Angesichts zunehmender Stahlimporte aus Russland macht sich der Branchenriese Thyssenkrupp für einen stärkeren Schutz der deutschen Unternehmen stark. „Es ist doch grotesk, dass die EU nach wie vor Stahlimporte in großem Stil aus Russland zulässt, während unsere heimische Industrie ächzt“, sagt der Chef von Thyssenkrupp Steel, Dennis Grimm, im WAZ-Interview. „Bei uns erleben wir Arbeitsplatzabbau, gleichzeitig finanzieren wir die russische Kriegswirtschaft durch den Kauf von Brammen. Das kann ich keinem meiner Beschäftigten erklären.“
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In einer aktuellen Präsentation des Branchenverbands Wirtschaftsvereinigung Stahl heißt es: „Russische Brammen überschwemmen den Markt.“ Die russischen Importe von Stahlblöcken und sogenanntem Halbzeug in die EU – also von Werkstücken, die bereits aus Rohstahl geformt, aber noch nicht zu fertigen Produkten verarbeitet worden sind – seien im laufenden Jahr auf 3,56 Millionen Tonnen gestiegen – nach 3,26 Millionen Tonnen im Vorjahr. Der Branchenverband bezeichnet die EU-Sanktionen gegen Russland als unvollständig und fordert Strafzölle gegen Brammen-Importe.
Dennis Grimm führt Deutschlands größten Stahlkonzern Thyssenkrupp Steel. „Es ist doch grotesk, dass die EU nach wie vor Stahlimporte in großem Stil aus Russland zulässt, während unsere heimische Industrie ächzt“, sagt der Manager im Interview mit unserer Redaktion.
© FUNKE Foto Services | Fabian Strauch
Trotz umfassender Sanktionen dürfen russische Stahlunternehmen „in großem Umfang“ in die EU liefern, kritisiert Kerstin Maria Rippel, die Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl. Dies habe „gravierende Folgen“ für die Stahlproduzenten in Deutschland und Europa. „Angesichts der massiven Importkrise der europäischen Stahlindustrie ist diese Ausnahme völlig unverständlich und unterstützt zudem indirekt das Kriegstreiben Russlands in der Ukraine“, so Rippel. „Diese Lücke muss endlich geschlossen werden: wenn nicht über Sanktionen, dann über wirksame EU-Zölle gegen russische Brammen. Das wäre rechtlich möglich – auch ohne die schwer erreichbare Einstimmigkeit aller Mitgliedsstaaten. Jetzt ist die Bundesregierung gefordert, in Brüssel klar Position zu beziehen.“
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Thyssenkrupp-Stahlchef Dennis Grimm verweist darauf, dass derzeit europaweit Hochöfen abgeschaltet, Produktionskapazitäten verringert und Investitionen aufgeschoben oder abgesagt würden. Allein im vergangenen Jahr seien in Europa fast neun Millionen Tonnen Kapazität stillgelegt worden. Ende des Jahres will Thyssenkrupp Steel einen der vier Hochöfen in Duisburg abschalten.
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Auch der jüngste Zoll-Deal zwischen den USA und der Europäischen Union sei „aus Sicht der Stahlindustrie eine Katastrophe“, sagt Grimm. Ein noch größerer Anteil der globalen Stahl-Produktion werde nach Europa umgeleitet. Es gehe um viel mehr als eine Stahlkrise, gibt Grimm zu bedenken. „Ganze industrielle Wertschöpfungsketten stehen auf dem Spiel – Branchen wie Auto, Chemie und Maschinenbau. Derzeit verliert Deutschland monatlich rund 10.000 industrielle Arbeitsplätze. Wir erleben einen Flächenbrand.“