Ein Ereignis, wie man es noch nie zuvor erlebt hatte, urteilte ein Historiker. An einem Sonntag im Juli 1214 trafen bei Bouvines Philipp II. von Frankreich und Kaiser Otto IV. aufeinander. Der Sieg des Franzosen veränderte Europa schlagartig.

Den Anfang machten zwei standesübliche Todesfälle. Im Jahr 1199 fiel der englische König Richard Löwenherz nach seiner Rückkehr aus dem Heiligen Land bei der Belagerung einer Burg in Frankreich einem Armbrustschützen zum Opfer. Neun Jahre später wurde der römisch-deutsche König Philipp von Schwaben, Haupt der staufischen Partei im Reich, wegen persönlicher Händel in Bamberg ermordet. Die Nachfolger der Toten aber waren von weit geringerem Kaliber, was König Philipp II. von Frankreich unvermutete Chancen eröffnete. Er nutzte sie am 27. Juli 1214 in der Schlacht bei Bouvines unweit von Lille.

Weil es ein Sonntag war, hätten an diesem Tag die Waffen eigentlich schweigen sollen. Aber der vom Papst exkommunizierte römisch-deutsche König und Kaiser Otto IV. rückte vor, und so war es wohl Gott, der dem Franzosen den Sieg schenkte. Damit „setzte der lange Aufstieg des Königreichs Frankreich zur europäischen Vormacht ein“, urteilt der Heidelberger Mediävist Bernd Schneidmüller in seinem Beitrag für den Band „Krieg im Mittelalter“ 2017. Damit markiert der Tag von Bouvines einen der großen Wendepunkte der europäischen Geschichte.

Nicht geringen Anteil daran hatten die beiden Nachfolger Richards und Philipps von Schwaben. In England kam mit Johann der jüngere Bruder auf den Thron. Ihm ging alles ab, was Löwenherz zum Idealbild eines mittelalterlichen Helden gemacht hatte: Mut, militärisches Talent und vor allem Charisma.

Im Reich hatte sich mit dem Welfen Otto Philipps Gegenkönig durchgesetzt, der sogar die Kaiserkrone erlangte. Ihn selbst charakterisierte ein Chronist als „hoffärtig und dumm, aber mutig“. Nachdem der junge Staufer Friedrich II. 1211 mit Unterstützung von Papst Innozenz III. als Gegenkönig bestätigt worden war, sah sich Otto einer wachsenden Opposition gegenüber, der er sich nur mit finanzieller Unterstützung seines Onkels Johann erwehren konnte, dessen Schwester einst Heinrich den Löwen geheiratet hatte. Als ein weiteres Manko erwies sich der Kirchenbann, den der Papst über den Welfen verhängt hatte.

Der Franzose Philipp unterstützte dagegen den Staufer, was dem Thronstreit im Reich eine internationale Dimension verlieh. Nicht mehr die deutschen Fürsten, sondern die Könige von England und Frankreich zogen die Strippen. Sie waren auch die eigentlichen Kontrahenten in diesem Spiel.

Als Sohn Heinrichs II. aus dem Haus Plantagenet hatte Johann nicht nur England, sondern auch große Besitzungen in Frankreich wie die Normandie und Anjou geerbt. Über seine Mutter Eleonore waren Aquitanien und weite Teile des Westens dazugekommen.

Das „Reich“ Philipps II. dagegen beschränkte sich auf die erweiterte Île-de-France und Teile Nordfrankreichs, sodass der Lehnsherr über eine deutlich geringere Machtbasis auf dem Kontinent verfügte als sein englischer Vasall. Dafür war Philipp ein gewiefter Machtmensch und weitsichtiger Stratege. Bis 1214 hatte er Johann weite Teile seines Besitzes abgenommen, was diesem den Beinamen „Ohneland“ eintrug.

Als die wachsende Macht Philipps einige Feudalherren in Flandern zum Abfall provozierte, sah Johann seine Chance. Ein Zangenangriff sollte dem Franzosen den Garaus machen. Dazu bewog er seinen Neffen Otto, mit einem Heer im Osten vorzugehen, während er selbst einen Angriff im Westen gegen die Loire führen wollte. Philipp durchschaute gerade rechtzeitig den Plan und sandte seinen Sohn gegen Johann, während er selbst den Kampf mit dem Kaiser aufnehmen wollte, von dessen mit englischem Gold zusammengebrachten Heer aus norddeutschen Adligen, französischen Dissidenten und englischen Hilfskontingenten eine wesentlich größere Gefahr auszugehen schien.

Tatsächlich scheiterte Johann bereits an der Burg La Roche-aux-Moines (bei Angers). Beim Nahen der Franzosen brach der Engländer die Belagerung ab und zog sich fluchtartig zurück. So musste die Entscheidung im Nordosten fallen.

Die Schlacht entsprang einer Zufallsbegegnung. Beide Heere waren schon fast aneinander vorbeimarschiert, als sie einander gewahr wurden. Erst gegen Mittag hatten sich die Schlachtreihen über eine Länge von 1,5 Kilometern formiert, wobei Philipp noch den Fluss Marque überwinden musste. Ottos Versuch, seinen Gegner an dieser neuralgischen Stelle anzugreifen, scheiterte am Widerstand der französischen Nachhut.

Beide Herrscher verfügten wohl über rund 1500 Ritter und einige Tausend Fußsoldaten, wobei der römisch-deutsche Kaiser bei dieser wenig geachteten Waffengattung wohl überlegen war. Was folgte, war eine typische mittelalterliche Schlacht, ein Gemetzel, das sich bald in einzelne Gefechte auflöste, in denen die adligen Ritter und ihr Gefolge den Takt vorgaben. Allerdings sollen die Kommunalmilizen auf der Seite Philipps sich gut gehalten haben, was ihren späteren Ruhm begründete.

Die erbitterte Schlacht vollzog sich auch als Konkurrenz der Zeichen, schreibt Schneidmüller: „Kaiser Otto IV. kämpfte prunkvoll gerüstet bei seinem Fahnenwagen, geschmückt von einem goldenen Adler und einer Drachenfahne. Sein Lilienbanner hatte König Philipp II. einem wenig begüterten treuen Ritter anvertraut. Später wurde auch die ,Oriflamme‘ in die Schlacht getragen, jene angeblich von Karl dem Großen gestiftete Siegesfahne des Königreichs Frankreich. Die Franzosen riefen ,Montjoie‘, der Kaiser ,Rom‘.“

Beide Heerführer stürzten vom Pferd und verdankten ihr Überleben nur der Tapferkeit ihrer Garden. Doch der gesundheitlich angeschlagene Otto verließ das Schlachtfeld und gab damit ein schlechtes Beispiel für sein wankendes Heer. Die Gallier verhöhnten daraufhin die Deutschen, notierte ein Chronist. Ihnen fielen das kaiserliche Lager und – mehr noch – rund 300 hochadlige Gefangene in die Hände, die hohe und höchste Lösegelder versprachen. „Auch der unerhörte Beutewert macht Bouvines zu einem Ereignis, wie man es noch nie zuvor erlebt hat“, urteilte der französische Historiker Georges Duby in seiner klassischen Darstellung „Der Sonntag von Bouvines“.

Die Schlacht veränderte die politische Landkarte Europas schlagartig. Otto konnte sich noch auf seine Familiengüter zurückziehen, wo er machtlos 1218 starb. Der Staufer Friedrich II. wurde allgemein als König anerkannt, zog sich jedoch bald in sein süditalienisches Erbe zurück, das er zum modernsten Staat Europas ausbaute. Das Reich überließ er den Streitigkeiten seiner Großen.

Der normannische Adel Englands verabschiedete sich nach dem Verlust seiner kontinentalen Güter endgültig von seinen französischen Wurzeln und begann, Englisch zu sprechen und sich mit der angelsächsischen Elite zu arrangieren. Im Jahr 1215 trotzten die Barone Johann die Unterschrift unter die Magna Charta ab. Sie garantierte Freiheits- und Mitspracherechte des Adels und wurde zu einem Meilenstein der Entwicklung hin zum Parlamentarismus.

Philipp II. hatte sein Herrschaftsgebiet verdoppelt und damit das Fundament für einen künftigen Einheitsstaat gelegt. Die Zeitgenossen priesen ihn dafür in Erinnerung an den Begründer des Römischen Imperiums als neuen „Augustus“. Zum ersten Mal seit mehr als 100 Jahren hatte es ein französischer König gewagt, persönlich eine Schlacht zu schlagen, schreibt Duby, „und schließlich war es ein Sieg, den Gott denen schenkte, die er liebte, glänzender als jeder andere, an den man sich erinnern konnte“. Mit einem Schlag hatte sich Frankreich zur führenden Macht in Europa aufgeschwungen. Und Schneidmüller sekundiert: „Kein römisch-deutscher König wagte im Mittelalter mehr einen Krieg gegen die französische Krone.“

Gerd Althoff u. a.: „Krieg im Mittelalter“. (Theiss, Darmstadt. 128 S., 24,95 Euro)

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Dieser Text wurde erstmals veröffentlicht im Juli 2018.