Cover: Hanns-Josef Ortheil, "Schwebebahnen"

Stand: 11.09.2025 06:00 Uhr

In vielen seiner Romane beschäftigt sich Hanns-Josef Ortheil mit Phasen seines nicht immer einfach gewesenen jungen Lebens. In „Schwebebahnen“ geht es um die Wuppertaler Jahre seiner Kindheit.

von Katrin Krämer, RB

„Ich habe von 1957 bis 1962/1963 in Wuppertal gelebt und das Seltsame ist, dass ich danach immer wieder von Wuppertal geträumt habe. Und zwar von den Schwebebahnfahrten“, erzählt Hanns-Josef Ortheil.

Der Schwebebahnflug ist ein einziges großes Abenteuer, eines der größten, das er bisher erlebt hat! Und er ist dabei, dieses große Abenteuer gut zu bestehen!

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Aber Josef muss sich sehr überwinden, die Fahrt überhaupt anzutreten. Er ist ängstlich und er „lebt, denkt und fühlt anders als andere Kinder“. Die neue Stadt soll ihm das Schulleben erleichtern. In Köln haben ihn die Mitschüler gehänselt. Doch Josef, der seit seinem vierten Lebensjahr Klavier spielt, wird auch von den Wuppertaler Klassenkameraden „Spinner“ genannt. Er flüchtet in seine Musik, und er findet eine Freundin. Rosa, genannt „Mücke“, wird zur engen Vertrauten. „Genau das ist mir passiert, als ich nach Wuppertal kam. Ich kam in die Wohnung, und da stand jemand am gegenüberliegenden Fenster und winkte.“

Hanns-Josef Ortheil überwindet seine Ängste

Man ist verführt, den Roman rein autobiografisch zu lesen. Aber Ortheil versteht sein Schreiben anders, als eine Art Selbsterkundung. Daher habe er auch eine Erzählerstimme gewählt und nicht die Ich-Perspektive: „Ich war einerseits in der Figur und andererseits sein Beobachter. Das war diese Doppelheit, die mir geholfen hat, diesen Roman zweigleisig zu erzählen: Innenperspektiven und die distanzierte Außensicht.“

Der Roman atmet Nachkriegszeit, das Schweigen, das Bleierne durchdringt jedes Kapitel. „Für mich war das eine Zeit der Traumatisierungen, und es gab immer die Gegenwärtigkeit von Angst. Überall lauert der Moment des Verlierens, das die Hauptfiguren sehr stark prägt.“

Aber Josef trifft auch Menschen, die etwas in ihm sehen, ihn fördern. Hanns-Josef Ortheil erzählt also auch vom Aufbruch und von der Befreiung von Ängsten. Die Schwebebahn ist dafür eine dankbare Metapher: „Sie war enorm beruhigend. Und für das Kind eine entlastende Funktion. Man war also allem, was auf der Erde geschah, enthoben. Und so gesehen, habe ich in meinen Träumen diese Befreiung wieder erlebt, ganz seltsam“

„Schwebebahnen“: Ein Roman über Mut, Trost und Zuversicht

„Schwebebahnen“ ist ein lebens- und erfahrungssattes Buch. Und obwohl die Figuren Einschneidendes erleben, verlieren sie weder Kraft noch Zuversicht. Das berührt auch die Freundschaft mit „Mücke“. Sie wird zur Seelenverwandten, weil auch auf ihr ein familiärer Verlust lastet. Die Geschichte ist vor allem deswegen tröstlich, weil dem Jungen mit seinen Besonderheiten so liebevoll begegnet wird, weil er nicht verloren geht:

Josef sammelt kein Wissen, sondern bewegt sich in seinen Spezialwelten, die (…) aus komplizierten Fantasien bestehen. Sobald man mit ihm ein Detail solcher Welten berührt, bewegt er sich weiter und fliegt davon.

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Warum der Roman trotz einer gewissen Grundschwere etwas Leichtes hat? Vielleicht, weil Hanns-Josef Ortheil auch das Schreiben leicht von der Hand ging: „Ich glaube, dass das Schreiben des Wuppertal-Romans für mich einzigartig war. Ich habe nie ein solches Schreiben erlebt. Es lag daran, dass ich mich immer an diese Zeit erinnert habe. Sie war immer in mir gegenwärtig, subkutan anwesend. Und dann stiegen diese Träume in mir auf. Ich brauchte denen nur noch zu folgen. Ich hatte das seltsame Gefühl, als schreibe sich der Roman von selbst.“

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