Das Video, das vor Gericht abgespielt wird, zeigt die aufgepeitschte Stimmung: Ein aggressiver Mob steht brüllend und wild gestikulierend vor einer Gruppe Polizisten. Feuerlöscher, Mülltonnen, Absperrgitter und weitere undefinierbare Gegenstände fliegen aus der Menge heraus auf die Beamten. Es ist laut und chaotisch. Die Aufnahmen stammen von einer Bodycam eines Polizisten, der am 25. November 2023 im Frankfurter Waldstadion im Einsatz war.

An dem Tag fand dort ein Fußballspiel der Frankfurter Eintracht gegen den VfB Stuttgart statt – eine Partie, die vielen in Erinnerung geblieben ist. Nicht wegen des Spiels auf dem Rasen, sondern wegen der Geschehnisse abseits des Spielfelds: Am Zugang zur Nordwestkurve griffen Eintracht-Fans einen Ordner an, und als dieser die Polizei zur Verstärkung rief, eskalierte die Situation. Mehrere Hundert Eintracht-Fans griffen die Einsatzkräfte an, und diese wehrten sich mit Pfefferspray und Schlagstöcken.

Vergessen werden diese Szene weder die Polizisten, von denen viele berichten, dass es sich um eine äußerst bedrohliche Situation gehandelt habe, noch die Fußballfans, die sich an den Ausschreitungen beteiligten – und sich nun dafür vor Gericht verantworten müssen.

Angeklagter war Mitglied bei den Ultras

So wie der Mann, gegen den am Mittwoch wegen besonders schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte vor einem Schöffengericht des Frankfurter Amtsgerichts verhandelt wurde. Er hatte bei den Ausschreitungen in vorderster Reihe gestanden, Einsatzkräfte mit Körben und einen Beamten mit einem Stahlgitter beworfen sowie drei Polizisten mit einem Feuerlöscher, den er ebenfalls warf, verletzt. Außerdem schlug er mit der Schnalle seines Gürtels nach mehreren Polizisten.

All diese Taten gesteht der Angeklagte am Mittwoch vor Gericht. Für den Einunddreißigjährigen ist es nicht die erste Gerichtsverhandlung dieser Art. Schon 2015 und 2016 wurde er wegen versuchter Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung verurteilt. Es folgten zwei Verurteilungen im Jahr 2019 wegen des Verstoßes gegen das Vermummungsverbot und eine Verurteilung im Jahr 2022 wegen Beihilfe zum vorsätzlichen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Alle Taten standen im Zusammenhang mit Fußballspielen.

Parallel wird gegen weiteren Fan verhandelt

Der Mann war nach eigenen Angaben Mitglied bei den Ultras, hat sich nach dem Vorfall im November 2023 aber zurückgezogen. Er hat außerdem ein Stadionverbot bis 2027 erhalten. Der Prozesstag endet für ihn schließlich mit einer zweijährigen Freiheitsstrafe, die für eine vergleichsweise lange Zeit von fünf Jahren auf Bewährung ausgesetzt ist. Außerdem ordnet das Gericht 100 Stunden gemeinnützige Arbeit an. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Nicht alle Angeklagten, die an den Ausschreitungen im November 2023 beteiligt waren, ordnen die Ermittler der sogenannten Risikoszene zu. Parallel zu dem Prozess gegen den Einunddreißigjährigen findet am Mittwoch nur zwei Säle weiter eine weitere Verhandlung statt: Angeklagt ist dort ein 58 Jahre alter Mann aus Eppertshausen, ebenfalls wegen besonders schweren Landfriedensbruchs, tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und versuchter Körperverletzung.

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Laut dem Staatsanwalt, der schon an mehreren Verfahren im Zusammenhang mit den Ausschreitungen beteiligt war, sind die Angeklagten bisher immer geständig gewesen. Was ihn wundert: „Das sind alles vernünftige Menschen.“ Sie seien weder vorbestraft noch Hooligans. Auch der Angeklagte in diesem Fall mache einen „supernetten Eindruck“.

Gutachter geht von verminderter Schuldfähigkeit aus

Der Angeklagte erklärt sein Verhalten vor Gericht mit seinem Alkoholkonsum. Er habe bereits am Mittag auf dem Weihnachtsmarkt der Eintracht-Fans auf dem Parkplatz vor dem Stadion damit begonnen, Alkohol zu trinken. Mindestens vier große Bier, zwei Liter Apfelwein, mehrere Schnäpse und weitere drei bis vier Gläser Glühwein sollen es bis zum Abend gewesen sein.

Ein rechtsmedizinischer Gutachter, den das Gericht geladen hat, schätzt den Alkoholpegel des Achtundfünfzigjährigen zum Tatzeitpunkt auf mehr als drei Promille. Die Videoaufnahmen des Geschehens und die Zeugenaussage der Lebensgefährtin des Mannes lassen ihn zusätzlich zu der Einschätzung gelangen, dass bei dem Angeklagten eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit bestand.

Der Angeklagte warf an dem Tag einen 15 Kilogramm schweren Mülleimer auf die Beamten und trat in die Höhe des Kopfes eines Polizisten, traf ihn allerdings nicht. Er sagt vor Gericht, er habe eigentlich Bier holen wollen, sei dann in die Auseinandersetzungen „hineingeraten“.

Ermittlungen gegen rund 120 Fans

„Ich nehme Ihnen das absolut ab, dass es eine Ausnahmesituation war“, sagt die Richterin und verurteilt den Angeklagten schließlich zu neun Monaten auf Bewährung und einer Geldauflage von 3000 Euro. Diese muss er an einen Verein zahlen, der sich für verletzte Ordnungskräfte einsetzt.

Die beiden Prozesse sind nur ein kleiner Teil der Verfahren, die sich mit der juristischen Aufarbeitung der Ausschreitungen befassen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurden gegen 117 Fans Ermittlungen eingeleitet. Sechs davon wurden wegen mangelnden hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Weil fünf Beschuldigte Jugendliche beziehungsweise Heranwachsende sind, wurden die Verfahren an die örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften abgegeben.

Gegen insgesamt 54 Personen wurde Anklage erhoben, in sechs Verfahren wurde per Strafbefehl eine Geldstrafe beantragt. Seit Mitte August haben neun Hauptverhandlungen stattgefunden: Sechs Angeklagte wurden zu Freiheitsstrafen zwischen sieben und zwölf Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Zwei Angeklagte wurden zu Geldstrafen von 90 beziehungsweise 150 Tagessätzen verurteilt, ein zur Tatzeit Heranwachsender wurde unter Auflagen jugendrichterlich verwarnt.

Ermittelt wird aber auch gegen Polizisten. Laut Staatsanwaltschaft wurden dem Hessischen Landeskriminalamt 22 Sachverhalte zur Prüfung vorgelegt. In drei Verfahren wurde die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgelehnt. Ein weiteres Verfahren gegen unbekannt wurde eingestellt. In den übrigen Verfahren dauern die Ermittlungen an.