In Äthiopien wird heute ein neuer Nil-Staudamm eingeweiht – ein Mega-Bauwerk, von dem sich das Land mehr Energiesicherheit verspricht. Sudan und Ägypten hingegen sehen den Damm als Bedrohung.
Es ist das größte Infrastrukturprojekt Äthiopiens: der neue Nil-Staudamm an der Grenze zum Sudan. Die Staumauer ist 145 Meter hoch und fast zwei Kilometer lang. 2011 begannen die Bauarbeiten, Anfang 2022 wurde erstmals Strom produziert.
Bislang hat die Anlage aber noch nicht ihre volle Kapazität erreicht. Sie liegt bei rund 6.000 Megawatt, etwa so viel wie vier moderne Atomkraftwerke.
Gekostet hat das Megaprojekt umgerechnet mehr als 3,4 Milliarden Euro. Der größte Teil des Geldes stammt aus Äthiopien. Doch auch Weltbank und Internationaler Währungsfonds sind involviert. Chinesische Banken haben in Turbinen und Elektronik investiert.
Entscheidender Wirtschaftsfaktor
Der Mega-Staudamm ist entscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung Äthiopiens. In dem ostafrikanischen Land leben rund 135 Millionen Menschen. Derzeit haben knapp 60 Prozent der Äthiopier keinen Zugang zu Strom. Das soll sich in Zukunft ändern.
Doch es geht um mehr: Schon jetzt verkauft Äthiopien Strom in die Nachbarländer Kenia und Sudan, auch nach Tansania.
Künftig sollen es noch mehr werden, sagt Javas Bigambo, politischer Analyst von Interthought Consulting in Nairobi. „Auch andere Länder brauchen dringend mehr Strom, zum Beispiel Uganda, auch Somalia. Äthiopien ist damit auf dem Weg, ein riesiger Energie-Exporteur in Ostafrika zu werden – durch das Milliardenprojekt Staudamm.“
Prestigeprojekt, das am Unterlauf für Kritik sorgt
Beim Staudammprojekt geht es auch um Macht. Ein Regierungssprecher bezeichnete den Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) als mächtiges Symbol der nationalen Einheit. Auch für den äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmet ist der Damm ein Prestigeprojekt.
So sehr der neue Staudamm in Äthiopien gefeiert wird – in anderen Ländern, die am Nil liegen, wird er als Bedrohung wahrgenommen. Im Nachbarland Sudan, vor allem aber in Ägypten. Denn diese beiden Länder liegen weit hinter der Quelle des Stroms.
Der Nil hat eine Gesamtlänge von gut 6.600 Kilometern und gehört damit zu den längsten Flüssen der Welt. Er speist sich aus zwei Hauptquellen: dem weißen Nil aus den Bergen Ostafrikas und dem blauen Nil aus Äthiopien. In Ägypten endet der Nil und fließt dort ins Mittelmeer.
Während Äthiopien den Staudamm als Meilenstein für seine Entwicklung feiert, ist der Verdruss bei den Nachbarn Sudan und Ägypten groß (Foto von 2019).
„Wir befürchten großen Wassermangel“
Der Nil bedeutet Leben im wüstenreichen Ägypten – bereits seit den ägyptischen Pharaonen vor mehr als 7.000 Jahren sei das so, sagt der frühere ägyptische Minister für Bewässerung, Muhammad Nasar Eldin Allam, heute Professor für Ingenieurswissenschaften an der Universität Kairo.
„Das Problem ist, dass wir einen großen Wassermangel befürchten durch den äthiopischen Staudamm. Und das hat einen einfachen Grund: Ägypten liegt am Ende des Nils. Die Regenmengen allein reichen nicht aus. Deshalb befürchten wir deutlich weniger Wasser für die Landwirtschaft, weniger Trinkwasser, weniger Wasser für die Industrie.“
In Ägypten leben schätzungsweise etwa 118 Millionen Menschen, Tendenz steigend. Nach Prognosen der Vereinten Nationen hat das Land in diesem Jahr die Marke zur absoluten Wasserknappheit überschritten.
Der Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) wurde seit 2011 gebaut, 2022 wurde erstmals Strom gewonnen.
Verstoß gegen internationales Recht?
Trotz diplomatischer Bemühungen über mehr als zehn Jahre konnten die Länder sich nicht auf Abkommen einigen. Und weil es kein Abkommen gibt, betrachten Ägypten und Sudan den Betrieb des Staudamms als Verstoß gegen internationales Recht. Und als eine Bedrohung für ihre Lebensgrundlage. Denn noch immer ist nicht klar, wie viel Wasser Äthiopien im Falle einer Dürre flussabwärts fließen lassen wird.
Es geht auch um Vorherrschaft. Das mächtige Land Ägypten möchte seine Kontrolle über den Nil nicht verlieren. Äthiopien dagegen sieht sich im Recht, das Flusswasser für seine Zwecke zu nutzen. Zudem sei das Land auch deshalb im Recht, weil auch Ägypten Wasser zur Stromgewinnung nutze, zum Beispiel mit dem bekannten Assuan-Staudamm. Es ist ein Konflikt um natürliche Ressourcen – eine Lösung ist erst einmal nicht in Sicht.