Aus politischen Erwägungen hat das Flanders Festival Ghent die Münchner Philharmoniker ausgeladen. Ein Konzert, dass das Symphonieorchester am 18. September geben sollte, wird nicht stattfinden. Begründet wurde die Ausladung damit, dass der in Tel Aviv geborene Lahav Shani nicht nur designierter Chefdirigent der Münchner sei, sondern auch Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra ist. In dieser Funktion habe er sich nicht ausreichend vom Handeln der israelischen Regierung im Gaza-Konflikt distanziert. So steht es in einem Statement auf der entsprechenden Festival-Seite.

Die Verantwortlichen der Landeshauptstadt München und der Münchner Philharmoniker zeigten sich „entsetzt“ über die Absage. „Lahav Shani tritt in seinem ganzen Wirken als Musiker und Mensch für Verständigung, Humanismus und Dialog ein. Israelische Künstlerinnen und Künstler unter Generalverdacht zu stellen und kollektiv zu bestrafen, lehnen wir entschieden ab“, heißt es in einer Erklärung des Orchesters. „Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit von der Bühne, dem Konzertsaal oder anderen öffentlichen Orten zu verbannen, ist ein Angriff auf wesentliche europäische und demokratische Werte.“

Der Intendant der Münchner Philharmoniker, Florian Wiegand sagt zu dem Vorgang: „Wir sind fassungslos darüber, dass ein Festival in Belgien, im Herzen Europas, dem Land des Hauptsitzes der Europäischen Union, eine solch unvorstellbare Entscheidung trifft.“ Der Kulturreferent der Landeshauptstadt München, Marek Wiechers, betont ebenfalls das bisherige „integrative Wirken“ Shanis. Shani selbst hat sich bislang nicht zu der Absage geäußert.

Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter sieht offenbar den Ruf des Orchesters bedroht. Er sagt: „Die Münchner Philharmoniker stehen als Kulturbotschafter der Landeshauptstadt München für Offenheit, Vielfalt und Dialog – ganz egal ob zu Hause in München oder auf ihren Reisen in die Konzertsäle Europas und der Welt. Ich kann die Entscheidung des Veranstalters in keiner Weise nachvollziehen.“ Die Stadt München und er selbst ständen „klar an der Seite der Münchner Philharmoniker und an der Seite ihres künftigen Chefdirigenten Lahav Shani“.

Aktivisten sollen Druck auf das Festival ausgeübt haben

Das Konzert sollte aus Sicht der Genter „eines der künstlerischen Highlights des Festivals“ werden, wie sie in ihrer Erklärung der Absage schreiben. Den Veranstaltern sei bewusst, dass sich Lahav Shani in der Vergangenheit mehrfach für Frieden und Versöhnung ausgesprochen habe. Aber im Hinblick auf seine Rolle als Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra habe man trotzdem „keine ausreichende Klarheit zu seiner Haltung gegenüber dem genozidalen Regime in Tel Aviv“ erlangen können. Deswegen erfolge die Absage „in Übereinstimmung mit der Kulturministerin und des Stadtrates von Gent“. Die Münchner Philharmoniker sprechen zudem von „Aktivisten“, die Druck auf das Festival ausgeübt haben sollen.

Das Festival erklärt, man wolle nicht mit Partnern zusammenarbeiten, „die sich nicht eindeutig von diesem Regime distanziert haben. Angesichts der Unmenschlichkeit der aktuellen Situation, die auch in unsere eigene Gesellschaft aufwühlt, halten wir es für unerwünscht, dieses Konzert stattfinden zu lassen. Wir haben uns entschieden, die Leichtigkeit unseres Festivals zu bewahren und unseren Besuchern und Musikern ein ungetrübtes Konzerterlebnis zu ermöglichen.“

Münchens Kulturreferat Marek Wiechers zeigt sich fassungslos über die Entscheidung aus Gent.Münchens Kulturreferat Marek Wiechers zeigt sich fassungslos über die Entscheidung aus Gent. (Foto: Robert Haas)

Lahav Shani ist nicht der erste Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, der für das Orchester durch seine Herkunft und die politische Weltlage heftige Konfrontationen mit sich bringt. Shanis Vorgänger war der Russe Valery Gergiev. Gergiev hatte sich 2022 trotz öffentlicher Aufforderung nicht vom russischen Angriff auf die Ukraine distanziert. Oberbürgermeister Dieter Reiter hatte ihm im Februar 2022 ein Ultimatum gestellt. Gergiev, der enge persönliche und berufliche Verbindungen zu Wladimir Putin unterhält, reagierte nicht. Die Folge war seine fristlose Kündigung seitens der Stadt.

Lahav Shani gilt als Wunderkind der Dirigentenszene. Der 36-Jährige wird für seine musikalisch tiefgreifenden, aber nie effekthascherischen Interpretationen gefeiert. Seit Februar 2023 ist er designierter Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Im September 2026 soll er das Orchester übernehmen, die israelischen Philharmoniker will er parallel dazu weiterhin leiten.

Die Münchner Philharmoniker sind das offizielle Orchester der Landeshauptstadt.Die Münchner Philharmoniker sind das offizielle Orchester der Landeshauptstadt. (Foto: Tobias Hase / mphil)

In der Vergangenheit hat er sich häufig solidarisch mit den israelischen Opfern geäußert. Nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober bestärkte er Solidarität unter Israelis: Diese sei ein „Lichtstrahl in dunklen Zeiten“. Regelmäßig betont er die kulturelle Rolle des Israel Philharmonic Orchestra als Botschafter des Staates Israel – „aber das hat nichts mit einer Partei zu tun oder mit der Regierung“, sagte er in einem Interview mit BR-Klassik.

Das Israel Philharmonic Orchestra gilt als nationaler Kulturträger Israels mit hoher Symbolkraft. Es ist privat und gemeinnützig organisiert, erhält aber auch Unterstützung vom Staat. Es gilt als eines der führenden Orchester in der internationalen Konzertszene.

Das Flanders Festival Ghent ist ein jährliches Musikfestival mit 1500 internationalen Künstlern, 180 Konzerten und etwa 50 000 Besuchern. Die Konzerte finden in in Kirchen, Klöstern, Gärten oder versteckten Ecken statt. Es verbindet klassisches Repertoire mit experimentellen und zeitgenössischen Formaten.