Der Verein „Theaterviertel Jetzt“ will am kommenden Samstag, 13. September, in einem Workshop mit Fachleuten, Anliegern und interessierten Bürgern eine Vision für das Areal rund ums Staatstheater erarbeiten. Zielsetzung: die Stadt bei der Entwicklung eines Augsburger „Theaterviertels“ unter Druck zu setzen. Aber was ist das eigentlich?
Kommentar von Bruno Stubenrauch
Ein Viertel – auch Quartier oder Stadtviertel – ist per definitionem ein klar abgegrenzter Teil einer Stadt mit eigener Identität, geprägt durch Architektur, Nutzung, Geschichte oder soziale Strukturen. Bewohner identifizieren sich stark mit ihrem Viertel, was in liebevollen Begriffen wie „Grätzl“ (Wien) oder „Kiez“ (Berlin) zum Ausdruck kommt. Die Quartiersgrenzen ergeben sich oft intuitiv aus Straßen, Flüssen oder Grünflächen. Der Begriff geht auf das lateinische „quarterium“ und das französische „quartier“ zurück.
Gefühle wollen sich hier nicht einstellen:
Zentrum des „Theaterviertels“, links die Staats- und Stadtbibliothek (durch Bäume verdeckt), rechts das Staatstheater
Echte Viertel besitzen eine klare Identität
Viele Viertel sind zu Symbolen geworden. So steht die Wall Street in New York für das Herz der globalen Finanzwelt: ein Geflecht aus Banken, Börsen und Hochhäusern auf engstem Raum, zusammengeschweißt durch möglichst kurze Glasfaserkabel, um im modernen Hochfrequenzhandel die entscheidenden Nanosekunden vorne zu sein.
Ganz anders das beschauliche Montmartre in Paris, das mit seinen Ateliers, Galerien und Straßenkünstlern bis heute eine künstlerische Atmosphäre ausstrahlt – einst Heimat von Picasso und Van Gogh, heute Sinnbild bohemienhafter Kreativität.
Auch Augsburg hat prägnante Beispiele
Das Thelottviertel, eine der ersten deutschen Gartenstädte, wurde ab 1907 nach dem Prinzip „Wohnen im Grünen“ errichtet. Jugendstil- und Heimatstilbauten mit Gärten verleihen ihm – trotz Zentrumsnähe – eine ruhige, fast dörfliche Atmosphäre; die Bewohner identifizieren sich stark mit ihrem Viertel.
Gartenstadt Thelottviertel
Eleganter präsentiert sich das räumlich klar definierte Beethovenviertel, das zwischen 1880 und 1910 als großbürgerliches Wohnquartier entstand. Mit seinen Villen und Wohnhäusern im Historismus und Jugendstil, benannt nach berühmten Komponisten, gehört es bis heute zu den ersten Adressen der Stadt.
Jugendstilbau im Beethovenviertel
Viertel besitzen also eine klare Identität, sind wiedererkennbar, prägnant und stadtbildprägend. Besucher erleben gewöhnlich eine Vielzahl von Emotionen, die oft mit dem Wunsch nach Authentizität, Faszination und einzigartigem Flair sowie mit kreativer und ästhetischer Wertschätzung verbunden sind. Diese Gefühle sind essentiell für die Attraktivität von Stadtvierteln.
Vier Gebäude und ein Straßenfest
Ganz anders das so genannte „Theaterviertel“: Städtebaulich ist es ein Brei ohne Struktur und Abgrenzung; Gefühle wollen sich an keinem Punkt einstellen.
Ensemble aus Stadtbücherei (links) und LMC: Zwei Bauwerke der Hochkultur strecken sich ihre Hinterteile entgegen
Vier in einem 500 Meter großen Umkreis zufällig verteilte Gebäude, die außer dem Begriff „Hochkultur“ keine Beziehung zueinander haben, nicht einmal eine Blickbeziehung:
- das Staatstheater,
- das Leopold Mozart College of Music in der Grottenau (LMC),
- die Staats- und Stadtbibliothek Augsburg und die
- Stadtbücherei.
Dazu einmal im Jahr ein Theaterviertelfest: sehen und gesehen werden, ansonsten ein gefahrloses, betreutes, von Beliebigkeit geprägtes Gedrängel.
Theaterviertelfest 2025
Warum nicht auch ein Citygalerieviertel?
Ein großes, namensgebendes Gebäude wie das Theater macht aber kein Stadtviertel. Sonst könnte man auch die City Galerie mit der wenige hundert Meter entfernten Fuggerei zu einem „Citygalerieviertel“ zusammenspannen: mittelalterliches Wohnen trifft neuzeitliches Shoppen. Und zweimal im Jahr wird im Herzen des Viertels symbiotisch die Dult veranstaltet, als Straßen-Event und Einkaufserlebnis in der Tradition mittelalterlicher Märkte.
City Galerie: bald ein eigenes Viertel?
Die Städteplaner haben längst aufgegeben
Dass mit architektonischen und städtebaulichen Mitteln kein Theaterviertel entstehen wird, weiß man schon seit 2016. Damals hatte eine Architektenwerkstatt im Auftrag der Stadt versucht, städtebauliche Visionen für ein lebendiges Theaterviertel zu entwickeln. Hehre Lösungsansätze standen im Raum: die Vernetzung des Theaters mit weiteren kulturellen Einrichtungen im näheren Umfeld, neue Durchwegungen, Blickachsen, Straßen- und Platzgestaltungen. Dann die pure Resignation:
„Wie die BDA-Werkstatt analysiert, ist das städtebauliche Theater-Umfeld alles andere als einheitlich strukturiert. Die BDA-Architekten empfehlen, mit der Stadtgesellschaft ein „Leitkonzept Kulturquartier“ für die Metropole Augsburg zu entwickeln,“ so die Stadt vor neun Jahren.
Resignation: Ludwigstraße ohne Fest
Übersetzt: Den Architekten ist nichts eingefallen; städtebaulich wird nie ein Viertel daraus, also soll die Stadtgesellschaft sich „irgendwas mit Kultur“ als quartiersprägend einfallen lassen.
Dann eben Kultur!
Aber auch damit ist es nicht weit her: Der Verein Theaterviertel Jetzt! e.V. als treibende Kraft setzt auf ein „stadtplanerisches und ideelles Gesamtkonzept mit Ludwigstraßenquartier, Leopold-Mozart-College, Staats- und Stadtbibliothek, Fuggerboulevard und Stadtmarktquartier.“ Es geht also gar nicht um Hochkultur, denn beim Stadtmarkt-Angebot handelt es sich zweifelsohne um Esskultur – auch wenn Klassik Radio mit am Bauernmarkt sitzt.
Hohe Esskultur: Augsburger Stadtmarkt
Und dass der Verein die Ludwigstraße zum eigentlichen Quartier hochstuft, legt nahe, dass es vordergründig nicht ums Theater, sondern um kommerzielle Interessen geht. Ein Quartier im Quartier gibt es nämlich nicht. Wie immer wird letztlich also auch beim „Theaterviertel“ die Frage „Cui bono“ gestellt werden müssen.
Artikel vom
10.09.2025
| Autor: Bruno Stubenrauch
Rubrik: Gesellschaft, Baukultur, Kommentar, Kultur, Kulturpolitik, Städtebau, Theater, Universität