Mehrere Strafverteidiger erheben schwere Vorwürfe gegen einen Bonner Staatsanwalt – in Medienberichten und in einer Strafanzeige. Er sei eine „Gefahr für den Rechtsstaat“. Was steckt hinter dem Konflikt?
Dass Strafverteidiger und Staatsanwälte nicht immer gut aufeinander zu sprechen sind, gehört zu ihrem Job. Dass zwei renommierte Strafverteidiger einem Bonner Staatsanwalt aber „systematischen, gezielten und gefährlichen Machtmissbrauch“ vorwerfen und eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung und Verfolgung Unschuldiger stellen, das ist schon ungewöhnlich. Zumal wenn gleichzeitig das Handelsblatt über den Vorgang berichtet und nicht nur den Namen des Staatsanwalts nennt, sondern auch mehrere Anwälte zitiert, nach deren Worten der Staatsanwalt ein „Hooligan“, „Starrkopf“ und „Cowboy“ sei.
In der Strafanzeige, die LTO vorliegt, betonen die beiden Rechtsanwälte vorab, sie hätten sich bisher nie zu einer Anzeige gegen einen Staatsanwalt hinreißen lassen, auch wenn Mandanten sie schon öfter dazu aufgefordert hätten. Nun sähen sie sich aber selbst dazu veranlasst: Der Staatsanwalt sei eine „Gefahr für den Rechtsstaat“. Die Anzeige umfasst 25 Seiten, die Generalstaatsanwaltschaft Köln hat den Eingang gegenüber LTO bestätigt. Sie hat die Aufsicht über die Bonner Staatsanwaltschaft. Die Strafanzeige wurde an die Staatsanwaltschaft Köln weitergeleitet. Dort werde nun geprüft, ob ein Anfangsverdacht vorliege, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Köln gegenüber LTO.
In dem Artikel, der am 3. September im Handelsblatt erschien, wird der Staatsanwalt als ein harter Typ dargestellt, der als „Rowdy in Robe“ agiere. Angeblich habe er sich damit gebrüstet, mit Haftbefehlen nicht zurückhaltend zu sein, auch schon mal „zwei Bulgaren wegen eines Glases Würstchen“ festgenommen, zitiert das Handelsblatt aus der Strafanzeige. Vor allem nimmt der Artikel aber Bezug auf den Fall des US-Tech-Millionärs und Trump-Unterstützers Daniel Starr: Gegen Starr laufen Ermittlungen wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung, der Fall wurde zum Politikum – auch hier ist der Bonner Staatsanwalt involviert.
Die Staatsanwaltschaft Bonn ist empört. Dort sieht man in der Berichterstattung, zumal mit Namensnennung, eine Persönlichkeitsrechtsverletzung. Die beiden Rechtsanwälte, die die Strafanzeige gestellt haben, wollen ihren Namen nicht veröffentlicht wissen. Die Anzeige und die Berichte sorgen aber jedenfalls für reichlich Gesprächsstoff bei der Justiz am Rhein.
Umstrittener Haftbefehl und Zoff mit dem Ermittlungsrichter
Was also ist da los? In der Strafanzeige von Mitte August 2025 geht es weder um den US-Tech-Millionär Starr noch um Würstchen, sondern um einen Vorfall aus dem Jahr 2021, der eigentlich längst erledigt schien. Ein umstrittener Haftbefehl und eine Auseinandersetzung mit einem Ermittlungsrichter gaben den Strafverteidigern jetzt Anlass zur Anzeige.
Einer der Strafverteidiger, der die Anzeige eingereicht hat, vertrat damals einen Geschäftsmann, der in einem großen Steuerstrafverfahren im Oktober 2021 als Zeuge vor Gericht ausgesagt hatte. Der Bonner Staatsanwalt sah darin eine Falschaussage und leitete ein Ermittlungsverfahren ein. Am gleichen Tag beantragte er einen Haftbefehl gegen den Mann, begründet mit Fluchtgefahr, weil dieser im Ausland lebe. Ein Ermittlungsrichter am Amtsgericht (AG) Bonn erließ daraufhin den Haftbefehl. Als der Mann am 10. Oktober am Flughafen Frankfurt Main ein Flugzeug Richtung Singapur besteigen wollte, wurde er von der Bundespolizei verhaftet. Neun Tage musste er in Untersuchungshaft verbringen.
Am 19. Oktober entschied ein anderer Richter am AG Bonn auf Antrag des Strafverteidigers, den Haftbefehl auszusetzen. Es gehe nur um den Verdacht einer Falschaussage, maximal dürfe eine Geldstrafe drohen, der Mann sei nicht vorbestraft, ein Wohnsitz im Ausland reiche für Fluchtgefahr allein nicht aus. Nach alledem sei der Haftbefehl nicht verhältnismäßig. Die Einziehung des Reisepasses reiche aus.
Hat der Staatsanwalt einen Richter „aus Verärgerung“ angezeigt?
Dass ein Richter bei der Überprüfung den Haftbefehl aussetzt, ist ein normaler Vorgang. Dass es wohl zu einer recht deutlichen Auseinandersetzung zwischen Richter und Staatsanwalt kam, vielleicht weniger. Dass der Staatsanwalt aber „aus Verärgerung“, wie in der Strafanzeige vermutet wird, daraufhin eine Strafanzeige gegen den Richter stellt, ist schon sehr ungewöhnlich.
Eklatant rechtswidrig und willkürlich sei das Vorgehen gewesen, so die Strafverteidiger. Sie sehen in der Strafanzeige gegen den Richter, dem Haftbefehl und einer Beschwerde gegen die Haftverschonung Rechtsbeugung nach § 339 Strafgesetzbuch (StGB) und Verfolgung Unschuldiger nach § 344 StGB.
Dennoch war die Sache damals offenbar schon bereinigt: Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Bonn gegenüber LTO hat der Bonner Staatsanwalt zwar tatsächlich mit Kenntnis der Behördenleitung eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung gegen den Richter gestellt. Der Vorwurf bezog sich allerdings ausschließlich darauf, dass der Staatsanwalt vor Aussetzung des Haftbefehls nicht angehört worden sei. Zur Aufnahme von Ermittlungen kam es wohl gar nicht erst oder sie wurden schnell wieder eingestellt.
Nach Angaben des Strafverteidigers wurde der Mann wegen der Falschaussage 2022 angeklagt, die Anklage 2024 vom AG Bonn zugelassen. Der Strafverteidiger wirkt auf die Einstellung gegen Geldauflage hin.
Nachgefragt beim AG Bonn heißt es, man habe insgesamt ein gutes Verhältnis zur Staatsanwaltschaft. Die Strafverteidiger erklären dagegen in der Strafanzeige, der Vorgang habe beim AG Bonn damals erhebliche Irritationen ausgelöst. Einige Richter hätten erklärt, den Kontakt zu dem Staatsanwalt zu meiden, weil sie nicht „der nächste“ sein wollten.
Strafverteidiger zeigen den Staatsanwalt an – warum jetzt?
Unklar bleibt, warum die Strafverteidiger die Vorwürfe zu dem Fall aus 2021 erst vier Jahre später erheben. Man habe diesen Fall lange mit sich herumgeschleppt, heißt es. Erst als man erkannt habe, dass es unter Strafverteidigern ähnliche Erfahrungen mit dem gleichen Staatsanwalt gegeben habe, habe man sich zu dem Schritt der Strafanzeige entschlossen. Die Vorwürfe gegen den Staatsanwalt seien nicht nur Einzelfälle, seine Amtsführung „außerhalb der gesetzlichen Grenzen“ habe System.
Eine wichtige Rolle hat dabei wohl auch der Fall Daniel Starr gespielt, der erst 2025 so richtig medial an Aufmerksamkeit gewonnen hat. Mittlerweile haben sich politische Schwergewichte des Trump-Lagers eingeschaltet, sie sehen „politische Strafverfolgung“ am Werk.
Starr wurde 2022 in Paris am Flughafen verhaftet, kurz darauf aber wieder freigelassen. Der europäische Haftbefehl aus Deutschland war rechtswidrig, er stammte von dem Bonner Staatsanwalt. Bereits im Dezember 2022 hob das Landgericht (LG) Bonn den Haftbefehl auf, im März 2023 bestätigte das Oberlandesgericht (OLG) Köln die Entscheidung: kein Auslieferungsgrund, kein dringender Tatverdacht.
Aktuell gibt es keinen Haftbefehl gegen Starr, wie die Staatsanwaltschaft auf Anfrage gegenüber LTO erklärt hatte. Die Ermittlungen aber laufen weiter. Ein Verdachtsgrad gegen Starr wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung – wenn auch nicht dringend – bestehe weiterhin, das teilte die Pressestelle der Staatsanwaltschaft mit.
Starr und seine Anwälte wollen endlich ein Ende der Ermittlungen
Starr lebe seit dem Vorfall in Paris in ständiger Unsicherheit, so sagen seine Anwälte. Aus Angst vor erneuter Festnahme wage er keine EU-Reisen. Außerdem wolle er endlich Klarheit, ob ihm eine Anklage drohe oder der Fall eingestellt wird. Starr ist als Global Affairs-Chef beim Tech-Unternehmen Applovin tätig, und der arbeitet an einer potenziell historischen Übernahme des internationalen Tiktok-Geschäfts.
Starr befürchtet laut seiner Anwälte, dass das in Deutschland offengehaltene Ermittlungsverfahren ihm bei Investorenprojekten schade. Die Beendigung eines Ermittlungsverfahrens, beispielsweise durch Einstellung, kann in Deutschland jedoch gerichtlich nicht erzwungen werden. Die Staatsanwaltschaft kann theoretisch bis zur Verjährung der Vorwürfe weiter ermitteln.
Ist das der Grund für den Streit? Nach allem, was sich zu dieser Eskalation in Gesprächen erfahren lässt, trifft ein Staatsanwalt, der für seine robusten Auftritte bekannt ist, auf selbstbewusste, wehrhafte Strafverteidiger. Ob es sich bei dem Vorgehen des Staatsanwalts um „systematischen Machtmissbrauch“, um eine „Gefahr für den Rechtsstaat“ handelt, das wird die Staatsanwaltschaft Köln prüfen, die sich mit den Vorwürfen nun zu beschäftigen hat.
Zitiervorschlag
Konflikt in der Bonner Justiz eskaliert:
. In: Legal Tribune Online,
10.09.2025
, https://www.lto.de/persistent/a_id/58032 (abgerufen am:
11.09.2025
)
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