Frau Ortega Guttack, Herr Mühlbach, Sie haben sich in einer Studie systematisch den Berliner Haushaltsentwurf angeschaut. Was sind Ihre zentralen Schlüsse?
Ortega Guttack: Eine der zentralen Erkenntnisse ist, dass die neuen finanziellen Spielräume durch Entscheidungen auf Bundesebene, Stichwort: Schuldenbremse und Sondervermögen, vom Senat zwar vollständig ausgereizt werden, er aber dennoch nicht um weitere Einsparungen herumkommt. Die Finanzierungsbedarfe in Berlin sind enorm hoch, sodass die Haushaltslage weiterhin angespannt bleibt. Das zeigt: Die Berliner Haushaltspolitik ist im Grunde am Ende ihrer Kräfte angekommen. Die Landesregierung müsste sich beim Bund für weitere Änderungen starkmachen, die ihre eigenen Spielräume langfristig erweitern.
In der Studie heißt es, dass der Vergleich mit den „Sarrazin-Jahren“ Anfang der 2000er, den auch der Finanzsenator regelmäßig bemüht, übertrieben sei. Wie kommen Sie zu dem Schluss?
Der Vergleich macht zwar die enormen Herausforderungen deutlich, ist aber aus unserer Sicht nicht zutreffend. Im Jahr 2003 hatte Berlin ein strukturelles Defizit von 25 Prozent. Vereinfacht gesagt: Ein Viertel der Ausgaben konnte nur über Schulden finanziert werden. Im aktuellen Haushaltsjahr liegt diese Quote bei sieben Prozent.
Carolina Ortega Guttack ist Direktorin für Funding, Research & Bildungsarbeit bei „FiscalFuture“. Zuvor studierte sie Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft in Lüneburg, Paris und Wien und arbeitete als Finanzreferentin im Landtag von Schleswig-Holstein.
© Fiscal Future
Dennoch ist das gleichbedeutend mit einem Milliarden-Defizit. Wie kann Berlin langfristig zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen?
Mühlbach: Die Grundlage für unsere zukünftige Finanzkraft ist die Wirtschaftsleistung. Der beste Hebel ist also keine Sparpolitik, sondern eine Politik, die davor sorgt, dass wirtschaftliches Wachstum angekurbelt wird. Eine gute Berliner Wirtschaft ist die beste Grundlage dafür, dass der Haushalt langfristig ausgeglichen wird.
Dazu kommt die Steuergesetzgebung, die allerdings größtenteils beim Bund liegt. Hier gibt es aus unserer Sicht großen Korrekturbedarf. Während Arbeitseinkommen bei uns sehr hoch besteuert werden, sind wir eine absolute Steueroase für hohe Vermögen. Berlin sollte sich dafür einsetzen, dass Deutschland von diesem Sonderweg wieder wegkommt und wieder auf einem international normalem Niveau Vermögen besteuert. Das könnte die Haushalte auf allen föderalen Ebenen entlasten.
Carl Mühlbach ist Gründer und Geschäftsführer von „FiscalFuture“. Er studierte Ökonomie in Heidelberg, Cambridge und Berlin und ist ehemaliger Mitarbeiter des Bundesministeriums der Finanzen. Für sein Wirken mit FiscalFuture wurde er als „Capital Top 40 unter 40“ ausgezeichnet. Mühlbach ist Mitglied der SPD.
© Fiscal Future
Gilt die Abhängigkeit vom Bund nicht auch für die konjunkturelle Lage?
Ja, und zwar nicht nur vom Bund, sondern von der gesamten Weltwirtschaft. Aber wenn man sich die Wachstumsraten der einzelnen Bundesländer ansieht, sieht man auch, dass Berlin das mit Abstand höchste Wachstum aller Bundesländer hatte – zugegebenermaßen von einem eher geringen Niveau aus. Aber es ist möglich, auch als Bundesland eigene Akzente zu setzen.
Sie sprechen vor allem die Einnahmeseite an. Sowohl im Bund als auch in Berlin stehen aber vor allem auch die Ausgabenseite und hier insbesondere die steigenden Sozialausgaben im Fokus. Ist das kein Hebel für einen ausgeglichenen Haushalt?
Ortega Guttack: Auf Bundesebene sind die Sozialausgaben – im Verhältnis zum BIP – mit Ausnahme der Corona-Jahre ziemlich konstant geblieben. Der beste Weg, zukünftige Haushalte zu entlasten, wäre es, für gute Jobs zu sorgen, damit Menschen von ihrem Einkommen leben können, statt so wenig zu verdienen, dass sie mit Sozialleistungen aufstocken müssen.
Berlin muss sparen Weniger Geld für Radwege, Zebrastreifen und Blitzer Berliner Senat streicht erneut Mittel für die Verkehrssicherheit Zwei Jahre nach Berliner Sicherheitsgipfel Senat will soziale Maßnahmen nicht weiterfinanzieren Weniger Geld für moderne Behörden Berliner Senat kürzt Mittel für die Digitalisierung
Berlin hat derzeit Schulden von rund 70 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Das gesamte Haushaltsvolumen für 2025 beträgt nur rund 43 Milliarden. Inwiefern ist das bedenklich?
Mühlbach: Man sollte die 70 Milliarden Euro Schulden eher ins Verhältnis mit dem Bruttoinlandsprodukt von 207 Milliarden Euro setzen, das in Berlin im letzten Jahr erwirtschaftet wurde. Dann haben wir eine Schuldenquote von etwa einem Drittel der Wirtschaftsleistung. Ökonomisch entscheidend ist aber die Verschuldung des gesamten Staates: Die Bundesrepublik steht bei einer Schuldenquote von ungefähr 60 Prozent. Damit befinden wir uns im tiefgrünen Bereich.