Vor 70 Jahren wurde in Bad Bentheim ein besonderes Zeichen der Solidarität und Verbundenheit gesetzt: Der Landkreis Grafschaft Bentheim übernahm 1955 die Patenschaft über den ehemaligen ostpreußischen Landkreis Elchniederung. Die Elchniederung, im Memel-Delta gelegen, war einst der östlichste Landkreis des Deutschen Reiches und gehört seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges größtenteils zur russischen Oblast Kaliningrad. Besiegelt wurde die Patenschaft damals feierlich auf der Freilichtbühne Bad Bentheim mit rund 2000 Gästen.
Sieben Jahrzehnte später wird die Verbindung noch immer gepflegt und aufrechterhalten. Mitglieder der Kreisgemeinschaft Elchniederung – ein Zusammenschluss ehemaliger Bewohnerinnen und Bewohner sowie deren Nachkommen – waren kürzlich erneut in der Grafschaft zu Gast. Gemeinsam mit Landrat Uwe Fietzek sowie Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung feierten sie das 70-jährige Bestehen der Patenschaft auf der Burg Bentheim.
„Mehr als eine Geste“
Landrat Fietzek erinnerte daran, dass die Übernahme der Patenschaft 1955 aufseiten der Elchniederunger vor allem von der Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre alte Heimat geprägt gewesen sei. So heißt es in der Patenschaftsurkunde wörtlich: „Diese Urkunde wird in der Hoffnung vollzogen, dass der Tag nicht mehr fern ist, an dem der einst blühende, heute unter Fremdherrschaft stehende Kreis Elchniederung zu Deutschland zurückkommt.“ „Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Dennoch sind Freundschaft und Verbundenheit zwischen der Grafschaft Bentheim und den Menschen aus der Elchniederung über die Jahrzehnte gewachsen“, erklärt Fietzek. „Diese Patenschaft war von Anfang an mehr als eine Geste. Sie war gelebte Solidarität, etwa durch die finanzielle Unterstützung der Grafschaft beim Aufbau der Kreisgemeinschaft.“ Oft seien es gerade die kleinen Dinge gewesen, mit denen der Landkreis helfen konnte.
Ein Beispiel: Die Nordhorner Textilunternehmen spendeten Stoffe, die insbesondere an die Elchniederunger in der DDR gegeben wurden; sie waren damals die Sorgenkinder der Kreisgemeinschaft. Ebenso unterstützt der Landkreis die Kreisgemeinschaft bei der Bewahrung ihres Kulturgutes. Im Kreis- und Kommunalarchiv lagern bereits umfangreiche Aktenbestände zur Familienforschung des Kreises Elchniederung.
Elchniederung steht vor Herausforderungen
James-Herbert Lundszien, Vorsitzender der Kreisgemeinschaft Elchniederung, dankte dem Landkreis für diese Unterstützung und den guten Austausch. Er betonte, dass die Elchniederunger im Herzen nie die Hoffnung aufgegeben hätten, dass die alte Heimat eines Tages auch für die nachfolgenden Generationen eine Rolle spielen werde. Wichtig sei es der Kreisgemeinschaft immer gewesen, im Rahmen der Patenschaft gehört zu werden. Zugleich verwies Lundszien auf die aktuellen Herausforderungen: Angesichts sinkender Mitgliederzahlen denke die Kreisgemeinschaft über einen Zusammenschluss mit der Kreisgemeinschaft Tilsit-Ragnit nach. Man stehe hierzu in engem Kontakt, informierte Lundszien.
„Aus Verlust kann Gemeinschaft entstehen“
Friedrich Kethorn, ehemaliger Landrat der Grafschaft Bentheim, machte in seiner Ansprache eine Besonderheit der Patenschaft deutlich: „Damals wurde die mutige und sehr weitsichtige Idee gefasst, die Patenschaft nicht über ein Territorium, sondern über Menschen und ihre Identität zu schließen.“ Die Patenschaft stehe dafür, dass aus Verlust eine Gemeinschaft entstehen könne. Kethorn appellierte daran, die Geschichte lebendig zu halten, digitale Wege zu nutzen und Raum für Begegnung zu schaffen, um auch jüngere Menschen zu erreichen und die Patenschaft auch künftig fortführen zu können.