Auch mit seinem Roman „Wut und Liebe“ trifft Bestsellerautor Martin Suter die Erwartungen seiner Leserinnen und Leser wieder zu hundert Prozent
Von Dietmar Jacobsen
Besprochene Bücher / Literaturhinweise
Wo Martin Suter draufsteht, ist in der Regel ein Bestseller drin. Der Schweizer Erfolgsautor versteht es wie kaum ein anderer deutschsprachiger Schriftsteller unserer Tage, seinen Leserinnen und Lesern ein ums andere Mal das zu liefern, was die seit Jahren von ihm erwarten: glänzende Unterhaltung, verfasst in einem süffigen Stil, spannend, aber nicht nervenzerfetzend dargeboten. Ob es sein Kunstdetektiv Johann Friedrich von Allmen ist oder andere Figuren aus dem inzwischen umfangreichen Suter-Romankosmos: man fiebert als Leserin oder Leser mit ihnen mit, freut sich, wenn sie obsiegen – was sie meistens tun – und ärgert sich gemeinsam mit ihnen über jede kleine Niederlage.
Nun also Wut und Liebe, Martin Suters alles in allem neunzehnter Roman. Der kündigt die großen Gefühle bereits in seinem Titel an. Und wer glaubt, die beiden Emotionen ließen sich nie und nimmer unter einen Hut bringen, wird im Laufe der Lektüre eines Besseren belehrt. Denn aus Liebe kann genauso schnell Wut entstehen wie Wut über Nacht zu Liebe werden kann.
Dass jede und jeder auf dieser Welt geliebt werden will – ob er oder sie es verdient hat oder nicht –, ist eine Binsenweisheit. Die natürlich auch auf Camilla da Silva zutrifft, die Freundin des erfolglosen Künstlers Noah Bach. Doch eines Tages reicht der jungen Frau das nicht mehr. Zumal sie, die als Buchhalterin ihre Brötchen verdient und sich gerade mit einer Freundin auf eine abenteuerliche Geschäftsidee eingelassen hat, das Paar finanziell fast allein über Wasser halten muss. Deshalb soll schnell ein anderer Mann her, einer, der ihr etwas mehr als Noah zu bieten hat und neben dem sie glänzen kann. In Carl ist dieser neue Partner dann auch relativ schnell gefunden. Der um einiges Ältere stellt etwas dar im Leben und kann Camilla sogar eine eigene Wohnung in einem der besseren Wohnviertel der Stadt finanzieren. Nur ist er halt verheiratet und denkt offenbar auch nicht daran, zuhause reinen Tisch zu machen.
Und Noah? Der will natürlich nicht als Verlierer dastehen und sucht verzweifelt nach einer Möglichkeit, endlich der zu werden, den Camilla sich wünscht. Und eines Tages scheint die Chance da zu sein. Denn in einem Lokal – Lokale und die erstklassige Ware, mit der in ihnen den Gästen aufgewartet wird, stellen wie in jedem Suter-Roman auch in Wut und Liebe ein wichtiges Ingredienz dar – mit dem bezeichnenden Namen „Blaue Tulpe“ lernt er die doppelt so alte Betty Hasler kennen. Sie ist eine verwitwete Dame mit Geld und Geschmack. Allerdings wähnt die sich an der Schwelle des Todes angekommen. Vom Leben lassen will sie aber erst, wenn ihr vorher noch ein Herzenswunsch erfüllt wird. Und deshalb stellt sie ihrem neuen jungen Freund eine Million Franken aus ihrem Vermögen in Aussicht, wenn er ihr bei der Erfüllung dieses letzten Wunsches behilflich ist. Dass es dabei um die Ermordung eines Menschen geht, stellt den eher zartbesaiteten Künstler allerdings vor einige Probleme. Und die sind nicht nur moralischer Art sind.
Peter Zaugg heißt der Mann, der Betty ein Dorn im Auge ist. Zusammen mit ihrem verstorbenen Mann Pat hat er eine Unternehmensberatung geführt und laut Betty trifft ihn die Schuld an Pats frühem Tod, weil Peter ihn „ausbeutete, betrog, schikanierte, lächerlich machte und seine Bescheidenheit schamlos ausnützte“. Nun soll der skrupellose Compagnon – ein „Me-tooler alter Schule“, wie eine für ihn arbeitende Bürokraft betont – also sterben. Und das noch ehe die ihn hassende Betty das Zeitliche segnen muss. Und weil Zaugg in der Folgezeit alles tut, um sich auch bei Noah mehr als unbeliebt zu machen, liegt der junge Künstler alsbald mit geladenem Gewehr mehrmals an Zauggs Joggingstrecke auf der Lauer, um sich außer der versprochenen Million auch noch die Genugtuung zu verschaffen, sich von einem Großkopferten nicht alles bieten zu lassen.
Allein es kommt am Ende auch in diesem Roman wieder einmal alles anders als gedacht. Und bei einem seiner morgendlichen Ausflüge an die Zauggsche Laufstrecke – die Morgendämmerung und der mit ihr einhergehende, langsam aufsteigende Nebel tauchen die Gegend rund um den Holzstapel, hinter dem der potentielle Todesschütze Deckung und eine Auflage für sein Gewehr gefunden hat, in ein diffuses Licht –, hat der bisher erfolglose Künstler eine Idee, die ihn mit einem Schlag für die zeitgenössische Kunstszene interessant macht: „Sollte er alles, was er malte, zeichnete, aquarellierte, mit einem feinen Herbstnebel überhauchen?“. Gefragt, getan – und plötzlich erweisen sich Noahs Bilder als äußerst individuell. Denn die alles ins Ungefähre rückende leichte Vernebelung seiner Sujets erweist sich genau als jenes Alleinstellungsmerkmal, mit dem ein Künstler sich endlich einen Ruf und seinen Werken die erhoffte Aufmerksamkeit und ein zahlungskräftiges Publikum verschaffen kann.
Wut und Liebe streift eine Reihe von Problemen unserer Zeit, ohne sich allzu ausführlich auf sie einzulassen. Ob es die Panama-Papers sind oder das Gerangel um die Plätze an der Sonne in der Kunstszene, soziale Hierarchien in der Arbeitswelt oder die sexuelle Belästigung von Frauen im Job – kaum angerissen, macht das jeweilige Problem schon wieder Platz für die Beschreibung edler Restaurants, stilvoller Interieurs und verlockender Versprechen, die freilich allesamt, wenn es ernst wird, wieder einkassiert werden. In dieser Hinsicht ähnelt Suters Roman einem in reizvoller Landschaft gelegenem See. Aber Vorsicht: Kopfsprünge empfehlen sich nicht, dazu ist er zu flach, auch wenn seine Oberfläche noch so verführerisch glitzert.

