Ältere dürften sich an die „lachende Kaffeekanne“ der Firma „Kaiser’s Kaffee“ erinnern. Bereits in den 1930er-Jahren machte das humanoide Gefäß in Zeichentrickfilmen Werbung für die Marke. Eine muntere Kaffeekanne mit menschlichen Zügen spielt auch im Werk William Kentridges eine prominente Rolle. In seinem „Self-Portrait as a Coffee Pot“, dem nun in der Werkübersicht im Museum Folkwang der letzte Raum vorbehalten ist, verkörpert die Moka-Kanne allerdings keinen Kaffeegenuss – bei Kentridge offenbar ein unentbehrlicher Stimulus für Kreativität. Und um Werbung geht es schon gar nicht. Vielmehr beleuchten die neun Kaffeekannen-Kurzfilme das Atelier als Tatort und Sinnbild der schöpferischen Persönlichkeit.
Faszinierend zu beobachten, wie sich William Kentridges nostalgisch anmutende Animation entfaltet. Ein Wechselspiel von stehenden und laufenden Bildern. Den Anfang macht eine großformatige, realistisch ausgeführte Kohlezeichnung, die der Künstler auf halber Strecke verlässt, um den Status quo mit einer altmodischen Kamera abzufilmen. Anschließend kehrt er zu dem Blatt zurück, radiert Teile weg, fügt neue Elemente hinzu. Dann wird der nächste Take gedreht, dem eine weitere Veränderung der Zeichnung folgt, woraufhin es erneut „Klappe frei“ heißt. Und so weiter. Ein Musterbeispiel für Prozesskunst. Zugleich werden wir Zeuge eines Zwiegesprächs, das der Zauberer mit dem Zeichenstift mit sich selbst führt. Das alles geht spontan über die Bühne, ohne Drehbuch, ohne Storyboard.
Bleibt die Frage, was eine Kaffeekanne mit einem Selbstporträt zu tun hat. Kentridge, der geborene Kommunikator, hat darauf selbstverständlich eine Antwort. Sie ist typisch für sein weit ausholendes Schaffen: „Sie können entweder ein Selbstporträt zeichnen, indem Sie ein Bild erstellen, das wie ein Gesicht aussieht. Oder die Werke, die man im Laufe seines Lebens schafft, stellen insgesamt eine weitere Möglichkeit dar, sich selbst zu beschreiben. In diesem Fall spielt es keine Rolle, was man zeichnet – ob es nun ein Baum, ein Gesicht oder eine Kaffeekanne ist.“
Mehrfach waren William Kentridges animierte Kurzfilme bei der Biennale in Venedig und der Documenta in Kassel zu sehen. Aus dem Ausstellungsbetrieb sind seine Zeichnungen, Tapisserien und Skulpturen ohnehin nicht wegzudenken. Außerdem ist der Tausendsassa, der eigentlich Schauspieler werden wollte, mit etlichen Inszenierungen für Theater und Opernhäuser hervorgetreten. Vorläufiger Höhepunkt seiner Karriere: der Internationale Folkwang-Preis, den er im vergangenen Jahr in Essen entgegennehmen konnte.
Damit verbunden sind zwei erst jetzt angelaufene Ausstellungen – „Listen to the Echo“ ist zugleich eine doppelte Gratulationsadresse anlässlich des 70. Geburtstags von Kentridge, der am 28. April 1955 in Johannesburg geboren wurde: Das Essener Museum Folkwang präsentiert rund 160 Exponate, darunter Filme, Multimedia-Arbeiten, Skulpturen, Tapisserien und Arbeiten auf Papier.
Dem Genius Loci geschuldet sind Werke, die mit Aufstieg und Niedergang des Ruhrgebiets in Verbindung stehen. Die Brücke nach Johannesburg, das durch den Goldrausch im späten 19. Jahrhundert zu einer Minenstadt wurde, schlagen vier animierte Kurzfilme („Drawings for Projection“) – im ersten, abgedunkelten Raum der Ausstellung werden sie gemeinsam mit den zugehörigen Zeichnungen präsentiert. Den anderen historischen Fixpunkt in Essen markieren Kolonialismus und Apartheid – hervorzuheben hier der Film „Ubu Tells the Truth“, die Zeichnungsserie „Colonial Landscapes“ und die Miniaturbühne „Black Box/Chambre Noire“.
Parallel zeigen die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden eine Ausstellung, die auf das Albertinum und das Kupferstich-Kabinett verteilt ist. Besonders eindrücklich der 2015 gedrehte Film „More Sweetly Play the Dance“, der im Albertinum läuft. Hier bezieht sich Kentridge auf Paul Celans Gedicht „Todesfuge“: Vor einer gezeichneten Landschaft zieht eine schier endlose Prozession an uns vorüber, angeführt von einer Blaskapelle. Arbeiter, die schwere Lasten tragen, sind zu erkennen, aber auch Tänzerinnen, Redner bei politischen Kundgebungen, nicht zuletzt Kranke und Sterbende. Eine Variation des mittelalterlichen Totentanzes, der in Dresden im Dialog mit Vorzeichnungen zum sächsischen „Fürstenzug“ an der Außenseite des ehemaligen Stallhofs präsentiert wird. William Kentridges versatile Kunst ist eben nahezu unbegrenzt anschlussfähig.