Es ist wieder soweit: Ab Freitag findet das sogenannte Sapad-Manöver statt. Was es mit der militärischen Großübung auf sich hat und warum sie geopolitisch eine große Rolle spielt.

Abgehalten wird sie im Landesinneren Weißrusslands und im russischen Militärbezirk Moskau. „Sapad 2025 hat so wie alle vergleichbaren Großmanöver immer vier Bedeutungsstränge“, sagt Klemens Fischer im Gespräch mit FOCUS online. Er arbeitet als Professor für Geopolitik und Internationale Beziehungen an der Universität zu Köln.

ANZEIGE

„Die beiden politischen Stränge bedienen zum einen die eigene Bevölkerung, der gezeigt werden soll, dass die eigene Armee einsatzbereit und schlagkräftig ist. Es dient also zur Beruhigung und zur Steigerung des Selbstwertgefühls.“

Sapad-Manöver als „alptraumhafte Erfahrung“

Außenpolitisch betrachtet, so erklärt es Fischer, ist Sapad ein Signal an Verbündete und potentielle Gegner. Der Begriff heißt übersetzt „Westen“. Gleichgesinnten soll Bündnistreue vermittelt, mögliche Feinde sollen abgeschreckt werden.

ANZEIGE

Neu ist die Großübung nicht. Die ersten Sapad-Manöver fanden bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren statt. Ab 2009 kam es zu regelmäßigen Übungen. „Die Manöver 2013 und 2017 waren unspektakulär. Die Auflage 2021 machte Sapad zu dem, was es heute ist: eine alptraumhafte Erfahrung für die Ukraine“, sagt der Geopolitik-Professor.

Meistgelesene Artikel der Woche

Denn: Für viele westliche Beobachter gilt die Großübung 2021 rückblickend als Blaupause für die Ukraine-Invasion im Februar 2022. Fischer erklärt: „Die Truppenkonzentration des Manövers 2021 wurde von Russland dazu benutzt, immer mehr Einheiten grenznah in Stellung zu bringen.“

ANZEIGE

Warum sich mit Sapad 2021 alles änderte

Besagte Soldaten formierten sich ihm zufolge für das Manöver „Entschlossenheit der Union 2022“, das vom 10. bis 20. Februar 2022 stattfand. „Aus dieser Bereitstellung heraus erfolgte der Angriff auf die Ukraine“, so der Professor. 

Fischer geht davon aus, dass die diesjährige Übung gezielt gegen die empfindliche Nordostflanke der Nato gerichtet ist. Wegen der geografischen Lage Weißrusslands finde Sapad 2025 „gleichsam als Keil zwischen Finnland sowie den baltischen Staaten und Polen statt, von der russischen Enklave Kaliningrad nur durch den Suwalki-Korridor getrennt“.

ANZEIGE

Die Nachbarländer sind bereits alarmiert. Polen etwa will seine Grenze zu Weißrussland dichtmachen. „Aus Gründen der nationalen Sicherheit werden wir die Grenze zu Belarus (…) im Zusammenhang mit den Sapad-Manövern am Donnerstag um Mitternacht schließen“, kündigte Regierungschef Donald Tusk an. Litauen reagiert mit der Einschränkung des Luftraums.

In Fischers Augen, der rund 30 Jahre lang der österreichischen EU-Botschaft in Brüssel angehörte, herrscht für die baltischen Staaten aber keine konkrete Angriffsgefahr. Dafür, so erklärt er es, seien die geplanten Truppenstärken zu gering. „Zufällige Grenzüberschreitungen“ auf Nato-Gebiet während des Sapad-Manövers hält Fischer ebenfalls für unwahrscheinlich. Der Abstand der Soldaten zum Baltikum wäre zu groß.

ANZEIGE

ANZEIGEÜber 30.000 Soldaten sollen am Manöver beteiligt sein

Wie viele Soldaten genau an der Militärübung teilnehmen, ist unklar. In Medienberichten ist die Rede von 13.000 Kämpfern in Belarus und 30.000 weiteren in Russland. Der Militärexperte Wolfgang Richter geht jedoch davon aus, dass sich die Gesamtübungsstärke auf russischem und weißrussischem Gebiet auf unter 30.000 Mann belaufen wird. Das wäre, verglichen mit den Vorjahren, relativ wenig. 

ANZEIGE

Wie der Oberst a. D. im Gespräch mit FOCUS online erklärt, sollen an der Sapad-Übung 2017 rund 100.000, im Jahr 2021 sogar knapp 200.000 Soldaten teilgenommen haben. Dass es jetzt womöglich „nur“ um die 30.000 werden, hat laut Richter wohl mit der Bindung russischer Truppen im Ukraine-Krieg zu tun. 

russische Soldaten Russische Soldaten beim Training. Imago

So kommt er zu einem ähnlichen Schluss wie Fischer: „Angesichts des vergleichsweise geringen Truppenaufgebots Russlands und seines Verbündeten Belarus, der kurzen Übungsdauer und der auf Truppenübungsplätze eingeschränkten Gefechtsschießen haben die baltischen Länder aktuell keinen Angriff Russlands zu befürchten.“

ANZEIGE

Gleichwohl lassen sich laut dem Verteidigungsexperten elektronische Störungen, unbeabsichtigte militärische Zwischenfälle bei nahen Überflügen und Schiffsbegegnungen im internationalen Luft- und Seeraum nicht ausschließen. Sinnvoll ist in seinen Augen daher, wachsam und reaktionsbereit zu sein – zum Schutz der Nato-Ostflanke.

ANZEIGE

Das ist das Besondere am Sapad-Manöver

„Das geschieht im Verbund mit Alliierten bei parallelen Nato-Übungen wie ‚Iron Defender 2025‘ in Polen mit etwa 34.000 oder ‚Quadriga 2025‘ mit rund 8000 Teilnehmern“, sagt er. An der Quadriga sind neben der Bundeswehr Streitkräfte aus 13 weiteren Nato-Staaten beteiligt.

ANZEIGE

Bei der Übung geht es darum, Truppen und Ausrüstung nach Litauen zu verlegen, im Folgenden werden gemeinsame Verteidigungsoperationen geübt. Aber: „Der begrenzte Truppenumfang und defensive Übungszweck, dass von dieser Übung keine strategische Gefahr für Russland oder Belarus ausgeht“, so Richter, der auch Associate Fellow beim Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik (GCSP) ist.

Wie er erklärt, hat Belarus die Sapad-Übung nach den Regeln des „Wiener Dokuments“ der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) angemeldet und Militärbeobachter eingeladen. Das ist ab einer Truppenstärke von 13.000 Soldaten Pflicht.

ANZEIGE

Geprobt wird „sowohl das Funktionieren der Kommandostruktur auf der strategisch-operativen Ebene als auch das Gefecht im scharfen Schuss auf Übungsplätzen“. Das Besondere ist, dass Russland und Belarus in einer Verteidigungsunion verbunden sind. 

„Das fiktive Übungsszenario soll die Verteidigung von Belarus und Teilen des benachbarten Westrusslands gegen einen Angriff aus westlicher Richtung simulieren. Es umfasst die Abwehr von Luft- und Landangriffen, Zerschlagung einer durchgebrochenen Kräftegruppierung, Gegenangriffe und den Kampf gegen subversiv kämpfende Aufklärungs- und Sabotagegruppen“, so der Oberst a. D..

ANZEIGE

ANZEIGE

Sapad-Manöver als Propaganda-Instrument

Fest steht: Sapad 2025 ist militärisch bedeutsam, aber auch politisch brisant. Nicht nur aus den offensichtlichen Gründen. Ende August warnte der ukrainische Geheimdienst vor gezielten Desinformationskampagnen im Zusammenhang mit „Sapad 2025“. 

„Es wird von Beginn an starken Informationsdruck geben“, sagte Kyrylo Budanow, Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR, laut der Nachrichtenagentur RBC Ukraine beim Forum „Informationskrieg: Vom Widerstand zur Resilienz“. 

ANZEIGE

Das Sapad-Manöver könnte ihm zufolge propagandistisch genutzt werden, er spricht auch von einer „Hysterie“ und von „Symbolen und Zeichen, vor allem für europäische Länder, vor allem für die baltischen Länder“.

Für Geopolitik-Professor Fischer keine Überraschung. „Es liegt in der sicherheits- und verteidigungspolitischen Natur derartiger Manöver, dass sie der Propaganda dienen“, meint er. „Russland und Weißrussland können sich eigentlich bei der Ukraine bedanken, dass sie diese russische Propaganda auch noch unterstützt und nahezu befeuert.“

ANZEIGE

„Der Kreml wird sich bedanken“

Für Moskau und Minsk gehe es darum, den „Kampf der verbundenen Waffen“ zu demonstrieren – an Land, in der Luft und zu Wasser, aber auch mit Blick auf eine neue Dimension. Denn: Belarus will den Einsatz atomwaffenfähiger russischer Oreschnik-Raketen üben. 

„In diesem Fall macht sich der ukrainische Geheimdienst zum Multiplikator der russischen Propaganda, wofür sich der Kreml wohl bedanken wird“, so Fischer. Er sieht am Ende aber nicht die Übung selbst als zentral an – sondern das, was danach geschieht. „Sollte die manöverbedingte Truppenkonzentration nicht rückgeführt werden, ist Vorsicht geboten“, so der Professor.