Längst ist es offensichtlich: Europa, insbesondere Deutschland, das als Automutterland gilt, hat die Entwicklung hin zum E-Motor zuerst lange unterschätzt, dann zu bremsen versucht und schließlich weitgehend verschlafen. Nun versuchen die Unternehmen, aufzuholen und damit die Dominanz auf dem europäischen Markt zu behaupten.

Ob BMW, Mercedes oder der Volkswagen-Konzern: Auf der IAA wollen die zuletzt strauchelnden deutschen Autohersteller mit einer Vielzahl an neuen Elektromodellen wieder in die Offensive gehen. Doch Hersteller aus China sind weiter auf dem Vormarsch bei der Branchenschau in der bayrischen Landeshauptstadt, die neben Autos auch „die unterschiedlichsten Mobilitätsformen“ von E-Bikes bis zu neuen S-Bahnen in den Fokus rücken will.

Präsentation des Mercedes GLC auf der IAA

Reuters/Kai Pfaffenbach

Mercedes will mit dem elektrischen GLC an gute alte Zeiten anknüpfen

Branche erwartet „selbstbewusstes Signal“

Pedro Pacheco vom Marktforschungsunternehmen Gartner sieht ein Match „Europa gegen China“. Die Chinesen „versuchen, in Europa zu wachsen, während die Europäer versuchen, bei E-Autos und Software dagegenzuhalten“.

Auf der IAA werde die Industrie „ein selbstbewusstes Signal der Stärke und zukunftsorientierten Mentalität“ aussenden, zeigte sich Jürgen Mindel, Geschäftsführer des deutschen Verbandes der Automobilindustrie (VDA), der die IAA im Zweijahresturnus ausrichtet, im Vorfeld betont zweckoptimistisch. Das deutsche „Handelsblatt“ titelte, die deutsche Autoindustrie wolle auf der IAA „ihr Comeback erzwingen“.

BMW CEO Oliver Zipse bei der Präsentation des BMW iX3 auf der IAA

Reuters/Angelika Warmuth

Im BMW iX3 steckt für europäische Verhältnisse viel Software

Angebote für Wohlhabendere

Mercedes will mit dem elektrischen GLC nichts weniger als eine „neue Ära der Elektromobilität“ einläuten. BMW wiederum nennt die Weltpremiere des mittelgroßen SUV iX3 „eine der bedeutendsten Modellneuheiten“ in der Geschichte des Konzerns. Beides sind Angebote für die wohlhabendere Kundschaft. Sie machten damit vor allem Tesla Konkurrenz, wie das „Wall Street Journal“ („WJS“) betonte.

Mit der „Neuen Klasse“ will BMW an die 1960er Jahre andocken: Die damalige „Neue Klasse“ rettete BMW vor dem drohenden Firmen-Aus. Eine neue Batterietechnologie soll die Kosten um bis zu 50 Prozent senken und damit schon 2026 Margen wie beim Verbrenner ermöglichen. Eine neue Softwarearchitektur soll zudem den Rückstand bei digitalen Funktionen verringern.

Europas größte Automesse startet in München

Vor dem Hintergrund einer schwächelnden Autobranche startet mit der IAA Europas größte Automesse in der bayrischen Hauptstadt München. Sowohl bei Autoherstellern als auch Zulieferern geht es nicht nach Plan. Die Verkäufe brechen ein: Starke Konkurrenz bei den Elektroautos aus China, hohe Zölle bei Exporten in die USA und strenge Umweltauflagen der EU machen den europäischen Konzernen zu schaffen.

Einstieg in Umstieg auf neue Art des Autobauens

Dem „WSJ“ zufolge sind es die bisher umfangreichsten Versuche traditioneller deutscher Automarken, wie Tesla und die chinesische Konkurrenz das Auto weniger von der Mechanik her zu entwickeln, sondern rund um die Software zu bauen. Dafür gingen sie Kooperationen mit US-KI-Konzernen wie Google und Co. ein. Der neue BMW wird in Deutschland rund 70.000 Euro kosten, deutlich mehr als des Tesla-Konkurrenzmodell Y, freilich auch mit deutlich größerer Reichweite.

Ob die Konzentration auf die obere Mittel- und Luxusklasse die richtige Strategie ist, muss sich erst zeigen. Zumindest Tesla, das seit Elon Musks Politengagement ein Imageproblem in Europa hat, könnte die deutsche Autoindustrie so Marktanteile abringen.

Präsentation des VW ID.Polo auf der IAA

Reuters/Kai Pfaffenbach

VW will unter anderem mit dem ID.Polo – vormals ID2 – punkten

Deutlich teurer

Der VW-Konzern will auch auf erschwinglichere Elektromodelle setzen, um neue Technik „für alle“ zugänglich zu machen. So wird der ID.2 auf der IAA nun als ID.Polo vorgestellt. Auch die Konzerntöchter Skoda und Cupra wollen in München neue E-Modelle zeigen.

Preislich sind die VW-E-Auto-Modelle nicht konkurrenzfähig mit ihren chinesischen Pendants. So geht es allen europäischen Herstellern, warum etwa Opel und Stellantis zuletzt ihren Ausstieg aus der Verbrennerautoproduktion weiter verschoben. Gerade jetzt bekommt angesichts der anhaltenden wirtschaftlichen Flaute und steigender Arbeitslosigkeit der Preis aber für viele noch mehr Gewicht.

Präsentation des BYD Seal auf der IAA

Reuters/Kai Pfaffenbach

Mit dem großen Kombi Seal 6 DM-i Touring will BYD in Europa Erfolge erzielen

Autoindustrie in schwieriger Lage

Die europäischen Hersteller mussten zuletzt herbe Verluste verzeichnen. Noch immer liegt der Absatz von Neuwagen unterhalb des Niveaus vor der CoV-Krise, während zeitgleich die geopolitischen Herausforderungen und nicht zuletzt die US-Zölle für erhebliche Sorgenfalten sorgen. Das führt zu nicht ausgelasteten Fabriken, was auch die heimische Zulieferindustrie unter Druck bringt.

Die Know-how-Führerschaft, die gerade deutsche Autokonzerne bei Verbrennungsmotoren jahrzehntelang innehatten, mussten sie bei E-Autos – vor allem der Batterietechnik – an China abgeben, das sich in den Jahrzehnten zuvor den Zugang zum riesigen chinesischen Markt mit der Weitergabe europäischen Know-hows abkaufen ließ.

Leapmotor Präsentation auf der IAA

Reuters/Kai Pfaffenbach

Leapmotor präsentiert in München seinen BO5, der ab 2026 verkauft wird

Starkes Wachstum von niedrigem Niveau aus

Nun haben chinesische Hersteller wie BYD begonnen, in Europa, etwa in Ungarn, Produktionsstätten aufzubauen, um die hiesigen Märkte zu erobern. Denn der heftige Wettbewerb chinesischer Automarken untereinander auf dem E-Auto- und Hybridmarkt hat sich längst zu einem Verdrängungswettbewerb ausgewachsen, der in China hart und mit enormen Preisabschlägen geführt wird. Die chinesische Führung versucht das nun einzudämmen.

Präsentation des Opel Mokka GSE auf der IAA

Reuters/Angelika Warmuth

Opel zeigt den Mokka GSE und den Kombi Corsa GSE

Zugleich suchen BYD, Geely, Chery, Leapmotor und Xiamo und Dutzende der mehr als 90 weiteren chinesischen Konzerne ihr Wachstum und ihre Rendite im Export. Laut dem Marktforscher JATO Dynamics kamen chinesische Automarken in Europa heuer im ersten Halbjahr auf 4,8 Prozent Marktanteil. Das allein wäre vielleicht nicht beunruhigend, aber das Tempo des Wachstums ist enorm: Der Marktanteil verdoppelte sich innerhalb eines Jahres. Dabei werden chinesische E-Autos in Europa viel teurer verkauft als in der Heimat – sind aber noch vergleichsweis günstig.