Straßburg taz | „Europa kämpft“, erklärte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch im Europaparlament in Straßburg in ihrer mit Spannung erwarteten Rede zur Lage der Union. „Dies muss der Moment der europäischen Unabhängigkeit sein.“ Konkrete Maßnahmen für mehr Eigenständigkeit nannte sie allerdings nicht. Eine Mitverantwortung für die Krise wollte die CDU-Politikerin auch nicht eingestehen.
Der umstrittene Handelsdeal mit US-Präsident Donald Trump sei der beste, den die EU bekommen konnte, betonte von der Leyen. Und die Hilfe für die Ukraine gegen die russische Aggression sei die beste Verteidigung für ganz Europa. Die finanzielle und militärische Unterstützung für Kyjiw soll deshalb weiter aufgestockt werden.
Einen Kurswechsel kündigte von der Leyen in der Israel-Politik an. Angesichts der humanitären Katastrophe im Gazastreifen will sie Zahlungen der EU-Kommission an Israel einstellen: „Wir werden unsere bilaterale Unterstützung für Israel aussetzen.“ Die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft sei davon aber nicht betroffen.
Um welche Zahlungen es geht, blieb zunächst unklar. Die EU-Kommission kann nur über einen kleinen Teil der Gelder entscheiden. Der größte Teil der Zusammenarbeit mit Israel fällt in die Zuständigkeit des Rats, wo die Mitgliedsstaaten das Sagen haben. Deutschland hat bisher alle Sanktionen blockiert.
„Drohnenwall“ für die „östlichen Frontstaaten“
Das will von der Leyen nicht länger hinnehmen. Deshalb will sie dem Rat vorschlagen, Sanktionen gegen „extremistische“ Minister und „gewalttätige Siedler“ in Israel zu verhängen. Außerdem soll das Assoziierungsabkommen mit Israel im Bereich des Handels ausgesetzt werden. Ob Berlin mitspielt, ist unklar.
Für Sanktionen gegen Israel hatten sich zuletzt vor allem die Sozialdemokraten im Europaparlament eingesetzt. Verärgert reagierten dagegen die Konservativen, die von der Leyen bei der Europawahl zur Spitzenkandidatin nominiert hatten. Die CDU-Europaabgeordnete Hildegard Bentele zeigte sich „schockiert über die Einseitigkeit“ der Pläne. Ihre Parteifreundin habe „keine klare Forderung“ an die islamistische Hamas gerichtet, kritisierte die Vorsitzende der EU-Israel-Delegation im Parlament.
Viel Beifall bekam von der Leyen dagegen für ihren harten Kurs gegen Russland. „Europa steht solidarisch hinter Polen“, sagte sie, nachdem mutmaßlich russische Drohnen in den polnischen Luftraum eingedrungen waren. Die EU werde den Druck auf Moskau mit neuen Sanktionen erhöhen. Am Freitag sollen die Strafmaßnahmen vorgestellt werden.
Geplant ist auch ein „Drohnenwall“ für die „östlichen Frontstaaten“. Details wurden dazu aber noch nicht bekannt. Für eine neuartige Allianz mit der Ukraine zur Produktion von Drohnen werde die EU sechs Milliarden Euro bereitstellen, kündigte von der Leyen an.
Von der Leyens Überlebenskampf
Und was tut die EU für die Bürger? Die deutsche Präsidentin kündigte einen bunten Strauß von Maßnahmen an. So will sich Brüssel für ein erschwingliches „europäisches E-Auto“ einsetzen und ein Programm für günstiges Wohnen auflegen. Das hatten die Sozialdemokraten schon bei der Europawahl gefordert, nun soll es kommen.
Von der Leyen kämpft – auch für ihr politisches Überleben. Denn ohne die Genossen würde sie ihre knappe Mehrheit in der Straßburger Kammer verlieren. Gesichert ist diese Mehrheit wohl noch nicht: „Die Kommissionspräsidentin ist Ankündigungs-Europameisterin“, sagte der Chef der SPD-Gruppe, René Repasi. Angesichts der „sozialen Verwerfungen“ brauche es aber keine Worte, sondern Taten.