Während sich die USA verstärkt abschotten und eine zunehmend erratische Wirtschaftspolitik verfolgen, intensivieren die Schwellenländer ihre Zusammenarbeit. Das eröffnet Chancen für Anleger.
Es gibt verschiedene Wege, um Freunde loszuwerden. Einer ist, sie mit heftigen – am besten willkürlichen – Strafzöllen zu belegen. Mit seiner Zollkeule hat US-Präsident Donald Trump diverse befreundete Nationen ohne Not vor den Kopf gestossen und sorgt nun dafür, dass diese ihre Zusammenarbeit untereinander verstärken.
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Trump ist es so gelungen, China, Russland, Indien und Brasilien wie nie zuvor zusammenzubringen. So hat der indische Premierminister Narendra Modi den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem Besuch in Delhi eingeladen. Soeben reiste Modi für seinen ersten Besuch in China seit sieben Jahren nach Tianjin, wo er den chinesischen Präsidenten Xi Jinping traf und am Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organisation teilnahm. Der russische Präsident war ebenfalls anwesend. Auch zwischen Brasilien und Indien haben sich die Kontakte jüngst intensiviert. Kurzum: Die BRIC-Gruppe hat kräftigen Rückenwind erhalten.
Robuste Entwicklung
Da die Verlässlichkeit der USA zunehmend infrage gestellt wird, ist es nur folgerichtig, dass viele Schwellenländer ihre Zusammenarbeit verstärken und neue Absatzmärkte suchen. Diese Bestrebungen mögen mit ein Grund sein, weshalb Schwellenländeraktien trotz der US-Wirtschaftspolitik, die sich negativ auf das globale Wachstum auswirkt, sich in diesem Jahr robust zeigten.
Seit Jahresbeginn hat der Schwellenländerindex von MSCI in Dollar gerechnet um 19,1% zugelegt und damit den Industrieländerindex (+13,4%) klar hinter sich gelassen.
Klumpenrisiken vermeiden
Die Trump’sche Wirtschafts- und Aussenpolitik hat aber auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Anleger, die während Jahren auf US-Werte gesetzt – und damit gutes Geld verdient – haben, stärker in andere Vermögenswerte umschichten. Internationale Investoren dürften die Diskussionen aufmerksam verfolgt haben, in denen US-Regierungsvertreter damit liebäugelten, ausländische Anleger mit zusätzlichen Steuern zu belasten.
«Bis vor kurzem war es ziemlich offensichtlich, dass Ausländer ihre überschüssigen Dollar bereitwillig in US-Vermögenswerte reinvestierten. Heute ist dies nicht mehr so klar», meint etwa Louis Gave, Mitgründer der Hongkonger Researchboutique Gavekal Research.
Zur unberechenbaren Politik kommt, dass US-Aktien mittlerweile stolz bewertet sind. Da ist es nur schon aus Risikoüberlegungen ratsam, Vermögenswerte international besser zu streuen. Wird nur schon ein Teil des Anlagekapitals in Schwellenländer umgeschichtet, dürfte das für andauernden Rückenwind sorgen. Zumal sich nach Jahren der enttäuschenden Performance viele Anleger aus Emerging Markets verabschiedet haben.
Dollar als wichtiger Treiber
Diese Tendenz verstärken dürfte der schwache Dollar, der die Performance ausländischer Anleger derzeit schmälert. Seit Jahresbeginn ist der Dollarindex – er misst den Aussenwert des Greenback gegenüber sechs wichtigen Währungen – um 10,5% gefallen. Ein schwächerer Dollar geht oft mit einer starken Performance von Schwellenländeraktien einher.
Typischerweise schnitten Aktien aus Schwellenländern in der Vergangenheit besser ab als Valoren aus Industrieländern, wenn der Dollarindex (blau in der unteren Grafik) fiel. Die rote Linie zeigt die relative Kursentwicklung: Steigt sie, erzielen Schwellenländer eine Outperformance; fällt sie, haben Industrieländer die Nase vorn.
Ist die Abwertung des Dollars noch nicht zu Ende, ist das positiv für Emerging Markets.
Dieses Szenario ist durchaus plausibel, ist es doch ein erklärtes Ziel der Regierung von Donald Trump, den Dollar zu schwächen, um die Exporte anzukurbeln und dadurch das gewaltige Leistungsbilanzdefizit zu verringern. Ideen wie der Mar-a-Lago-Akkord – in Anlehnung an das Plaza-Abkommen von 1985, als die G5 eine massive Abwertung des Dollars orchestrierte –, das ausufernde Budgetdefizit oder auch die fortwährenden Attacken auf die Unabhängigkeit der US-Notenbank tragen dazu bei, das Vertrauen in den Greenback zu untergraben. Dazu passt die eindrückliche Rally bei den Edelmetallnotierungen.
Eine moderate Konjunkturabkühlung in den USA und eine Leitzinssenkung durch das Fed wahrscheinlich bereits an der kommenden Notenbanksitzung vom 17. September dürften den Dollar ebenfalls belasten.
Schwellenländer sind günstiger
Nicht zuletzt sprechen auch die Bewertungen für ein Investment in Schwellenländer, wie ein Blick auf das Shiller-Kurs-Gewinn-Verhältnis zeigt. Dieses vergleicht den heutigen Kurs mit den durchschnittlichen inflationsbereinigten Gewinnen der vergangenen zehn Jahre, wodurch kurzfristige Schwankungen geglättet werden.
Während Aktien aus Industrieländern (blaue Linie) diesem Mass zufolge so teuer sind wie nie in den vergangenen zwanzig Jahren, notieren Schwellenländer (gelbe Linie) noch deutlich unter ihrem 2007 erklommenen Höchst. Nur selten waren zudem die Bewertungsunterschiede zwischen den beiden Regionen grösser.
Interessant ist ein Blick auf die einzelnen Länder. Dafür hat The Market einen Bewertungsindikator kreiert, der fünf Kennzahlen umfasst: das erwähnte Shiller-KGV, das KGV auf Basis der für die kommenden zwölf Monate geschätzten Gewinne, das Kurs-Umsatz- und das Kurs-Buchwert-Verhältnis sowie die Dividendenrendite. Sie werden mit den historischen Werten verglichen und in ein Gesamtmass zusammengefasst (das Vorgehen wird hier genauer erläutert). Je niedriger das entsprechende Perzentil – es bewegt sich zwischen 0 und 100 –, desto attraktiver ist die Bewertung.
Dabei bestätigt sich der Befund, dass viele Emerging Markets (dunkelblau hervorgehoben) günstig sind. Insbesondere die Börsen Lateinamerikas stechen positiv hervor, aber auch die Türkei und Polen überzeugen mit einer attraktiven Bewertung. Hongkong ist von MSCI nicht als Emerging Market klassifiziert, umfasst aber zahlreiche Aktien aus Festlandchina und ist historisch betrachtet ebenfalls günstig bewertet.
Wenige Länder dominieren
Wer mittels ETF auf den Schwellenländerindex von MSCI setzt, muss sich indes bewusst sein, dass allein China und Taiwan praktisch die Hälfte der Marktkapitalisierung stellen. Die fünf grössten Länder – China, Taiwan, Indien, Südkorea und Brasilien – kommen auf einen Anteil von 80%.
China mit Schwung unterwegs
Das grösste Schwellenland überzeugte jüngst durch viel Schwung. In diesem Jahr ist der MSCI China in Dollar um 29% vorgeprescht. Und das, obwohl die Wirtschaft nach wie vor unter deflationärem Druck leidet, denn der Immobiliensektor befindet sich weiterhin in der Krise.
Allerdings war die Stimmung zuvor derart schlecht, dass ein überaus negatives Szenario in den Kursen eingepreist war. Und die Nachrichten waren zuletzt etwas besser als befürchtet. So bot Präsident Xi Jinping seinem US-Pendant Donald Trump im Handelskrieg bislang erfolgreich die Stirn. Und dennoch suchen die beiden Grossmächte das Gespräch, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Eine Mitte August ausgelaufene Zollverhandlungsfrist wurde um weitere neunzig Tage verlängert. Der neue Stichtag ist nun der 9. November.
Auch haben die von den USA verhängten Technologie-Sanktionen nicht wunschgemäss gewirkt, wie Unternehmen wie Huawei und DeepSeek zuletzt erfolgreich bewiesen haben. Bei vielen Zukunftsbranchen – künstliche Intelligenz, Elektroautos, Solarenergie, etc. – ist China dominant.
Erfreut aufgenommen hat der Markt zuletzt die «Anti-Involution-Kampagne» der Regierung, die darauf abzielt, dem ruinösen Preiskampf in gewissen Industrien entgegenzuwirken. Bislang dominiert zwar die Rhetorik, denn der Abbau von Überkapazitäten (sprich: Arbeitsplätzen) ist politisch heikel. Aber es ist ein Schritt in die richtige Richtung, um die Profitabilität der Unternehmen zu verbessern.
Positiv entwickelt sich jüngst die Liquiditätsversorgung, und gewisse konjunkturelle Frühindikatoren wie der Kreditimpuls zeigen ebenfalls eine Erholung an (vgl. Grafik). Das reichte bereits aus, um die Kurse nach oben zu treiben. Dennoch notiert der Bewertungsindikator von The Market lediglich auf einem neutralen Niveau – die Bewertung sollte weiteren Avancen nicht im Wege stehen.
Teures Taiwan
Das zweite Index-Schwergewicht ist Taiwan, das zu den wenigen sportlich bewerteten Emerging Markets zählt. Noch extremer als die bekannten US-Indizes ist die dortige Börse vom Technologiesektor abhängig: Er macht rund 80% der gesamten Marktkapitalisierung aus. Der Halbleiterproduzent und Indexkoloss TSMC stellt derzeit mit einem Börsenwert von rund 1 Bio. $ rund 55% des MSCI Taiwan, abgeschlagen folgen die IT-Konzerne Hon Hai Precision (4,8%) und Mediatek (4%). Die Börse hat jüngst von der Euphorie um die künstliche Intelligenz profitiert.
Einerseits ist die Nachfrage nach Chips robust, andererseits scheint TSMC der Konkurrenz zu enteilen. Hinsichtlich der technologischen Kompetenz zur Fertigung der modernsten Chips hat sich der globale Wettbewerb nämlich auf bloss noch drei Konzerne reduziert: TSMC liegt in Führung, während Intel und Samsung Electronics um den Anschluss kämpfen. Die starke Position verleiht der taiwanischen Chipschmiede entsprechende Preissetzungsmacht.
Allerdings ist das Klumpenrisiko beträchtlich, das Unternehmen ist strategisch wichtig für die gesamte Industrie und damit exponiert. Wobei die hohe Bewertung nur bedingt für die Risiken entschädigt. Zumal im Hintergrund das Schreckensszenario einer Annexion Taiwans durch China lauert. Immerhin, im breiten Schwellenländerindex kommt TSMC «lediglich» auf ein Gewicht von rund 10%.
Indien zieht den Zorn Donald Trumps auf sich
Indien, lange ein verlässlicher Partner Washingtons, gehört zu den Ländern, die von den USA mit prohibitiv hohen Zöllen belegt wurden. Seit kurzem wird auf indische Einfuhren in die USA ein Zoll von 50% verhängt. Zu den Hauptgründen zählen etwa die Weigerung Indiens, seinen Agrarsektor zu öffnen, sowie die Tatsache, dass das Land weiterhin russisches Rohöl kauft. Christopher Wood von der Investmentbank Jefferies führt als weiteren Grund auf, dass Donald Trump keine Vermittlerrolle im indisch-pakistanisches Disput zugestanden wurde.
Zwar sind die USA mit einem Anteil von 20% der Ausfuhren Indiens grösster Exportmarkt. Dennoch dürften die Auswirkungen des Maximalzolls von 50% insgesamt überschaubar sein. Wie das Analysehaus Gavekal schätzt, dürfte sich das BIP-Wachstum in diesem Jahr zwar um 0,5 bis 0,8 Prozentpunkte verringern, was angesichts des vom IWF geschätzten Realwachstums von 6,4% verkraftbar scheint.
Danach sollten sich die Aussichten aber wieder aufhellen: Einerseits hilft die geldpolitische Lockerung durch die indische Zentralbank. Seit Jahresbeginn hat sie die Leitzinsen in drei Schritten von 6,5 auf derzeit 5,5% gesenkt. Zusätzlich wurden die Kapital- und Liquiditätsanforderungen an den Bankensektor gelockert, was das Kreditwachstum beflügeln dürfte.
Gleichzeitig hat die Regierung Steuererleichterungen beschlossen. So wurden die Schwelle für die Befreiung von der Einkommenssteuer heraufgesetzt und gleichzeitig die Steuersätze für höhere Einkünfte gesenkt. Des Weiteren wurde die Goods and Services Tax, eine Mehrwertsteuer, vereinfacht.
Aufgrund dieser Kombination aus fiskal- und geldpolitischer Lockerung erwarten die Analysten von Jefferies für das nächste Geschäftsjahr eine Beschleunigung des nominalen Wachstums und einen damit verbundenen Anstieg des Gewinnwachstums. Unterstützend wirkt der niedrige Ölpreis – denn Indien (und auch China) werden nicht so bald auf russische Energie verzichten.
Der Leitindex, der Sensex 30, ist in diesem Jahr auffällig zurückgeblieben, was die lange sehr hohe Bewertung etwas entschärft hat. Dank des geld- und fiskalpolitischen Rückenwindes stehen die Aussichten für indische Aktien trotz US-Zöllen nicht allzu schlecht.
Brasilien: attraktive Bewertung und Zinssenkungsfantasie
Brasilien ist das gewichtigste Land ausserhalb Asiens und das günstigste im MSCI Emerging Markets. Auch nach einer eindrücklichen Avance von 28% (in Dollar) in diesem Jahr notiert das Bewertungsscore von The Market bei ungewöhnlich niedrigen 27 Punkten (siehe oben).
Obschon das grösste lateinamerikanische Land gegenüber den USA ein Handelsbilanzdefizit aufweist, wurde es von Donald Trump ebenfalls ins Visier genommen und mit einem Strafzoll von 50% bedacht. Den Auslöser für die drastischen Massnahmen liefert die brasilianische Innenpolitik: So wird der ehemalige Präsident Jair Bolsonaro beschuldigt, 2022 einen Staatsstreich geplant zu haben, nachdem er die Wahl gegen seinen Rivalen und jetzigen Amtsinhaber Luiz Inácio Lula da Silva verloren hatte. Der Prozess gegen ihn läuft in diesen Tagen. Donald Trump goutiert das Vorgehen offensichtlich nicht und spricht von einer «Hexenjagd» gegen Bolsonaro. Die brasilianische Justiz liess sich vom Einmischungsversuch indes nicht beirren.
Kurzzeitig sackte die Börse zwar ab, sie hat sich seither aber wieder aufgerappelt, da die US-Massnahmen doch weniger drastisch ausfallen als ursprünglich befürchtet. Rund 700 brasilianische Güter sind nämlich vom 50%-Zoll befreit, darunter Flugzeuge und Flugzeugteile, Rohöl, Eisenerz, Pkw und Orangensaft. Elizabeth Johnson vom Analysehaus TS Lombard schätzt, dass fast die Hälfte aller Exportgüter in die USA von den Zöllen ausgenommen ist. Zudem hat die brasilianische Regierung Anfang August ein Unterstützungspaket für Unternehmen präsentiert, die unter den hohen Zöllen leiden.
Derweil beginnen die sehr hohen Realzinsen von rund 10% die Konjunktur zu bremsen. Belief sich das BIP-Wachstum im ersten Quartal noch auf 1,3%, verlangsamte es sich im zweiten Quartal auf 0,4%. Elizabeth Johnson rechnet damit, dass sich die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte weiter abkühlen wird, womit auch der Inflationsdruck nachlassen sollte. Damit aber dürften zum Jahreswechsel Leitzinssenkungen ein Thema werden, was die Börse unterstützen dürfte.
Kurzum: Schwellenländeraktien profitieren von einem fallenden Dollar, einem potenziellen Kapitalabfluss aus US-Vermögenswerten, einer zunehmenden Differenz im Wachstum zwischen den Emerging Markets und den Industrieländern und einer deutlich attraktiveren Bewertung.