Die Tatwaffe der NSU-Mörder, eine Pistole, Modell Ceska 83, Kaliber 7,65 Millimeter "Browning", mit Schalldämpfer.

AUDIO: 25 Jahre erster NSU-Mord: Gefahr rechten Terrors ist nicht gebannt (5 Min)

Stand: 09.09.2025 12:55 Uhr

Die Neonazi-Gruppe NSU hat mindestens zehn Menschen ermordet, den ersten am 9. September 2000. Auch Hamburg und Rostock waren Schauplätze der Anschläge auf Zuwanderer. Die Polizei ermittelte lange Zeit in eine falsche Richtung.

von Oliver Diedrich

Neun Morde finden von 2000 bis 2006 ohne erkennbaren Rhythmus statt. Immer trifft es Menschen mit Migrationshintergrund, ausschließlich Männer, die als Betreiber oder Mitarbeiter von Ladengeschäften oder Verkaufsständen bei ihrer Arbeit getötet werden. Jahrelang tappt die Polizei im Dunkeln. Schutzgelderpressung oder Drogengeschäfte halten die Ermittler für den Hintergrund, zeitweise ist auch von „Ehrenmorden“ die Rede. Doch seit November 2011 ist bekannt: Die Taten aus den Jahren 2000 bis 2006 gehen offensichtlich auf das Konto von Rechtsextremisten. Und die Bande „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) soll noch mehr schwere Verbrechen verübt haben: einen Mord an einer Polizistin, Sprengstoffanschläge und mehrere Banküberfälle.

Sechs der Opfer sind türkische Staatsangehörige, zwei aus der Türkei stammende Deutsche, einer ist Grieche. Das erste Opfer ist Enver Şimşek. Er besitzt einen mobilen Blumenhandel und wird am 9. September 2000 in Nürnberg mit acht Schüssen aus zwei Pistolen niedergeschossen. Der damals 38-Jährige stirbt zwei Tage später im Krankenhaus.

Am 13. Juni 2001 wird in einer Änderungsschneiderei in der Nürnberger Südstadt der 49 Jahre alte Abdurrahim Özüdoğru mit zwei Kopfschüssen getötet.

Hamburg: Schüsse aus nächster Nähe auf Süleyman Tasköprü

Mittwoch, 27. Juni 2001: Im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld arbeitet Süleyman Tasköprü im Gemüseladen seines Vaters. Was sich in der Zeit zwischen 10.30 Uhr und 11.30 Uhr in dem Geschäft in der Schützenstraße genau abspielt, liegt bis heute im Dunkeln. Süleymans Vater Ali findet damals den 31-Jährigen: Sein Sohn ist blutüberströmt und hat schwerste Kopfverletzungen. Der alarmierte Notarzt kann ihn nicht mehr retten. Erst durch eine Obduktion wird später klar, dass Tasköprü durch drei Schüsse aus nächster Nähe getötet wurde – so schwer entstellt ist sein Kopf gewesen.

Der Vater hatte in der Nähe des Tatorts zwei Männer auf dem Bürgersteig gesehen, die sich vom Laden entfernen. Er denkt zunächst, es seien Kunden. Erst später wird ihm klar, dass er wohl die Täter gesehen hat. Er beschreibt sie als Deutsche, schlank, etwa 25 bis 30 Jahre alt – für ein Phantombild reichen die Angaben nicht. Die Polizei verfolgt die Spur nicht weiter.

Vor dem gerahmten Bild des NSU-Opfers Süleyman Tasköprü liegen Rosen

Der Gemüsehändler wurde am 27. Juni 2001 von Rechtsextremisten erschossen. Ein „Zufallsopfer“? Oder steckte mehr dahinter?

Sechs Jahre nach dem Mord veröffentlicht die Polizei ein Phantombild eines möglichen Zeugen der Tat. Zu dem Zeitpunkt ist bereits klar, dass Tasköprü eins der neun Opfern ist, die alle mit derselben Waffe getötet wurden, einer Ceska, Typ 83, Kaliber 7,65 Millimeter.

Demonstrationszug in Hamburg: Teilnehmer halten ein Banner mit der Aufschrift "Kein Vergessen, kein Einzelfall - in Gedenken an Süleyman Tasköprü"

Süleyman Taşköprü lebte als Familienvater in Hamburg-Altona und träumte von schnellen Autos. 2001 wird er vom NSU ermordet.

Am 29. August 2001 wird in München-Ramersdorf der 38 Jahre alte Habil Kılıç in seinem Obst- und Gemüseladen erschossen. Danach geschieht längere Zeit kein weiterer Mord.

Rostock: Mord an dem 25-jährigen Mehmet Turgut

Aschermittwoch, 25. Februar 2004: In einem Döner-Imbiss im Rostocker Stadtteil Toitenwinkel arbeitet Mehmet Turgut als Aushilfe, erst zehn Tage vorher war er nach Rostock gekommen. Bis heute ist unklar, was an diesem Vormittag genau passiert. Wohl kurz nach 10 Uhr betreten die Täter den Stand. Sie geben mehrere Schüsse auf ihr Opfer ab. Turgut wird einige Zeit später tot aufgefunden. Der 25-Jährige habe schwere Verletzungen an Kopf und Hals gehabt, teilt die Polizei anschließend mit. Einzelheiten will sie damals nicht nennen, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.

25.02.2019, Mecklenburg-Vorpommern, Rostock: Ein Bild des NSU-Opfers Mehmet Turgut steht bei der Gedenkstunde am Todestag an der Gedenkstätte am Tatort. Mehmet Turgut wurde am 25.2.2004 in einem Imbiss in Rostock-Toitenwinkel vom NSU erschossen.

Mehmet Turgut wurde am 25. Februar 2004 in Rostock von der rechtsextremen Terrorgruppe NSU erschossen. Er war eher zufällig am Tatort.

Eine der Tatwaffen ist immer dieselbe

Am 9. Juni 2005 wird İsmail Yaşar, Inhaber eines Döner-Imbisses, in der Nürnberger Scharrerstraße mit fünf Schüssen in Kopf und Oberkörper getötet. Er ist 50 Jahre alt. Am 15. Juni 2005 wird der 41 Jahre alte Theodoros Boulgarides, Mitinhaber eines Schlüsseldienstes, in seinem Geschäft in München-Westend erschossen. Mehmet Kubaşık wird am 4. April 2006 in seinem Kiosk in der Dortmunder Nordstadt getötet. Nur zwei Tage später, am 6. April 2006, wird Halit Yozgat, Betreiber eines Internetcafés in Kassel, durch zwei Kopfschüsse getötet. Der 21-Jährige ist ungeplant in seinem Geschäft, er hätte bereits von seinem Vater, der sich verspätete, abgelöst worden sein sollen.

Jeder einzelne der neun Morde gehört zu der Verbrechensserie, die als „Dönermorde“ durch die Medien geht. Der Begriff wird später kritisiert und zum Unwort des Jahres 2011 gewählt. Eine der Tatwaffen ist jedes Mal dieselbe: eine Ceska, Typ 83, Kaliber 7,65 Millimeter.

Zu den NSU-Taten zählt auch der Polizistenmord von Heilbronn, bei dem die Beamtin Michèle Kiesewetter am 25. April 2007 mit einem Kopfschuss getötet worden ist. Ihr Kollege Martin A. wird ebenfalls durch einen Kopfschuss lebensgefährlich verletzt.

Schwere Fehler der Ermittlungsbehörden?

NSU: Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe (v.l.n.r.)

Uwe Böhnhardt (l.) und Uwe Mundlos begehen Selbstmord, Beate Zschäpe wird 2018 verurteilt.

Als Haupttäter werden Jahre später die Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt identifiziert. Sie begehen am 4. November 2011 Suizid. Nach einem missglückten Banküberfall waren sie auf der Flucht. Ihre Komplizin Beate Zschäpe stellt sich am 8. November 2011 der Polizei. Im Mai 2013 beginnt in München der Prozess gegen sie und weitere Unterstützer des NSU. Die Anwälte der Opfer-Familien, die dort als Nebenkläger auftreten, kritisieren von Anfang an, dass die Ermittlungsbehörden offensichtlich jahrelang gravierende Fehler gemacht haben. Dieser Eindruck verstärkt sich durch die Ergebnisse von Untersuchungsausschüssen des Bundestages und mehrerer Landesparlamente.

Beate Zschäpe, die mit Böhnhardt und Mundlos zusammenlebte, bricht am 9. Dezember 2015 nach zweieinhalb Prozessjahren zum ersten Mal ihr Schweigen. In der Verhandlung lässt sie von ihrem Anwalt eine Erklärung verlesen. Darin bestreitet sie eine direkte Beteiligung an den Taten. Sie habe erst später davon erfahren. Sie räumt jedoch eine Mitverantwortung ein. „Ich fühle mich moralisch schuldig, dass ich zehn Morde und zwei Bombenanschläge nicht verhindern konnte“. Im Juli 2018 wird Beate Zschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt.

Die Urfassung dieses Beitrags wurde bereits 2012 veröffentlicht.

Gedenkstern Süleyman Taşköprü

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