Alarm in Polen und in der gesamten Nato wegen fast 20 russischer Drohnen über dem Nachbarland Deutschlands: Sie drangen in der Nacht zum Mittwoch in den polnischen Luftraum ein und wurden nach polnischen Angaben teils abgeschossen. Hier ein Überblick, wie man in Deutschland und der Nato reagiert und was daraus folgt.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat die Verletzungen des polnischen Luftraums durch russische Drohnen als gezielte Provokation gewertet und eine „besonnene“ Reaktion der Nato angekündigt. „Diese Drohnen sind ganz offenkundig gezielt auf diesen Kurs gebracht worden. Um in die Ukraine zu fliegen, hätten sie diesen Weg nicht fliegen müssen“, sagte Pistorius am Mittwoch bei einer Befragung im Bundestag. „Sie waren offenkundig, so die Ansagen aus Polen, auch entsprechend munitioniert. Es hätte also auch jederzeit etwas passieren können.“ Die Waffensysteme seien anscheinend von Belarus aus auf den Weg gebracht worden. Pistorius wertete dies als weiteren Beleg für eine ständige Bedrohung durch Provokationen russischer Streitkräfte im baltischen Luftraum, in der Ostsee, und auch in Mitteleuropa durch hybride Angriffe oder Drohnenflüge. Er sagte: „Wir stellen uns darauf ein.“ Außenminister Johann Wadephul (CDU) warf Russland vor, „leichtfertig eine gefährliche Eskalation in Kauf genommen“ zu haben. Man analysiere den Vorfall und habe darüber am Mittwoch im Nato-Rat in Brüssel gesprochen. Diese Beratungen würden in Brüssel und allen Nato-Hauptstädten weitergehen. Vize-Regierungssprecher Sebastian Hille sagte am Mittwoch, es sei ein „sehr, sehr ernster Vorfall“, der auch zeige, „wie sehr wir ausgetestet werden“. Hinter den Kulissen ist man beunruhigt in Berlin und spricht von einer neuen Dimension.

Die in Polen stationierten deutschen Soldaten haben nach Angaben des Verteidigungsministeriums zum Lagebild beigetragen, aber nicht aktiv eingegriffen. „Ein Einsatz der Patriot, also ein Schuss unserer Lenkflugkörper, ist nicht erfolgt“, sagte ein Sprecher.

Was bedeutet Polens Beantragung von Nato-Konsultationen nach Artikel 4 des Bündnisvertrags für Deutschland?

Die Bundesregierung begrüßte Polens Schritt, Nato-Konsultationen nach Artikel 4 zu beantragen. Dieser sieht Beratungen vor, wenn sich ein Nato-Staat von außen gefährdet sieht. Der Diplomat und frühere Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sagte dazu unserer Redaktion: „Dass Polen einen Antrag nach Artikel 4 stellt, halte ich für nachvollziehbar und richtig.“ Es handele sich um keinen isolierten Einzelfall. „Russland bedroht immer wieder Nato-Partner“, so Heusgen. Sei es durch das Eindringen in den Luftraum, durch GPS-Jammen wie vor Kurzem beim Flugzeug der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen oder durch regelmäßige Cyber-Angriffe. „Gegen all das sollte das Bündnis gemeinsam vorgehen und das durchaus robust. Denn Russland versteht nur die Sprache der Stärke“, so Heusgen.

Bei einer Sitzung des Nordatlantikrats am Mittwochvormittag hätten die Verbündeten ihre „Solidarität mit Polen“ bekundet, sagte Nato-Generalsekretär Mark Rutte. Unabhängig davon, ob es sich um eine absichtliche Verletzung des Luftraums handele oder nicht, sei Russlands Verhalten „absolut rücksichtslos“ und „absolut gefährlich“, stellte Rutte fest. Die Nato will vorerst aber noch kein abschließendes Urteil über das Eindringen russischer Drohnen in den Luftraum Polens fällen. Die Prüfung des Vorfalls sei noch im Gange, sagte Rutte. Zu einer möglichen Aufstockung der Nato-Luftverteidigungskapazitäten in dem Gebiet äußerte sich Rutte zunächst nicht. „Wir werden die Situation entlang unserer Ostflanke genau beobachten, unsere Luftverteidigung ist jederzeit einsatzbereit“, sagte der frühere niederländische Regierungschef lediglich.

Außenminister Wadephul verwies am Mittwoch angesichts der vielschichtigen Bedrohungen durch Russland auch auf Pläne für die Einrichtung des Nationalen Sicherheitsrats im Kanzleramt. Dies diene dazu, „dass wir mit all diesen hybriden Angriffen, mit denen wir neuerdings konfrontiert sind, besser umgehen“, sagte der Minister. Es werde eine enge Abstimmung zwischen den Sicherheitsbehörden des Bundes untereinander und auch mit den Sicherheitsbehörden der Länder gebraucht. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Thomas Röwekamp (CDU), pochte unterdessen auf eine bessere Sicherung der Nato-Ostflanke. Jetzt sei eine klare und geschlossene Antwort der Nato notwendig, sagte er auf Anfrage. „Wir müssen die Ostflanke noch stärker absichern und den Luftraum unserer Verbündeten besser schützen als bisher“, forderte der Ausschusschef. „Alle Partner im Bündnis sind gefordert, ihren Beitrag zu leisten“, sagte Röwekamp. Großbritannien stellte bereits eine Verstärkung der Nato-Luftverteidigung über Polen in Aussicht.