Mehrere aus Russland stammende Flugobjekte sind in den polnischen Luftraum eingedrungen. Die Europäische Union identifizierte sie als Drohnen vom iranischen Typ Shahed. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete den Vorfall in einer Rede vor dem Europäischen Parlament als „rücksichtslos und beispiellos“. Sie sprach von mehr als zehn solcher Drohnen.
Nato-Militärkreise berichteten von mindestens 19 Luftraumverletzungen. Dabei sollen nicht nur Shahed-Drohnen, sondern auch andere Flugobjekte beteiligt gewesen sein. Drei dieser Objekte wurden nach Angaben der Militärkreise abgeschossen.
Eine neue Entwicklung stellt dar, dass die Drohnen nicht nur über die Ukraine, sondern erstmals auch aus Belarus in den polnischen Luftraum gelangt sein sollen.
Der Morgenlage Newsletter
Die wichtigsten Nachrichten des Tages — morgens direkt in Ihr E-Mail-Postfach.
Polen hat in der Nacht zu Mittwoch erstmals russische Drohnen im eigenen Luftraum abgeschossen. Das erklärten die polnischen Streitkräfte am frühen Morgen in einer Mitteilung auf X. Die Information wurde später vom polnischen Premier Donald Tusk bestätigt. Es sei das erste Mal, dass russische Drohnen über dem Territorium der Nato abgeschossen worden seien, sagte Tusk.
Als Reaktion auf den Vorfall beantragte Polen Konsultationen nach Artikel 4 des Nato-Vertrags. Der Artikel sieht Beratungen mit den Verbündeten vor, wenn sich ein Nato-Staat von außen gefährdet sieht. Tusk erklärte, dass es in der Nacht 19 Luftraumverletzungen in dem Nato-Land gegeben habe. Ein Großteil der Drohnen sei aus Belarus eingedrungen. Drei Drohnen seien abgeschossen worden, wahrscheinlich auch eine vierte.
Nach Einschätzung der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas war das Absicht. Ersten Erkenntnissen zufolge habe es sich nicht um ein Versehen gehandelt, schreibt Kallas auf X: „Russlands Krieg eskaliert, er endet nicht.“ Die EU müsse den Druck auf Moskau erhöhen, die Unterstützung für die Ukraine verstärken und in die europäische Verteidigung investieren. Auch die Nato geht derzeit von einer absichtlichen Provokation Moskaus aus, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Insider.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Externen Inhalt anzeigen
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
In der Mitteilung der polnischen Armee vom Mittwochmorgen heißt es: „Infolge des heutigen Angriffs der Russischen Föderation auf ukrainisches Territorium kam es zu einer beispiellosen Verletzung des polnischen Luftraums durch Drohnen. Dies ist ein Akt der Aggression, der eine reale Bedrohung für die Sicherheit unserer Bürger darstellt.“
Die ukrainische Newsplattform „Kyiv Insider“ veröffentlichte eine Karte, die die Flugrouten der russischen Drohnen zeigt (in Gelb). Zu sehen ist darauf, dass zahlreiche Drohnen die Grenze zu Polen überquerten.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Externen Inhalt anzeigen
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Die Bevölkerung in den Woiwodschaften Podlachien, Masowien und Lublin wurde aufgerufen, zu Hause zu bleiben. Der polnische Sender Polsat News berichtete unter Berufung auf die Polizei, dass eine Drohne im Osten des Landes ein Wohnhaus getroffen habe. Es gebe keine Verletzten, meldet der Sender. Zu dem Einschlag sei es in dem Ort Wyryki gekommen.
Soldaten in Wyryki, wo ein Wohnhaus beschädigt wurde.
© REUTERS/Jakub Orzechowski / Agencja Wyborcza.pl
Tusk rief am Mittwochmorgen eine Krisensitzung seiner Minister ein. Polen ist nach den Worten von Tusk bereit, auf jegliche Angriffe oder Provokationen zu reagieren. „Wir haben es mit einer groß angelegten Provokation zu tun“, sagt Tusk. Polen sei bereit, solche Provokationen abzuwehren. „Die Lage ist ernst, und wir müssen uns ohne Zweifel auf verschiedene Szenarien vorbereiten.“
Nato-Chef Rutte verurteilt „absolut rücksichtsloses“ Verhalten Russlands
Nato-Generalsekretär Mark Rutte verurteilte das „rücksichtslose Verhalten“ Moskaus. Bei einer Sitzung des Nordatlantikrats am Mittwochvormittag hätten die Verbündeten ihre „Solidarität mit Polen“ bekundet, sagte Nato-Generalsekretär Mark Rutte. Unabhängig davon, ob es sich um eine absichtliche Verletzung des Luftraums handele oder nicht, sei Russlands Verhalten „absolut rücksichtslos“ und „absolut gefährlich“, stellte Rutte fest.
Rutte sagte, die vollständige Untersuchung der Vorfälle sei noch nicht abgeschlossen. Es handele es sich jedoch nicht um einen „Einzelfall“. Die Mitgliedstaaten seien entschlossen, „jeden Zentimeter“ des Nato-Gebiets zu verteidigen, bekräftigte der Nato-Generalsekretär. Er sei „wirklich beeindruckt“ von der „sehr erfolgreichen Reaktion“ der Nato. Die vergangene Nacht habe gezeigt, dass die Nato ihr Gebiet und ihren Luftraum verteidigen könne, sagte Rutte.
Nato-Chef Mark Rutte bei einer Pressekonferenz am 3. September in Brüssel
© AFP/NICOLAS TUCAT
Seine Botschaft an den russischen Präsidenten Wladimir Putin sei klar: „Beenden Sie den Krieg in der Ukraine. Hören Sie auf, den Luftraum der Verbündeten zu verletzen. Und wissen Sie, dass wir bereitstehen, dass wir wachsam sind und dass wir jeden Zentimeter des Nato-Gebiets verteidigen werden.“
Ukraine-Update
Mit unserem Update-Newsletter zum Ukraine-Krieg erhalten Sie aktuelle Nachrichten, wichtige Hintergründe und exklusive Analysen von den Expertinnen und Experten des Tagesspiegels.
Zuvor berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf einen Insider, dass die Nato das Eindringen der Drohnen in den polnischen Luftraum derzeit nicht als Angriff betrachte. An dem nächtlichen Einsatz seien polnische F-16-Kampfjets, niederländische F-35-Maschinen und italienische Awacs-Aufklärungsflugzeuge beteiligt gewesen. Die in der Region stationierten deutschen Patriot-Luftabwehrsysteme hätten die Drohnen zwar auf dem Radar erfasst, aber nicht bekämpft.
Krisensitzung der polnischen Regierung am Mittwochmorgen
© REUTERS/Kacper Pempel
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf Russland vor, bei nächtlichen Angriffen Drohnen gezielt auf Polen gerichtet zu haben. Es habe sich nicht um eine einzelne Drohne gehandelt, die als Versehen bezeichnet werden könnte, schreibt Selenskyj auf dem Kurznachrichtendienst X. Mindestens acht Drohnen seien auf das Nato-Mitgliedsland gerichtet gewesen und hätten im polnischen Luftraum operiert.
Währenddessen hat die örtliche Polizei im ostpolnischen Dorf Czosnowka eine beschädigte Drohne entdeckt. Der Fund sei um 5.40 Uhr bestätigt worden, schreibt die Polizei der Region Lublin auf der Plattform X. Polnisches Militär suchte am frühen Morgen nach weiteren Teilen der abgeschossenen Drohnen.
Feuerwehrleute sichern nahe Czosnowka Teile einer beschädigten, von polnischen Behörden abgeschossenen Drohne.
© dpa/Piotr Pyrkosz
Auch der Flughafen in Warschau und weitere Flughäfen im östlichen Teil Polens wurden am Morgen gesperrt, sind inzwischen aber wieder geöffnet. Betroffen war auch der Flughafen Rzeszow-Jasionka im Südosten Polens, der ein Drehkreuz für die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine ist.
Der französische Präsident Emmanuel Macron bezeichnet den Einflug von Drohnen in den polnischen Luftraum als „schlicht inakzeptabel“. Er kündigt ein baldiges Gespräch mit Nato-Chef Mark Rutte an. „Wir werden bei der Sicherheit unserer Verbündeten keine Kompromisse eingehen“, schreibt Macron auf X.
Der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala spricht von einem Test für die Verteidigungsfähigkeiten der Nato-Staaten. Es sei schwer zu glauben, dass es sich bei dem Eindringen der Drohnen nur um einen Zufall gehandelt habe, schreibt Fiala ebenfalls auf X. „Das Regime von (Wladimir) Putin bedroht ganz Europa und testet systematisch, wie weit es gehen kann.“
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sichert Polen die volle Solidarität der Staatengemeinschaft zu. „Wir haben eine rücksichtslose und beispiellose Verletzung des polnischen und europäischen Luftraums durch mehr als zehn russische Shahed-Drohnen erlebt“, sagte von der Leyen am Mittwoch in ihrer Rede zur Lage der Union im EU-Parlament in Straßburg.
Nachdem am Dienstagabend um 22.06 Uhr erste Informationen über einen massiven russischen Luftangriff mit Drohnen und Raketen auf die Ukraine eingegangen seien, sei unter anderem das Awacs-System der Nato in Bereitschaft versetzt worden, erklärte Tusk am Mittwoch. Awacs steht für „Airborne Early Warning and Control System“ (Luftgestütztes Frühwarn- und Kontrollsystem). Gegen 23.30 Uhr sei es zur ersten Verletzung des polnischen Luftraums gekommen, sagte der polnische Premier vor den Abgeordneten des polnischen Sejm. Diese Verletzungen des Luftraums hätten bis etwa 6.30 Uhr am Mittwochmorgen angedauert.
Reste einer Drohne liegen in einem Feld nahe der Stadt Zamosc.
© REUTERS/TVN
Russland weist derweil die Vorwürfe zurück, für den Drohnen-Einflug nach Polen verantwortlich zu sein. „Wir betrachten die Anschuldigungen als haltlos“, zitiert die staatliche Nachrichtenagentur RIA den russischen Geschäftsträger in Warschau, Andrej Ordasch. Polen habe bislang keine Beweise für eine russische Herkunft der Drohnen vorgelegt.
Die Drohnen drangen im Zuge eines größeren russischen Angriffs auf die Ukraine, bei dem rund 400 Drohnen eingesetzt wurden, in den polnischen Luftraum ein. Zudem griff Russland die Ukraine am frühen Morgen mit mehreren Dutzend Raketen an.
Mehr zum Krieg in der Ukraine Kiew öffnet die Grenze für junge Männer Was bedeutet der Erlass für die Ukraine und die Lage an der Front? „Putin sendet das Signal: Jeder ist jetzt Ziel“ Das sagen Experten zu den schwersten Angriffen auf die Ukraine seit Kriegsbeginn Ein Deal mit Vorbildfunktion? Ukrainische Rüstungsfirma produziert erstmals auf Nato-Gebiet
Zwar waren schon in den vergangenen Monaten immer wieder russische Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen, diese stürzten aber von selbst ab. Polen ist in erhöhter Alarmbereitschaft, seit im Jahr 2022 eine verirrte ukrainische Rakete in einem Dorf im Süden des Landes einschlug und zwei Menschen tötete.
Der Vorfall lasse sich nicht mit vorangegangenen Drohnen im polnischen Luftraum vergleichen, sagte Tusk. „Dies ist das erste Mal in diesem Krieg, dass sie nicht aufgrund von Fehlern oder kleineren russischen Provokationen aus der Ukraine kamen. Zum ersten Mal kam ein erheblicher Teil der Drohnen direkt aus Belarus.“ (Mit Agenturen)