee-Stopp in Rockland. Dort betreibt der lokale Röster Rock City Coffee einen Coffee Shop. Es duftet verlockend. Eine große Tafel listet das Angebot vom „Daily Drip“ bis zum „Flat White“ auf. Die Preise dahinter hat Geschäftsführerin Jessie Northgraves kürzlich überklebt. „Die Kosten für die Bohnen gehen seit Längerem durch die Decke“, erklärte sie ihren Kunden bei Facebook. Die 50-prozentigen Zölle für Brasilien, wo ein beträchtlicher Teil ihres Sortiments herkommt, gaben ihr den Rest. Der kleine Cappuccino kostet nun satte 5,55 Dollar. Das 340-Gramm-Päckchen mit gemahlenen Bohnen verteuerte sich von 15,75 Dollar auf 16,50 Dollar.
Keine halbe Stunde südlich, in Tenants Harbor, kann man beim Frühstück am nächsten Morgen beobachten, wie die Lobsterfischer im Hafen ihren nächtlichen Fang entladen. Man ahnt, wie hart es ist, bei jedem Wetter im Dunkeln aufs Meer hinauszufahren. Auch der Kellner im Restaurant hat einen Knochenjob. Er beginnt um 6.30 Uhr und hat kaum vor 23 Uhr Feierabend. „Danach bin ich fertig“, sagt der junge Mann aus Kasachstan. Trotzdem ist der Tourismus-Student für den Sommer gerne nach Maine gekommen: Wegen der Erfahrung. Wegen der Ausbildung. Und wegen des Trinkgeldes.
Die Gastronomie und Hotellerie entlang der Küste hängt von solchen ausländischen Saisonkräften ab. Meist sind es Studierende, die mithilfe eines amerikanischen Arbeitgebers ein befristetes J-1-Visum erhalten. „In diesem Jahr war das nicht schwer“, berichtet der Kasache. Doch künftig gibt es hohe Hürden: Trump will die Zahl der Visa reduzieren. Die Gebühr soll von 185 Dollar auf rund 500 Dollar steigen. Unter diesen Umständen, sagt der Kellner, wäre er nicht gekommen.
Auch das große Atlantic Oceanside Hotel in Bar Harbor wird Probleme bekommen. An der Wand des Frühstücksraums hängt eine Tafel mit Namen und Nationalitäten des Servicepersonals. An diesem Morgen sind Jennie von den Philippinen, Darwin aus El Salvador, Rosemarie, Andrea und Lloyd aus Jamaika sowie Erica und Bailey aus den USA im Einsatz. Der Ort ist zum Bersten voll. Er dient als Basislager für den Besuch des nahe gelegenen Acadia-Nationalparks. Ohne ausländische Helfer könnten die meisten Betriebe schließen.
Zu sehen gibt es in Bar Harbor wenig. Die Attraktionen warten draußen in der Natur: Mit seiner wilden Küstenlinie, den stillen Seen, wildreichen Wäldern und dem höchsten Berg an der Atlantikküste gilt der Acadia-Nationalpark zu Recht als eine der Kronjuwelen Nordamerikas. Trotzdem wird er wie die anderen Naturreservate von der Trump-Regierung stiefmütterlich behandelt. Fast ein Viertel des Personals hat die neue Regierung landesweit abgebaut. Manchenorts mussten die Ranger wochenlang auf ihr Gehalt warten, und die Öffnungszeiten sind verkürzt. Anderswo werden die Toiletten nicht mehr regelmäßig gereinigt.
So weit ist es in Acadia noch nicht. Aber der Park fährt auf Verschleiß. Überall fehlt es an Personal. Das traditionelle achtwöchige Youth Conservation Corps, bei dem Jugendliche durch aktive Arbeit an den Naturschutz herangeführt werden, konnte in diesem Jahr nicht stattfinden. „Wir müssen den Einstellungsstopp aufheben“, mahnt Eric Stiles, der Vorsitzende des Acadia-Fördervereins: „Das ist von existenzieller Bedeutung.“ Doch Trump will im kommenden Jahr noch einmal eine Milliarde Dollar bei den National Parks einsparen. Dafür plant er, ausländische Touristen beim Eintritt stärker zur Kasse zu bitten: „In den Nationalparks“, hat er verkündet, „geht es um America First.“
Gibt es denn gar kein Entkommen von Trumps Politik? Eine Segeltour mit dem Windjammer „Surprise“ in der Penobscot Bay immerhin verschafft etwas Abstand. Ein paar Schweinswale tauchen auf, und die Häuser am Ufer schrumpfen, während der Zweimastschoner lautlos aufs Meer hinausgleitet. Plötzlich glaubt man, am Horizont eine Insel zu erkennen. Ist Land in Sicht? Der Kapitän schüttelt den Kopf. „Eine optische Täuschung“, sagt er.