Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Sébastien Lecornu zum neuen Premierminister ernannt und damit Hoffnungen des linken Lagers auf ein Entgegenkommen enttäuscht. Beobachter werten die Entscheidung für den 39-jährigen Ex-Konservativen als Zeichen dafür, dass Macron mit einer Minderheitsregierung an seinem wirtschaftsfreundlichen Reformkurs festhält. So hatte er in der Vergangenheit die Steuern für Unternehmen und Vermögende gesenkt und das Rentenalter angehoben.
Roter Teppich für den neuen Regierungschef: Am Élysée-Palast in Paris findet die offizielle Amtsübergabe stattBild: Abdullah Firas/ABACA/picture alliance
Der Präsident war zur Ernennung seines fünften Regierungschefs innerhalb von weniger als zwei Jahren gezwungen, nachdem das Parlament dessen Vorgänger François Bayrou am Montag im Zuge einer von ihm selbst gestellten Vertrauensfrage gestürzt hatte. Bayrou konnte sich nur neun Monate im Amt halten. Der 74-Jährige scheiterte mit seinem Bemühen, die hohe Staatsverschuldung mit massiven Ausgabenkürzungen in den Griff zu bekommen, weil das linke Lager seine Vorschläge ablehnte. Hauptkritikpunkt war, die geplanten Reformen träfen vor allem Menschen mit niedrigeren Einkommen, Vermögende hingegen würden begünstigt.
„Ende des Todeskampfs einer Phantomregierung“: Marine Le Pen, Fraktionschefin der rechtspopulistischen Partei Rassemblement NationalBild: Bertrand Guay/AFP/Getty Images
Die Rechtsnationalen wiederum fordern – ebenso wie die radikale Linke um Jean-Luc Mélenchon – die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen. Marine Le Pen vom Rassemblement National sagte nach Bayrous Niederlage: „Dieser Moment markiert das Ende des Todeskampfs einer Phantomregierung.“ Macron allerdings will nach eigener Aussage im Amt bleiben. Er selbst hatte die aktuelle Krise verursacht, als er beim Regierungssturz im vergangenen Jahr die Nationalversammlung aufgelöst und die Wähler an die Urnen gerufen hatte. Seither verfügt der Präsident nicht mehr über eine eigene Mehrheit im Parlament.
Unter den Argusaugen von Fitch
Traditionell spielen Koalitionen und Parteienbündnisse in Frankreich eine geringere Rolle als etwa in Deutschland. Die Spaltung innerhalb der Nationalversammlung lässt auch die Perspektiven für die nächste Regierung eher düster erscheinen, während die Kapitalmärkte die Entwicklung argwöhnisch verfolgen: Im vergangenen Jahr erreichte das Haushaltsdefizit fast das Doppelte des EU-Limits von drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Am Freitag wird die Ratingagentur Fitch ihre Bewertung für Frankreich überprüfen, die bisher noch bei „AA-“ mit negativem Ausblick steht.
„Das Überleben Frankreichs steht auf dem Spiel“: François Bayrou am Montag bei seiner letzten Rede als Premierminister im ParlamentBild: Mathilde Kaczkowski/Hans Lucas/AFP/Getty Images
Bayrou hatte die Parlamentarier kurz vor seinem Abgang mit Blick auf die hohe Schuldenlast beschworen: „Das Überleben Frankreichs steht auf dem Spiel.“ Gemessen an der Wirtschaftsleistung hat das Land mit 114 Prozent die dritthöchste Schuldenquote in der Europäischen Union nach Griechenland und Italien. In absoluten Zahlen lastet auf der Republik mit rund 3,3 Billionen Euro der höchste Schuldenberg in der Eurozone.
Unter den Fittichen von Sarkozy
Der neue Premierminister Lecornu begann seine politische Karriere bei den Konservativen unter dem früheren Präsidenten Nicolas Sarkozy. Er verließ die Partei Les Républicains, um sich Macrons zentristischer Bewegung bei dessen erster Wahl 2017 anzuschließen. Fünf Jahre später leitete er die Kampagne vor Macrons Wiederwahl.
Feindliche Lager: Die Nationalversammlung ist seit den Neuwahlen von 2024 tief gespaltenBild: Magali Cohen/Hans Lucas/AFP/Getty Images
Mit der Ernennung seines Vertrauten riskiert der Präsident, die Sozialisten vor den Kopf zu stoßen. Diese hatten sich gegen zentrale wirtschaftspolitische Maßnahmen Macrons wie die Abschaffung der Vermögenssteuer und die Anhebung des Rentenalters gestemmt. Macron betrachtet diese jedoch als wesentlich, um Frankreich für Investoren attraktiver zu machen.
Unter dem Druck der Straße
Die Regierung ist nun möglicherweise auf eine stillschweigende Unterstützung durch die Rechtspopulisten des Rassemblement National angewiesen, zu dessen Führung Lecornu in der Vergangenheit Kontakte pflegte.
Zugleich sehen er und Macron sich einer neu formierten Bürgerbewegung gegenüber, die unter der Parole „Bloquons tout“ („Lasst uns alles blockieren!“) für diesen Mittwoch landesweite Proteste organisiert hat. Die Mobilisierung erfolgt allerdings dezentral über soziale Medien, so dass unklar bleibt, wer genau hinter den Aufrufen steckt.
„Lasst uns alles blockieren“: Proteste im Großmaßstab sollen Frankreich nach dem Willen einer Bürgerbewegung lahmlegen – hier eine Aufnahme aus ParisBild: Ameer Alhalbi/Anadolu/picture alliance
Der Staat hat sich mit einem Großaufgebot von 80.000 Polizisten gerüstet. An geplanten Demonstrationen könnten bis zu 100.000 Menschen teilnehmen. Bisher wurden nach Behördenangaben knapp 200 Menschen festgenommen. Erste Aktionen gab es in der Hauptstadt Paris und in etlichen weiteren Städten, darunter Lyon, Marseille und Bordeaux. Innenminister Bruno Retailleau sprach von Angriffen auf Polizisten, Sabotageakten an Stromkabeln und einem abgebrannten Bus. Er erklärte, die Bürgerbewegung sei von Linksextremisten vereinnahmt worden.
Es wird befürchtet, dass der Betrieb an Flughäfen, Bahnhöfen und der Verkehr auf Schnellstraßen mit Blockaden oder Sabotageakten lahmgelegt werden. Die französische Bahn kündigte Beeinträchtigungen im Regionalverkehr an. Auch in Unternehmen und an Universitäten soll es Protestaktionen geben. Die Gewerkschaften haben außerdem für den 18. September zu Streiks aufgerufen.
Unter dem Motto von Merkel
Lecornu selbst hatte sich noch am Abend seiner Ernennung direkt an alle Franzosen gewandt. Er verstehe die Erwartungen und kenne die Schwierigkeiten, sagte er in seiner Rede. Zugleich gab er ein Versprechen, das im politischen Betrieb eher selten ist: Lecornu kündigte an, mit Demut ans Werk zu gehen.
Einer kommt, einer geht: Sébastien Lecornu mit seinem Vorgänger François Bayrou bei der Amtsübergabe in ParisBild: Ian Langsdon/AFP/Getty Images
Bei seiner Amtsübernahme fügte er hinzu: „Die Diskrepanz zwischen dem politischen Leben des Landes und dem realen Leben ist besorgniserregend.“ Für mediale Aufmerksamkeit sorgte indes jener Satz, mit dem die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel einst in Deutschland für die Aufnahme von Flüchtlingen geworben hatte – und den Lecornu nun zitierte: „Wir schaffen das.“
jj/se (dpa, afp, rtr)